Berlin. Deutsche Behörden sind alarmiert: Russlands Sabotage-Aktionen nehmen zu. Dabei heuert der Kreml offenbar auch junge Kriminelle an.

In dem Video, das aussieht wie ein professionell gedrehter Werbespot, montieren russische Arbeiter in neonroter Kleidung Ortsschilder am Rand einer Landstraße. Sie hieven die Schilder von der Ladefläche, bedruckt mit den russischen Namen der ukrainischen Städte, durch die gerade Putins Panzer und Militärfahrzeuge rauschen. Der Spot zeigt Szenen einer Invasion – und er signalisiert dem Zuschauer, dass jeder etwas beitragen kann zu dieser „Spezialoperation“, die eigentlich ein völkerrechtswidriger Angriff ist. Am Ende ruft der Clip euphorisch auf: „Arbeitet mit, Brüder!“

Etliche Male angeschaut wurde das Video auch in dem auffälligen Telegram-Kanal „Операция Z: Военкоры Русской Весны“ (Deutsch: Operation Z: Militärkorrespondenten des Russischen Frühlings). Mehr als 1,6 Millionen Menschen haben ihn abonniert. Neben Kriegsmaterial werden auch Bilder, Videos und Karikaturen geteilt, die Europa im Würgegriff der USA zeigen oder bei denen ein Zug mit deutscher und europäischer Flagge entgleist. Ukrainer werden im Kanal pauschal als „Nazis“ bezeichnet, die Balten als „Faschisten“. Das zeigen Recherchen unserer Redaktion in dieser Gruppe.

Auch interessant

Für die Nutzer des Kanals gibt es einen eigenen Telegram-Chatbot, über den Interessenten an Ansprechpartner kommen. Wenn man sie anschreibt, kommt zuerst eine automatisch generierte Antwort: „Schreiben Sie uns, wenn Sie wichtige Informationen über ukrainische Streitkräfte haben oder andere wichtige Informationen, die zu unserem Sieg führen können“, heißt es darin. Wie diese Informationen aussehen und was man dafür als Gegenleistung erhält, bleibt unbekannt. Klar ist nur: Auch das ist ein Aufruf an jeden, Putins Armee beim Sieg über die Ukraine zu helfen. Telegram ist eine Rekrutierungsmaschine für den Kreml.

Bundestagswahl 2025: Mögliche Beeinflussung durch russische Geheimdienste?

Wer mit ranghohen Sicherheitsbeamten in Deutschland spricht, spürt eine wachsende Nervosität. Eine neue Alarmbereitschaft. Russland, so heißt es an mehreren Stellen in Gesprächen mit unserer Redaktion, erhöhe die Schlagzahl der geheimdienstlichen Einflussoperationen in Deutschland, setze zunehmend „robuste Mittel“ ein, wie es in der Sprache der Nachrichtendienste heißt: Russische IT-Fachleute fälschen renommierte Nachrichten-Internetseiten und bringen Falschinformationen in den Umlauf, Stiftungen und Parteizentralen werden Ziel von Cyberspionage, kritische Infrastruktur wie Bahngleise und Datenkabel geraten ins Visier von Sabotageaktionen. Viele fürchten: Russische Geheimdienste könnten ihre „Einflussoperationen“ in Deutschland vor den Wahlen Ende Februar zum Bundestag noch einmal verstärken.

Auch interessant

Die Bundesregierung schaut nicht nur tatenlos zu. Mehr als 700 Diplomaten mit russischen Pässen wiesen die Behörden bis zu diesem Herbst aus. Denn: Russische Konsulate und die Botschaft gelten als Orte, an denen Geheimdienstoperationen koordiniert werden.

Doch Russland hat auf die Ausweisung ihrer Diplomaten reagiert – und fährt offenbar eine neue Strategie. Nach Ansicht von Sicherheitsbehörden spielen dabei „Low-Level-Agenten“ eine zentrale Rolle. Nicht mehr nur die professionellen Nachrichtendienstler aus Moskau operieren in Deutschland, sondern auch in Deutschland lebende Putin-Sympathisanten oder Kleinkriminelle. Angeworben werden sie über soziale Netzwerke und Chatgruppen etwa auf dem Messengerdienst Telegram – offenbar auch in Kanälen wie „Operation Z“.

192936_1325_192936_cover.jpg

#4 Cem Özdemir über die Bedrohung durch Erdogans Anhänger

Meine schwerste Entscheidung

„Putins Wegwerf-Agenten“: Jung, russischsprachig, ideologisch pro-russisch und ungeschult

Diese angeheuerten „Agenten“ gehören nicht offiziell zum Geheimdienst – und sie werden fallengelassen vom Dienst in Moskau, wenn sie auffliegen. Genau deshalb sprechen manche in den Sicherheitsbehörden auch von „Putins Wegwerf-Agenten“, andere nennen sie etwas höflicher „One-Use-Agents“, also Einweg-Agenten. Der Verfassungsschutz schreibt, diese Personen seien „überwiegend jung, russischsprachig, ideologisch prorussisch und ungeschult“. Die Rekrutierung in sozialen Netzwerken spricht offenbar stark auch die Community der Deutsch-Russen an. Moskau wittert in ihnen Verbündete gegen den Westen. Zugleich gilt auch: Oftmals geht es den mutmaßlichen Tätern vor allem darum, schnell Geld zu verdienen.

DHL Drehkreuz - Flughafen Leipzig/Halle
Ende Juli brennt in einem Logistikzentrum der DHL Group am Flughafen in Leipzig ein Container. Mit dem DHL-Drehkreuz der Post-Tochter DHL zählt der Flughafen zu einer der weltweit wichtigsten Zentren der Luftfracht. © picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Was nach einem schlechten Hollywood-Streifen klingt, kann fatale Folgen haben. Ende Juli brennt in einem Logistikzentrum der DHL Group am Flughafen in Leipzig ein Container. Ein Paket hatte sich entzündet. Die Ermittler finden heraus: Jemand verpackte einen „unkonventionellen Sprengsatz“, also selbstgebastelt, aber nicht weniger gefährlich. Wäre der Sprengstoff in der Luft hochgegangen, hätte es die Maschine zum Absturz bringen können, davon gehen Sicherheitsexperten aus. Fast zeitgleich zündet ein zweiter Brandsatz in einem DHL-Warenlager im englischen Birmingham.

Ende August warnen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das Bundeskriminalamt (BKA) in einem internen „Sicherheitshinweis“ vor „Brandvorrichtungen in Paketsendungen“. Firmen sollen als Gegenmaßnahme ihre Mitarbeiter in den Logistikzentren sensibilisieren. Die Standardkontrollen hätten in den bekannten Fällen nicht funktioniert. Die Pakete enthielten „elektrische Konsumgegenstände sowie Behältnisse mit Flüssigkeiten“. Die hohen Versandkosten stünden „in einem wirtschaftlichen Missverhältnis zum Warenwert der Sendungen“. Offenbar registrierten die Behörden gleich mehrere Fälle innerhalb einiger Wochen.

Problem der deutschen Strafverfolger: Fehlende Beweise

Derzeit untersuchen deutsche Behörden gemeinsam mit der litauischen Polizei zudem den Crash eines DHL-Fliegers vor einigen Tagen beim Anflug auf den Flughafen in Vilnius. Hinweise auf Sabotage gibt es nach Informationen unserer Redaktion bisher nicht, die Ermittlungen laufen allerdings noch.

Ein Absturz der DHL-Maschine im Sommer durch den Brandsatz hätte gravierende Folgen. Nicht nur der Logistikverkehr wäre massiv gestört, sondern eine ganze Branche wäre verunsichert. Sterben Menschen durch mutmaßliche Sabotage, stellt sich irgendwann auch die Frage, ob das ein Kriegsakt gegen Deutschland ist, ein terroristischer Anschlag. Gesteuert aus Moskau? Dafür aber braucht es Beweise. Eine Vermutung reicht nicht aus. Und damit beginnt das Problem der deutschen Strafverfolger.

Geilenkirchen: Nato ruft zweithöchste Warnstufe für Flughafen aus

weitere Videos

    Mittlerweile ermittelt der Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Ein Mann soll das Paket mit einem gefälschten Absender in Litauen aufgegeben haben, ein weiteres Päckchen wurde demnach durch einen mutmaßlichen Täter in Polen versandt. Waren es „Low-Level-Agents“?

    Osteuropäische Staaten und das Baltikum dienen als „Testfeld“ für Russland

    Für Russland sind osteuropäische Staaten und das Baltikum ein „Testfeld“. Was dort funktioniert, probiert der russische Geheimdienst auch weiter westlich aus, in Deutschland. In Tschechien brennt ein Busdepot, in Litauen, Lettland und Polen registrieren die Sicherheitsbehörden Anschläge und Sabotage-Akte. Auch dort geraten die rekrutierten „Agenten“ ins Visier.

    Auch interessant

    Diese Personen sind für Russland nicht ohne Risiken: Oftmals sind ihre Fähigkeiten begrenzt, „nicht die Hellsten“, wie ein Sicherheitsbeamter sagt, manche vielleicht eher in der Lage, ein prorussisches Graffiti zu sprühen, als einen Sabotage-Akt zu begehen. Operationen können fehlschlagen. In Sicherheitskreisen heißt es, dass Russland für wichtige Aufträge noch immer auf professionell geschulte Geheimdienstmitarbeitende setzt, so wie es ein Gericht für einen politisch motivierten Mord im Berliner Tiergarten 2019 festgestellt hat.

    Russia Ukraine Conflict: Operation European Support
    Üben für den Ernstfall: Fallschirmjäger der U.S. Army platzieren im Schutz des Rauchs während einer kombinierten Feuerübung auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr im September Sprengstoff auf einem Ziehharmonika-Draht. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | U.S. Army

    Für russische Stellen haben die Rekrutierten zugleich viele Vorteile. Sie sind nicht teuer. Bezahlt werden sie, so berichten es Fachleute, meist in bar – oder in Kryptowährung. Je nach Wucht der Aktion bekommen sie einen „Lohn“. Offizielle Geheimdienstmitarbeiter müssen erst aufwendig ausgebildet werden, bevor sie losschlagen, brauchen „Legenden“. Werden sie gefasst, sind das teure Verluste für die Dienste. Die „Wegwerf-Agenten“ haben noch einen Vorteil: Ihre Verbindungen zu staatlichen russischen Stellen lassen sich kaum nachweisen – oder gut verwischen.

    Strafverfolger sammeln Indizien – Angst vor russischer Einflussnahme in Deutschland nimmt zu

    Die deutschen Strafverfolger sammeln Indizien. Über Bundeswehr-Kasernen fallen ihnen immer wieder Drohnen-Überflüge auf. Vor allem auch an Standorten, an denen ukrainische Soldaten ausgebildet werden. Im April nimmt die Polizei Dieter S. und Alexander J. in Bayreuth fest. Ihnen wird vorgeworfen, für den russischen Geheimdienst Informationen für mögliche Anschlagsziele etwa auf militärische Einrichtungen in Deutschland gesammelt zu haben.

    Doch anders als im Fall von Dieter S. bleiben die Behörden oftmals ohne Täter zurück – und ohne Beweise. Bei den Drohnen, die über Kasernen flogen, waren es nicht selten Jäger oder Hobby-Piloten. Bei einem Kabelbrand bei Herne und zeitgleich in Berlin gab der Generalbundesanwalt unlängst das Verfahren zurück an die Staatsanwaltschaften vor Ort. Der Grund: keine Hinweise auf Sabotage durch russische Agenten. Es waren wohl eher Kabeldiebe.

    In mehreren bekannten Fällen stecken offenbar keine „Agenten“ hinter der Spionage und Sabotage. Es geistert aber erstmal die Angst vor russischer Einflussnahme durch Deutschland. In anderen Fällen erhärtet sich der Verdacht, doch die Belege fehlen. Ein Sicherheitsbeamter fasst das Dilemma so zusammen: „Oftmals fehlt uns die Smoking-Gun“, also der letzte große Beweis dafür, dass Aktionen gezielt aus Russland gesteuert wurden. Gerade suchen deutsche Polizisten wieder nach diesen gerichtsfesten Belegen – diesmal mitten auf der Ostsee. Dort liegt der chinesische Frachter „Yi Peng 3“ vor Anker. Boote der deutschen Küstenwache, aber auch des dänischen Militärs patrouillieren ganz in der Nähe.

    Auch interessant

    Die EU-Länder werfen der Crew des Frachters vor, mutwillig zwei Unterseedatenkabel mit dem Anker zerstört zu haben. Das Schiff lag zuletzt im russischen Ostsee-Hafen Ust-Luga, teilweise ist russische Crew an Bord. Was, wenn Nachrichtendienste des Kremls die Seeleute als „Low-Level-Agenten“ angeheuert haben – damit sie die Unterseekabel zerstören?