Berlin/Los Angeles. Der Iran entführte 2020 Jamshid Sharmahd, nun ist er tot. Seine Tochter spricht über verzweifelte Jahre – und die Schuld von Olaf Scholz.
Keine Frage: Gazelle Sharmahd ist wütend. Der verzweifelte Kampf um das Leben ihres Vaters Jamshid hat Spuren hinterlassen. Und so blickt die Deutsch-Amerikanerin, die in Kalifornien lebt, herausfordernd in die Kamera während des Interviews per Video-Call. Ein Gespräch über einen vergeblichen Kampf um das Leben ihres Vaters, die vielen offenen Fragen zur Hinrichtung durch das iranische Regime, die Verantwortung der Bundesregierung und ihre tiefe Trauer.
Liebe Gazelle Sharmahd, wie geht es Ihnen?
Gazelle Sharmahd: Wie soll es mir schon gehen? Mein Vater war vier Jahre lang in einer Terrorzelle. Niemand hat ihn in der Zeit gesehen. Das war ein Mord, der vor vier Jahren begann. Und Deutschland hat nichts getan. Amerika hat nichts getan.
Wie haben Sie vom Tod Ihres Vaters erfahren? Wer hat Sie informiert?
Ich lebe in Kalifornien. Nachrichten aus dem Iran kommen aufgrund der Zeitverschiebung immer zuerst in Europa an. Ich habe dann gesehen, dass mich Mariam Claren versucht hat, zu erreichen. Es ist die Tochter der in Teheran inhaftierten Kölnerin Nahid Taghavi, eine weitere deutsche Geisel. Noch bevor ich den Hörer abnehmen konnte, sah ich die Beileidsbekundungen von Journalisten auf meinem Telefon. Ich rief sie in düsterer Vorahnung zurück, dann haben wir beide laut geschrien.
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Wann hatten sie das letzte Mal Kontakt zu Ihrem Vater?
Im Juni durften meine Mutter und ich kurz mit ihm am Telefon sprechen. Er hat sich schrecklich angehört, hat nur gesagt: „Ich kann nicht mehr“. Er war am Ende. Wir befürchteten das Schlimmste.
Warum?
Zuvor war ein 60-tägiges Ultimatum abgelaufen, mit dem das islamische Regime versucht hatte, 2,5 Milliarden Dollar für meinen Vater von den USA zu erpressen. Es sollte Schadenersatz sein für einen erfundenen Anschlag, den mein Vater zusammen mit den USA verursacht haben soll. Natürlich sind die Vorwürfte Quatsch, doch wir wussten: Das ist ein Countdown für ihn. Wir waren im State Department und beim Auswärtigen Amt. Wir haben alles versucht, um darauf aufmerksam zu machen. Doch dieser Erpressungsversuch wurde von der amerikanischen und deutschen Bundesregierung komplett ignoriert und aus den Medien rausgehalten – und mein Vater als Geisel zurückgelassen.
Es gab ja auch noch einen Gefangenaustausch im Sommer 2023: US-Präsident Joe Biden hatte ein Abkommen mit dem Iran geschlossen, wonach fünf US-Häftlinge den Mullah-Staat verlassen dürften, nachdem Teheran Zugang zu 6 Milliarden Dollar bekommen hatte – Geld, das aus Öl-Einnahmen stammte, das aber auf einem sanktioniertem Konto in Südkorea lag. Ihr Vater war bei den Gefangenen nicht dabei.
Ich habe versucht, auf die Regierungen in Deutschland und den USA einzuwirken. Ich habe den Verantwortlichen immer wieder gesagt: „Ihr müsst zusammenarbeiten“. Für das Regime ist mein Vater ein Deutsch-Amerikaner. Ein vom Bundesnachrichtendienst oder dem israelischen Mossad gesteuerter Agent. Eine politische Geisel. Deutschland und die USA, wo er sein ständiges Aufenthaltsrecht hatte, hätten zusammenarbeiten müssen. Sie hätten gemeinsam Druck machen müssen mit drohenden drastischen Konsequenzen. Doch da ist nichts passiert.
Aus dem Iran heißt es nun, Ihr Vater Jamshid „Jimmy“ Sharmahd sei gar nicht hingerichtet worden, sondern an einem Schlaganfall gestorben.
Das würde ich auch sagen, wenn Trump an die Macht kommt und Jimmys Tochter dafür sorgt, dass Deutschland den Botschafter einbestellt, iranische Konsulate schließt und Diplomaten ausweist.
Was wissen Sie über die Umstände seines Todes?
Ich weiß nicht, ob das Terrorregime seine Hinrichtung geplant hat – oder ob er unter Folter gestorben ist. Das Regime hat dem Auswärtigen Amt seinen Tod mitgeteilt. Erst hieß es, er sei hingerichtet worden, dann, er sei an einem Schlaganfall gestorben. Weder Deutschland noch Amerika, wo Jimmy als Green-Card-Besitzer so gut wie alle Bürgerrechte besessen hat, hat einen Beweis, dass er tatsächlich tot ist. Wie und wo ist er denn gestorben? Wo ist die Leiche? Das ist alles unklar, solange es keine Autopsie gibt. Solange ich seine Leiche nicht habe, glaube ich niemandem. Ich vertraue da auch nicht den Staaten, die uns vier Jahre lang im Stich gelassen haben.
Sie meinen Deutschland und die USA.
Ich habe niemals mit Bundeskanzler Olaf Scholz gesprochen. Niemals! Nach seinem Tod hat er eine öffentliche Aussage gemacht, hat gesagt, die Hinrichtung sei ein „Skandal“. Doch Worte sind leer. Er hätte Taten zeigen müssen. Das Regime interessiert sich für Geschäfte. Für Money. Annalena Baerbock habe ich schon persönlich gesprochen. Sie redet lieb, zeigt Empathie und hat immerhin erste Schritte eingeleitet. Nun hat sie auch kondoliert. Doch wenn dir von höchster Stelle Beileid ausgesprochen wird, denkst du: Du bist sehr lieb, sehr höflich, aber ich brauche keine Grußkarten, ich brauche einen Staat, der seiner „Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern“, wie Olaf Scholz es nannte, nachkommt und sie vor Terroristen, Kidnappern und blutrünstigen Mördern beschützt. Tatsache ist: Der Mord an meinem Vater hat vor vier Jahren begonnen. Weder Deutschland noch die USA haben irgendetwas dagegen unternommen.
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Exil: Was denken Iraner in Deutschland über die Proteste?
Das sind sehr schwere Vorwürfe.
Man kann Geiseln zurückbekommen, acht Europäer und fünf Amerikaner wurden allein im letzten Jahr befreit. Das zeigt: Wenn etwas in unserem politischen Interesse ist, können wir so viel erreichen. Doch Deutschland und Amerika haben sich entschlossen, wegzuschauen, die Hinrichtung abzuwarten. Die Bundesregierung unter Olaf Scholz hat meinen Vater auf dem Gewissen. Die Biden/Harris-Administration hat meinen Vater auf dem Gewissen.
Was wissen Sie über die Haftbedingungen?
Ich weiß, dass es keine Haft war, sondern eine Geiselnahme. Es gab keinen Haftbefehl, kein Gefängnis, kein Gesetz, dass er gebrochen hat. Stattdessen wurde er von Terroristen gegen jegliches internationales Gesetz entführt und in ein Land verschleppt, das unter islamistischer Besatzung ist. Mein Vater lebte 1500 Tage ohne Sonnenlicht. Ohne an die frische Luft zugehen. Ohne mit einer Person zu reden. Ohne Information, ohne zu wissen, dass Menschen für seine Freilassung kämpfen. Ohne sein eigenes Abbild im Spiegel sehen zu können. Ohne seine dreijährige Enkeltochter kennenzulernen oder zu wissen, was seine Tochter unternimmt. Er wurde gefoltert. Das ist Hinrichtung in Raten. Er ist so stark, dass er das so lange durchhalten konnte. Ich hätte es nie durchgehalten. Keine Sekunde.
Wie haben die vergangenen vier Jahre Ihr Leben und das Ihrer Familie geprägt?
Die Geiselnahme hat mein Leben komplett verändert. Ich war beruflich Krankenschwester und habe zuletzt in der Covid-Intensivstation gearbeitet, als mein Vater entführt wurde. Seitdem bin ich hauptberuflich Mutter und Freedom Advocate. Das Schicksal sucht sich aus, wofür du gemacht bist. Anscheinend hat das Schicksal entschieden, dass ich in die Fußstapfen meines Vaters trete. Der Kampf gegen das Terrorregime und gegen den Dschihadismus weltweit hat mir eine neue Familie gegeben. Ich habe ein Netzwerk von Menschen mit Journalisten zusammengebracht. Dass Journalisten berichten, das will ich am Leben erhalten. Damit die Öffentlichkeit sieht, was Heldentum ist. Das zeigt Wirkung: In Teheran schreiben Menschen im Iran den Namen meines Vaters an Mauern.
Wie mutig manche Menschen sind, zeigt das Beispiel der jungen Frau Ahoo Daryaei, die sich mitten in Teheran aus Protest gegen die Mullahs bis auf die Unterwäsche auszog und festgenommen wurde. Das Video dazu geht seit Tagen viral.
Mein Vater Jimmy hätte gesagt: Das sind meine Kinder, für die ich nach vorne gehe. Mein Vater weiß, was ihm passieren konnte. Ahoo Daryaei wusste es auch. All die anderen Menschen auf der Straße haben ihr zugeguckt. Aber niemand hat sich getraut, sich neben sie zu stellen. Doch das Mädchen hat inspiriert, hat die Öffentlichkeit bewegt. Wir müssen diese Menschen unterstützen, bevor es zu spät ist. Wir haben nur so wenige von denen. Wir brauchen Menschen wie sie, wie Nelson Mandela, wie Vaclav Havel und wie mein Vater. Menschen, die ironischerweise von Terrorregimen als Terroristen bezeichnet werden, weil sie für die Freiheit kämpften.
Das hört sich so an, als würden Sie weitermachen mit ihrem Kampf gegen das islamische Regime.
Mein Kampf hat jetzt erst angefangen. Ich habe nun die Samthandschuhe ausgezogen. Die ganzen Sachen, die ich vorher nicht sagen durfte: jetzt sage ich sie.
Haben Sie keine Angst, dass Sie ebenfalls entführt werden könnten?
Ich wäre ja verrückt, wenn ich keine Angst hätte. Doch Mut heißt, dass du die Gefahr siehst und trotzdem den richtigen Schritt gehst.
Wie schützen Sie sich und Ihre Familie?
Ich kann mich nicht schützen. Dabei ist die Bedrohung real: So bekomme ich Nachrichten wie diese: „Dein Vater wurde in einem Sack gesteckt und entführt. Bald bist du in einem Sack.“
Bekommen Sie Polizeischutz?
Nein, gar nicht. Wir stehen allein gegen die Terroristen. Deswegen halte ich meine Familie raus, wie es mein Vater gemacht hat, als wir klein waren. Er wollte uns Kinder beschützen.
Wie beurteilen Sie vor Ihrem Hintergrund den Wahlausgang in den USA?
Was Donald Trump angeht: Ich bin kein Fan irgendeines Politikers. Allerdings hatte ich an die Verantwortlichen der abgewählten Regierung keine Erwartung. Sie haben keinen Finger gerührt und meinen Vater zurückgelassen. Politiker sollten ihrem Volk dienen und nicht umgekehrt.
In Deutschland ist die Ampelregierung zerbrochen, im Frühjahr stehen, so wie es jetzt aussieht, Neuwahlen an. Damit steht Deutschland ein Machtwechsel bevor: Die CDU könnte den Kanzler stellen, das wäre dann wohl Friedrich Merz. Haben Sie die Hoffnung, dass damit der Druck auf das Mullah-Regime zunimmt, etwa wenn es darum geht, die deutsche Geisel Nahid Taghavi zu befreien?
Ich bin Herrn Merz und der Fraktion für immer dankbar, ohne sie hätten wir es kaum geschafft, Aufmerksamkeit für Jimmy zu bekommen. In den vergangenen 45 Jahren hat es aber keinen Unterschied gemacht, wer in der Regierung ist. Die Terrororganisation namens Islamisches Regime wurde trotzdem als Staat „Iran“ gesehen, die Entführer meines Vaters als „Diplomaten“ bezeichnet, seine Peiniger und Mörder als „Handelspartner“. Mein Vater hat den ultimativen Preis für diese komplette Fehleinschätzung bezahlt: Sein Leben. Ist jetzt endlich jedem klar, dass das Terroristen sind und keine Abgeordneten? Was meinem Vater angetan wurde, ist eine Kriegserklärung an Deutschland. Jeder Tourist, jeder Unternehmer, jeder Diplomat an der Botschaft in Teheran, jede Geisel muss dort rausgeholt werden. Wir haben solche Beziehungen nicht mit anderen Terrororganisationen wie der IS, Al Kaida oder Hisbollah. Vergessen wir nicht, dass das Regime erst letztes Jahr damit gedroht hat, die gesamte deutsche Botschaft als Geisel zu nehmen. Dass sie das tun, wissen wir seit 1979, als die US-Botschaft in Geiselnahme war. Es gibt jetzt nur einen Weg und das ist der Abbruch jeglicher Beziehungen, vor allem finanziell.
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Wie war Ihr Vater? Welche Erinnerung haben Sie und was bleibt von ihm in Ihnen?
Er war so ein Vater, bei dem du dich so wie ein Küken im Schutz der Flügel eines großen Adlers fühlst. Alles, was in meinem Leben passiert ist, die schrecklichsten Sachen der Welt: Ich wusste, wenn ich mit ihm rede, wie ich das durchstehen kann. Mein Vater war Diplom-Ingenieur, der immer nach Lösungen für Probleme gesucht hat, statt zu verzweifeln. Ich würde ihn so gerne fragen: Papa, was soll ich machen. Was sind die richtigen Schritte. Meine Welt wurde mir weggenommen. Er ist so groß, so kostbar in meiner Welt. Ich bin mir sicher, er wollte mich so sehen, wie ich kämpfe. Seine Tochter ist wie er. Er fehlt mir so sehr.
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