Jerusalem. Nach einem Fußballspiel in Amsterdam wurden Israelis Opfer brutaler Angriffe. Antisemitismus und politische Hetze stehen im Mittelpunkt.
„Sie kamen maskiert und in Gruppen auf uns zugelaufen“, erzählt Ofek Ziv. Der 27-Jährige spricht hastig, als er in einer Sprachnachricht die Ereignisse vom Donnerstagabend im Stadtzentrum von Amsterdam nacherzählt. „Sie warfen mir einen Stein auf den Kopf. Mir ist nichts passiert, aber es war wirklich beängstigend.“ Laut israelischen Berichten wurden zwölf Besucher des Spiels von Maccabi Tel Aviv gegen Ajax Amsterdam bei gewaltsamen Attacken auf Israelis verletzt, laut der Amsterdamer Polizei waren es fünf, die im Krankenhaus behandelt werden mussten. Laut dem israelischen Außenministerium waren gegen Freitagmittag alle wieder entlassen.
Ziv hielt sich in einem Hotelzimmer in Amsterdam versteckt, gemeinsam mit mehreren anderen Israelis, die sich nicht mehr auf die Straßen wagen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte alle Israelis in den Niederlanden aufgerufen, das Land zu verlassen und sich in geschützte Räume zurückzuziehen. Netanjahu kündigte an, dass Militärflugzeuge die Israelis evakuieren würden. Ein Cargo-Flieger mit Sanitätern und Evakuierungsexperten war bereits startbereit, als der Flug wieder abgesagt wurde: Es sei nun doch nicht notwendig, Spezialmissionen zu schicken, hieß es. Zwei Flugzeuge der israelischen Airline EL AL sollten reichen. Oberrabbiner in Israel gaben EL AL die Erlaubnis, ausnahmsweise auch am Schabbat zu fliegen. Es handle sich schließlich um die Rettung von Menschenleben.
Das Gefühl der Unsicherheit bleibt
Wer die Täter waren? Ziv nennt sie „Muslime“. Laut Augenzeugenberichten und Videos haben sie „Free Palestine“ gerufen, was auf ein politisches Motiv schließen lässt. In Israel ist man überzeugt, dass es ein antisemitisches Pogrom war. Die Übergriffe fanden ausgerechnet zwei Tage vor dem Jahrestag des Novemberpogroms statt.
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Diesmal war es Amsterdam, Ende November vielleicht Istanbul, wo der Fußballclub Maccabi Tel Aviv das nächste Auswärtsspiel außerhalb Israels hat, aber sicher ist man als Jude nirgends – das ist das Gefühl, das nach den Amsterdamer Übergriffen bleibt. Verstärkt wird es durch die traumatischen Ereignisse des 7. Oktober, die das Sicherheitsgefühl aller Israelis erschüttert haben. So erklärt es sich, dass bald Gerüchte aufkamen, mehrere Israelis seien in Amsterdam gekidnappt worden. Bald relativierte sich das: Es gebe keine Hinweise auf Entführungen, meldete Israels Außenministerium. Sehr wohl aber hätten die Angreifer in vielen Fällen Handys und Reisepässe geraubt. Am frühen Freitagnachmittag fehlte zu drei Israelis immer noch jeder Kontakt. Verzweifelte Angehörige in Israel posteten Fotos und Kontaktadressen in sozialen Medien – mit der dringenden Bitte um Hinweise.
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Das Gefühl, als Jude in Europa zunehmend weniger geschützt zu sein, bleibt. „Mein Sohn hat bald eine Klassenfahrt nach Polen, und woher soll ich wissen, dass ihm dort nicht etwas Ähnliches passiert?“, fragt Zohar, ein Hightechangestellter aus Haifa.
Amsterdam: Polizei reagiert zu spät
Demgegenüber stehen Videos aus Amsterdam, die Massen von Maccabi-Fans zeigen, wie sie mit drastischen Beleidigungen gegen Araber hetzen. Laut Augenzeugen sollen sich die Fans zudem über tote Kinder in Gaza lustig gemacht haben. Auf einem Video ist zu sehen, wie sie eine Palästinenserflagge von einem Gebäude reißen.
Die Hetze der israelischen Fans vermag die offenbar vorab verabredete Massengewalt gegen sie zwar nicht zu erklären. Sie traf aber auf eine ohnehin angespannte Lage: Eine Demonstration gegen den Gazakrieg, die nahe dem Stadion stattfinden sollte, war von der Amsterdamer Stadtverwaltung untersagt worden. Laut israelischen Berichten hatten Geheimdienste die niederländische Polizei vorab gewarnt, dass es zu Gewalt gegen Israelis kommen könnte. Anzeichen dafür hatten sich in sozialen Medien und Chatgroups offenbar schon zuvor gehäuft.
Warum die Mobs in den Stunden nach dem Spiel von Maccabi Tel Aviv gegen Ajax Amsterdam trotzdem ungehindert durch Straßen im Amsterdamer Stadtzentrum laufen und Israelis belästigen, attackieren und verletzen konnten, ohne dass die Polizei sie daran hinderte, ist eine der Fragen, die nun geklärt werden müssen. Israels Außenminister Gideon Saar war am Freitag bereits auf dem Weg in die Niederlande.
Angriff auf Israelis: Zaka und Armee greifen ein
In Israel wurden Screenshots von Chatgroups veröffentlicht, in denen sich Taxifahrer in Amsterdam über den Aufenthalt der israelischen Fans ausgetauscht haben sollen, um sie besser attackieren zu können. In einem dieser Chats werden andere dazu aufgefordert, an verschiedenen Orten der Stadt Palästinenserfahnen aufzuhängen – als Köder für die Israelis. „Sie werden wie Ratten darauf losgehen“, schreibt einer.
Am Freitag schaltete sich die israelische Bergungsorganisation Zaka ein und rief Israelis in Amsterdam auf, sich in einem Online-Formular einzutragen. Zaka stellt dann den Kontakt zu lokalen jüdischen Adressen in Amsterdam her, wo die Betroffenen Unterschlupf finden können, bis sie ihren Rückflug nach Israel antreten. Israels Armee forderte alle Berufssoldaten und Reservisten auf, Reisen in die Niederlande abzusagen und bereits angetretene Reisen abzubrechen, auch die israelische Polizei rief alle ihre Mitglieder zurück.
„Die Welt muss aufwachen“, sagt Ofek Ziv, der sich weiter im Hotelzimmer versteckt, in der Hoffnung, bald zurück nach Israel reisen zu können. „Juden sind in europäischen Städten nicht mehr sicher.“