Moskau. Der Teenager Arsenij Turbin wurde in Russland zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Er sei Teil einer „Terrororganisation“. Was steckt dahinter?

„Mama, ich werde sterben“, schreibt der heute 16-jährige Arsenij Turbin aus dem Gefängnis an seine Mutter. „Heute Abend, nach 18 Uhr, schlug mich ein Zellengenosse zweimal mit der Faust auf den Kopf. Er schlug mich und sagte, dass ich nachts gefickt würde.“ Arsenij, ein naiver Jugendlicher voller Angst, ist für die russische Justiz ein Terrorist.

Als 14-Jähriger hat Arsenij Turbin die Legion „Freiheit Russlands“ kontaktiert

Im Juni verurteilte ein Militärgericht den Jugendlichen wegen Beteiligung an einer Terrororganisation zu fünf Jahren Haft. Damals war er gerade mal 15 Jahre alt. Ja, er habe Flugblätter verteilt, in denen er Russlands Präsident Wladimir Putin wegen des Krieges in der Ukraine kritisierte. Und ja, er habe diese Flugblätter in seiner Heimatstadt Liwny in der Region Orjol in Briefkästen geworfen. Das habe er getan, mehr aber auch nicht, so Turbin vor Gericht.

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft wiegt weit schwerer. Im Sommer 2023 sei er der Legion „Freiheit Russlands“ beigetreten, auf Anweisung der Organisation habe er die Flugblätter verfasst und verteilt. Diese Legion besteht aus Freiwilligen und russischen Soldaten, die desertiert sind und sich der ukrainischen Seite angeschlossen haben. Unterstützt wird die Legion vom ehemaligen russischen Parlamentsabgeordneten Ilja Ponomarjow, der heute in der Ukraine lebt und zum bewaffneten Aufstand in Russland aufruft.

Ausgerechnet zu dieser Organisation suchte der damals 14-jährige Arsenij im Frühjahr 2023 Kontakt. Er schrieb an einen Telegram-Kanal, von dem er glaubte, er würde von der Legion „Freiheit Russland“ betrieben. Nach Ansicht der Ermittler habe er in der Folge auch einen Fragebogen der Organisation ausgefüllt. Arsenij bestreitet das. Im Gegenteil: In den Gerichtsunterlagen findet sich eine Sprachnachricht an einen Freund. Nachdem er ein Video gesehen hatte, in dem die Legion die Rückgabe der annektierten Halbinsel Krim an die Ukraine verspricht, habe er seine Meinung geändert.

„Das ist nicht fair. Er ist noch ein Kind, Mr. Wladimir Putin!“

Für die inzwischen in Russland zwangsaufgelöste Menschenrechtsorganisation Memorial ist Arsenij Turbin ein politischer Gefangener. In der E-Mail-Korrespondenz, die die Staatsanwaltschaft als Beweismittel anführt, schreibe Arsenij nur darüber, „Flugblätter aufzuhängen und Putins Propaganda zu bekämpfen“, und nicht über die angebliche Absicht, „auf das Territorium der Ukraine zu gelangen“, um der Legion zu helfen, oder „Sabotage an Militär- und Eisenbahnanlagen begehen“, so Memorial. Die Flugblätter habe er „aus innerer Überzeugung und nicht auf Anweisung von irgendjemandem“ verteilt.

Trotzdem: fünf Jahre Haft. In den sozialen Medien erfährt Arsenij viel Unterstützung. „15 Jahre alt, das ist schrecklich“, schreibt ein User auf Instagram. „I’m from Russia, I love you“, sagt ein anderer. Und: „Das ist nicht fair. Er ist noch ein Kind, Mr. Wladimir Putin!“ Der Kreml in Moskau hat bis jetzt den Fall Turbin nicht kommentiert. Arsenijs Mutter veröffentlichte seinen bislang letzten Brief. „Ich liebe dich sehr! Bitte vergib mir alles. Ich schäme mich sehr, schäme mich für all die Unannehmlichkeiten und all den Schmerz, den ich Dir zugefügt habe. Aber viele Umstände lagen leider weitgehend außerhalb meiner Kontrolle. Es tut mir leid.“