Berlin. Droht ein Angriff auf Deutschland von Außen oder Innen, dann kann das Parlament den „Notstand“ ausrufen – mit Folgen für die Bürger.

In Südkorea verliert der Präsident Yoon Suk Yeol die Nerven. Er ruft für einige Stunden das „Kriegsrecht“ aus, entmachtet das Parlament. Soldaten riegelten das Parlament in Seoul ab, drangen in das Gebäude ein. Medien und Publikationen würden der Kontrolle des Kriegsrechtskommandos unterliegen, Demonstrationen verboten. Das alles, weil die Regierungspartei mit der Opposition im Streit über den Haushalt lag.

Südkorea erlebt einen Stresstest für die Demokratie. Das Kriegsrecht auszurufen, ist in vielen Staaten eine drastische Maßnahme. Auch in Deutschland hätte das massive Folgen – obwohl es ein „Kriegsrecht“ in der Verfassung so gar nicht gibt. Das Grundgesetz sieht auch einen „Staatsnotstand“ nicht vor. Und doch kennt die Verfassung verschiedene Szenarien, die auch in Artikeln geregelt sind, darunter etwa der „Verteidigungsfall“, auch der „Spannungsfall“ und der „innere Notstand“.

Droht ein Angriff auf Deutschland „mit Waffengewalt“, regelt Artikel 115 des Grundgesetzes den „Verteidigungsfall“. Die Bundesregierung kann diesen Notfall beantragen, der Bundestag muss dem Antrag mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen, mindestens die Hälfte der Abgeordneten muss dafür votieren. Der Bundeskanzler erhält die Kommandogewalt über die Streitkräfte. Auch der Föderalismus, in dem die Länder viele Befugnisse haben, wird ein Stück weit aufgegeben – der Bund kann so schneller Maßnahmen in den Ländern durchsetzen.

Kanzler Scholz empfängt Premierminister Sunak
Erhält im „Verteidigungsfall“ mehr Macht: der Bundeskanzler. Noch bis Februar ist das Olaf Scholz. © DPA Images | Kay Nietfeld

Muss aufgrund des drohenden Angriffs so schnell gehandelt werden, dass der Bundestag nicht mehr zusammenkommen kann, trifft ein „Gemeinsamer Ausschuss“ aus Abgeordneten des Bundestags und Mitgliedern des Bundesrats die Entscheidung über den „Verteidigungsfall“. Tritt der Verteidigungsfall ein, kann auch eine Teilmobilmachung oder sogar eine Generalmobilmachung befohlen werden.

Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags beschreibt den „Spannungsfall“ als „Vorstufe“ des „Verteidigungsfalls“. Deutschland ist nicht direkt durch einen Angriff bedroht, doch eine „schwere außenpolitische Konfliktsituation“ kann zu einer Bedrohung des Landes wachsen. Der Spannungsfall soll darauf vorbereiten. Auch hier kann die Bundeswehr abseits der Kasernen im Inneren eingesetzt werden, etwa zum Schutz ziviler Gebäude. Sie hilft dann der Polizei.

Notstandsgesetze 1968: Studierende, Gewerkschaften und FDP protestierten dagegen

Ein „Innerer Notstand“ besteht laut Grundgesetz, wenn eine „Gefahr für den Bestand oder die freiheitlich demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes“ besteht. Die Bundesländer können dann Polizeikräfte anfordern. Auch die Bundespolizei kann helfen. Sogar ein Einsatz der Bundeswehr ist verfassungsrechtlich möglich.

Ostermarsch in Kiel 1968
Bewegte Zeiten: Ostermarschierer auf dem Weg zur Abschlusskundgebung in Kiel. Viele Menschen gingen damals auch gegen die beschlossenen „Notstandgesetze“ auf die Straße. © picture alliance / dpa | Horst Brix

Es waren die politischen Unruhen der 1960er-Jahre, die dazu führten, dass der Bundestag nach jahrelangem Streit 1968 diese „Notstandsgesetze“ verabschiedete. Eine Koalition aus Union und SPD hatte die nötige Mehrheit im Parlament. Die Gesetze waren damals stark umstritten, da die Grundrechte massiv beschnitten werden. Studierende, Gewerkschaften und auch die FDP protestierten dagegen, Zehntausende gingen auf die Straße – in einer Zeit, in der das politische Klima ohnehin aufgeheizt war.

Bis heute wurden die Notstandsgesetze nicht ausgerufen. Und doch: Sowohl in der Corona-Pandemie als auch seit Beginn des Ukraine-Krieges brechen immer wieder Debatten aus, wie gut auch Deutschlands Verfassung auf äußere oder innere Krisen reagieren kann.