Deutsche Soldaten hätten auf gewalttätige Angreifer geschossen und mindestens sieben verletzt. Opposition fordert von de Maizière Aufklärung.

Berlin. Zwei Tage nach den gewalttätigen Demonstrationen vor einem Bundeswehr-Lager im nordafghanischen Talokan, bei dem 14 Menschen getötet wurden, sind am Freitag neue Details bekannt geworden. So hätten deutsche Soldaten als Reaktion auf die Proteste am Mittwoch Talokan gezielt auf Demonstranten geschossen und sieben bis zehn von ihnen verletzt. Möglicherweise seien dabei auch Menschen getötet worden. Die Schüsse wurden vor allem auf die Beine, in drei bis vier Fällen aber auch auf den Oberkörper abgegeben, teilte das Einsatzführungskommando der Bundeswehr am Freitag mit. "In einem Fall ist nach derzeitiger Erkenntnis ein Treffer im Hals-Kopfbereich nicht auszuschließen“. Die Demonstranten seien mit Handgranaten und Brandsätzen bewaffnet gewesen. Der Vorfall werde durch die Nato-Truppe Isaf und eine vom afghanischen Präsidenten Hamid Karsai eingesetzte Kommission untersucht.

Opposition fordert Aufklärung von de Maizière

Außerdem schaltetet das Einsatzführungskommando den Generalbundesanwalt ein. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe betonte aber, dass es keine konkreten Ermittlungen gebe. Die Opposition im Bundestag forderte Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) zu rückhaltloser Aufklärung auf.

Linke-Chef Klaus Ernst warf de Maizière "Informationspolitik nach Gutsherrenart“ vor. "Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu wissen, wann und warum deutsche Soldaten im Ausland gezielt in eine Menge schießen“, erklärte er. "Der Verdacht der versuchten Vertuschung bleibt bestehen, solange de Maizière sich nicht den Fragen des Parlaments stellt.“

Auch die Grünen pochten auf Aufklärung im Bundestag. Die Bundeswehr müsse "Parlament, Öffentlichkeit und Bundesanwaltschaft unverzüglich rückhaltlos und ohne weitere Ausflüchte exakt schildern, ob und gegebenenfalls warum die deutschen Soldaten in Notwehr gehandelt haben“, erklärte der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele.

Es sei unstreitig, dass die Soldaten in Selbstverteidigung gehandelt hätten, erklärte die Bundeswehr. Alle Soldaten seien innerhalb des Lagers in der Stadt Talokan eingesetzt gewesen. Die deutschen Soldaten hätten zunächst Warnschüsse in die Luft abgegeben und erst dann gezielt auf "weiterhin gewalttätige Demonstranten im Schwerpunkt auf den Beinbereich“ gefeuert. Bei der Auseinandersetzung seien drei deutsche Soldaten und fünf afghanische Wachleute verwundet worden. Nach Angaben der UN-Truppe in Afghanistan wurden bei den Protesten am Mittwoch mindestens 14 Menschen getötet und mindestens 80 verwundet.

Proteste Reaktion auf Nato-Razzia

Auslöser der Demonstration war eine der in der Bevölkerung umstrittenen nächtlichen Razzien von Nato-Truppen – vermutlich US-Streitkräften – und afghanischen Soldaten, bei der vier Menschen getötet wurden. Nach Angaben der Nato handelt es sich bei den Toten um Aufständische, die der Islamischen Bewegung Usbekistans (IMU) angehörten, die Verbindungen zur Extremistenorganisation al-Qaida unterhält. Karsai dagegen verurteilte das Vorgehen der Truppen und erklärte, es seien vier unschuldige Familienmitglieder erschossen worden.

Die Bundeswehr betreibt in der Kleinstadt Talokan mit etwa 40 Soldaten eine Außenstelle des großen, 70 Kilometer entfernten Feldlagers Kundus, wo über 1100 deutsche Soldaten in einem stark befestigten Camp außerhalb der Stadt stationiert sind. Der Bundeswehr-Posten im normalerweise friedlichen Talokan liegt anders als an anderen Standorten mitten in der Stadt und ist entsprechend angreifbar. Während der Proteste hatte sich eine schätzungsweise 3000 Mann starke Menschenmenge dicht gedrängt auf der Straße vor dem Außenposten versammelt. (rtr/dpa/abendblatt.de)