Nach dem Kirchen-Sturm von Imbaba fordern die Kopten Schutz vom Staat. Das Erstarken der radikal-islamischen Salafisten macht ihnen Angst.

Kairo. Nach den blutigen Zusammenstößen von Christen und Muslimen in Kairo haben am Montag hunderte Christen im Zentrum der ägyptischen Hauptstadt demonstriert. Sie verlangten von Armee und Sicherheitskräften besseren Schutz vor Übergriffen extremistischer Islamisten. Die schon Sonntagabend begonnene Kundgebung vor dem Fernsehgebäude an der Nil-Corniche führte auch zu erheblichen Behinderungen im Kairoer Berufsverkehr. Die Bundesregierung äußerte sich besorgt über die Zusammenstöße, bei denen in der Nacht zum Sonntag im Armen-Viertel Imbaba zwölf Menschen getötet und 230 weitere verletzt worden waren.

Radikale Muslime hatten dort die koptische St. Mina-Kirche angegriffen. Sie begründeten ihre Attacke mit der Behauptung, in dem Gotteshaus werde eine Frau festgehalten, die vom Christentum zum Islam konvertiert sei. Die Christen setzten sich gegen die Attacke zur Wehr. Neben Steinen und Brandsätzen kamen auf beiden Seiten auch Schusswaffen zum Einsatz. Unter den Toten waren in etwa gleich viele Muslime und Kopten, teilten die Behörden mit. Rund 200 Personen wurden festgenommen.

Der ägyptische Oberstaatsanwalt Abdul Madschid Mahmud setzte indes ein Team von Sonderermittlern zur Aufklärung der Hintergründe der Zusammenstöße ein. Die Staatsanwälte wagten sich allerdings bislang wegen der angespannten Lage noch nicht nach Imbaba, berichtete das Nachrichtenportal „almasryalyoum.com“ am Montag. Unter den Festgenommenen sei auch der ehemalige Liebhaber jener Christin, deren angebliche Festsetzung als Vorwand für den Angriff auf die Kirche gedient hatte, verlautete am selben Tag aus Sicherheitskreisen in Kairo.

Nach dieser Version habe sich die verheiratete Christin von ihrem Mann getrennt, einen muslimischen Freund gefunden und sich dann auch von jenem wieder getrennt. Der sitzengelassene Liebhaber habe sich daraufhin an eine Gruppe von radikalen Muslimen, sogenannte Salafisten, gewandt und diese zur „Befreiung“ seiner Freundin aufgefordert. Nach den Behördenangaben soll die Frau nie zum Islam konvertiert sein.

Andere Versionen des Tathergangs wurden von Menschenrechtlern verbreitet. Demnach stecke eine Salafisten-Gruppe mit dem Namen „Koalition zur Unterstützung der neuen Muslime“ hinter dem Kirchen-Sturm. Wenige Stunden vor der Aktion hatte nämlich eine andere, angeblich zum Islam konvertierte Christin in einem Fernseh-Interview erklärt, sie sei unverändert Koptin. Der Fall der angeblich im Kloster eingesperrten Priestersgattin Camille Schehata dient radikalen Islamisten in Ägypten schon seit dem Vorjahr als Grund für Kampfansagen.

Die koptische Kirche forderte indes eine öffentliche Debatte über die Gewalt gegen Christen. „Egal, was passiert, immer heißt es nur, die Überreste des alten Regimes seien schuld, und zwar schon bevor die Ermittlungen begonnen haben – das reicht nicht, wir brauchen eine ehrliche Auseinandersetzung, mit dem, was in unserem Land geschieht“, sagte der koptische Priester Jussif Samir am Montag im ägyptischen Staatsfernsehen.

Seit der Revolution, die im Februar zur Entmachtung von Präsident Husni Mubarak geführt habe, sei die Bewegung der Salafisten wieder erstarkt, erklärte der Priester. „Die Stimme, die wir nicht hören wollen, ist im Moment leider die Stimme, die auf der Straße lauter ist als alle anderen.“ Nach ihm sprach im TV-Studio ein islamischer Religionswissenschaftler, der „eine versteckte Hand und ausländische Unterstützung“ hinter der jüngsten Eskalation vermutete.

Die ägyptische Übergangsregierung hatte am Sonntag ein hartes Durchgreifen gegen die Gewalttäter angekündigt. Die rund 200 Festgenommenen müssten sich vor einem Militärgericht verantworten. Die Ägyptische Organisation für Menschenrechte erklärte: „Die Sicherheitsbehörden müssen ihrer Verantwortung gerecht werden und sich diesem Aufruhr entgegenstellen, damit das ägyptische Volk vereint bleibt.“ Mehrere Augenzeugen hatten nach der Eskalation der Gewalt in Imbaba erklärt, die Polizei habe sich herausgehalten. Die Armee sei viel zu spät vor der St.-Mina-Kirche eingetroffen.

Die Bundesregierung äußerte am Montag ihre Besorgnis über die blutigen Unruhen zwischen Christen und Muslimen in Ägypten. Die jüngsten Entwicklungen seien „sehr besorgniserregend“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Zugleich appellierte er an die neue ägyptische Führung, für ein „Klima religiöser Toleranz“ zu sorgen.

EU-Außenbeauftragte verurteilt religiöse Gewalt in Ägypten

Nach den blutigen Zusammenstößen in Kairo hat die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton zum Schutz der Religionsfreiheit aufgerufen. „Die Religions- und Glaubensfreiheit ist ein universelles Menschenrecht“, mahnte Ashton am Montag in Brüssel. Der koptische Bischof in Deutschland, Anba Damian, warf der ägyptischen Armee vor, durch Passivität an der Ermordung von Christen indirekt beteiligt zu sein.

Die Religions- und Glaubensfreiheit sei eng mit der Meinungsfreiheit und anderen Menschenrechten verwoben, unterstrich Ashton. Sie begrüße die Stellungnahmen von christlichen und muslimischen Repräsentanten, in denen zu Ruhe und Zurückhaltung aufgerufen werde. Die Behörden müssten die Verantwortlichen umgehend vor Gericht bringen, verlangte die Britin.

Im Deutschlandradio Kultur sagte der koptische Bischof Damian zu den derzeitigen religiösen Unruhen in Ägypten, die Armee schaue weg, wenn Christen angegriffen würden. Durch ihre Passivität ebne sie den Weg für die Angriffe der radikalen Moslems. Der Bischof sprach von einem „schweren Verdacht“, dass die Armee von den Muslimbrüdern infiltriert sei.

„Die Christen haben keine Waffen, keine Lobby, sie haben niemanden, der sie in Schutz nimmt“, klagte Damian. Momentan schlage den ägyptischen Christen eine „Welle von Hass“ entgegen, sie hätten große Ängste. Als Gegner der orthodoxen Christen in Ägypten machte der Bischof aber nur die radikalen Islamisten aus. Die Muslime seien in der Mehrheit sehr vernünftig und friedvoll, sagte er. Doch jetzt wollten Islamisten die Revolution in Ägypten zerstören, an die Macht gelangen und einen Gottesstaat errichten, äußerte Damian als Befürchtung.

(dpa/epd/abendblatt.de)