Berlin. Die Ukraine ist schwer in Bedrängnis – vor allem mit Blick den Winter, sagt der Militärexperte. Indes plant Moskau eine düstere Zukunft.
- Die Russen marschieren an mehreren Stellen gleichzeitig im Donbass vor
- Für eine Stadt gibt es eine gute Nachricht, sagt Carlo Masala
- Selenskyj hofft auf weitreichendere Waffen aus den USA
- In Russland geht ein erschreckender Trend weiter
Die Angriffe auf zivile Infrastruktur in der Ukraine häufen sich, sagt Militärexperte Carlo Masala. Für Selenskyjs Forderungen nach weitreichenderen Waffen hat der 56-Jährige allerdings wenig Hoffnung.
Herr Masala, wie ist die Lage im Ukraine-Krieg?
Carlo Masala: Die Lage ist gleichbleibend schlecht. Der Vormarsch der Russen im Donbass hat sich etwas verlangsamt, findet aber an mehreren Stellen gleichzeitig statt. Kursk wird von den Ukrainern gehalten. Russland hat massive Probleme, die Gegenwehr zu organisieren, greift aber in der Ukraine drastisch die zivile kritische Infrastruktur an. Das haben wir nicht nur in Poltawa erlebt, sondern zuletzt auch im westukrainischen Lwiw.
Putin hat das Tempo gelobt, in dem die Russen aktuell im Donbass vorankommen. Man spreche hier nicht von 200, 300 Metern, sondern von mehreren Quadratkilometern. Können Sie das bestätigen?
Masala: Ja, in der Tat kommen sie schneller voran als üblich – trotz des insgesamt etwas verlangsamten Vormarsches.
Carlo Masala
Er ist einer der bekanntesten Militärexperten in Deutschland. Masala (Jahrgang 1968) lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Konflikt in der Ukraine.
An welchen Stellen verlangsamt es sich denn?
Masala: In Pokrowsk etwa. Das ist für die Stadt erstmal eine gute Nachricht, aber die Offensive kommt damit noch lange nicht zum Erliegen.
Nimmt die Intensität der russischen Angriffe wieder zu?
Masala: Ja, bei der zivilen Infrastruktur kann man das sagen. In Poltawa handelte es sich um eine Militärakademie. Auch das ist kein legitimes Ziel, denn es ist immer noch ein illegitimer Angriffskrieg.
Wie wahrscheinlich ist es, dass die USA und andere Partner Selenskyjs Forderung nach weitreichenderen Waffen nachkommen werden?
Masala: Die Ukrainer wollen diese Waffen gegen russische Ziele im Landesinnern Russlands einsetzen. Dass die Amerikaner dem zustimmen, ist höchst unwahrscheinlich. Joe Biden hat es gerade wieder abmoderiert. Die Ukrainer müssen sich auf ihre eigenen Waffen verlassen.
Wird das ausreichen?
Masala: Je mehr die Ukrainer in der Lage sind, die russische Infrastruktur anzugreifen und zu zerstören, desto besser. Auf diese Weise stören sie Putins Kriegsmaschinerie. Natürlich wäre es besser, wenn sie mehr Marschflugkörper zur Verfügung hätten.
Selenskyj bildet die Regierung radikal um. Außenminister Dmytro Kuleba geht, andere hochrangige Politiker ebenfalls…
Masala: Das war schon länger angekündigt und dürfte keine starken Auswirkungen auf den Kriegsverlauf haben.
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Ein großes Problem wird die Energieinfrastruktur im Winter. Wird es der Ukraine besser als in den Vorjahren gelingen, ihre Anlagen zu schützen?
Masala: Nein, bisher nicht. Die ukrainischen Abschussquoten von russischen Raketen sinken beständig. Es gelingt nicht mehr so schnell, die beschädigten Kraftwerke zu reparieren. Dieser Winter wird für die Ukrainer härter als die letzten beiden. Auf die Front und auf die Mobilisierung wird das keine Auswirkungen haben. Aber es dürfte wohl zur Folge haben, dass wieder mehr Menschen fliehen werden, wenn sie in ihren Städten nicht mehr leben können. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass es eine neue Flüchtlingsbewegung geben wird – wenn die Ukraine die Probleme nicht in den Griff bekommt.
Am Freitag findet die Ramstein-Konferenz statt. Was ist davon zu erwarten?
Masala: Außer einer leichten Verstärkung der Luftverteidigung wird da nicht viel passieren. Grundsätzlich wäre das eine gute Nachricht. Sinnvoller wäre es aber, wenn man der Ukraine erlauben würde, endlich die Startrampen der russischen Raketen zu zerstören. Das wird aber nicht eintreten.
Es gibt eine Investigativrecherche, die den unglaublichen Einfluss des FSB weiter belegen soll und zeigen soll, wie sehr auch Putin sich auf die Geheimdienststrukturen verlässt.
Masala: Das Ungewöhnliche an dieser Recherche ist, dass die Beteiligten weiterhin Dinge erfinden, um Wladimir Putin Berichte vorzulegen, die seinem Glauben entsprechen. Man wiederholt die Fehler, die man noch vor Beginn der Vollinvasion gemacht hat.
The FSB has allowed the largest data leak. It's not just about the electronic documents that were published by "Important Stories" and "Ukrainian Truth", but the Ukrainian side has also gotten its hands on the documentation of all Russian structures in the Kursk region.
— Artur Rehi (@ArturRehi) 3. September 2024
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Wie erklären Sie sich das?
Masala: Das liegt in der Natur eines diktatorischen Regimes – alle haben Angst vor den Konsequenzen.
Im neuen Schuljahr erwarten Experten die voranschreitende Militarisierung des Unterrichts in Russland. Kinder trainieren das Aufsetzen von Gasmasken oder das Auseinandernehmen von Kalaschnikow-Sturmgewehren. Was ist das Ziel Putins dabei?
Masala: Das ist Ausdruck davon, wie sich ein autoritäres Regime immer stärker in ein totalitäres verwandelt. Mit Rekrutierung hat das noch nicht viel zu tun, schließlich sind das Kinder und der Zeithorizont, bis die eventuell zum Militär kommen, sind womöglich zehn Jahre. Nichtsdestotrotz: Da entsteht eine totalitäre, faschistoide Gesellschaft, und diese Militarisierung gehört dazu. Das haben die Nazis so gemacht, die Kommunisten auch.
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