Berlin. Nach dem Angriff auf Israel zeigen iranische Medien großen Jubel. Doch die Menschen haben Angst – und eine heimliche Hoffnung.

Die Menschen im Iran jubeln, ob in den Dörfern, den Kleinstädten oder der Metropole Teheran: Das sind die Bilder, die nach den Raketenangriffen auf Israel von den staatlichen Medien verbreitet werden. Organisierte Feiern von Anhängern des Regimes, allen voran Mitgliedern der Basidsch-Milizen, die zu den Revolutionsgarden gehören und maßgeblich für die Niederschlagung oppositioneller Proteste verantwortlich sind.

So weit der offizielle Blick auf den Iran nach dem Militärschlag. Doch wer mit den Menschen auf den Straßen spricht, die nichts mit dem Regime zu tun haben wollen – schon gar nicht mit den Basidsch-Milizen –, spürt die große Angst vor einem offenen Krieg und auch die Wut über die Eskalation. „Die Islamische Republik ist im Begriff, das Land in einen Konflikt mit einer weit stärkeren Macht zu verwickeln – zu einem unvorstellbaren Preis für das Land und seine Menschen. Und das nicht einmal für unser Land, sondern für Hassan Nasrallah,“ schreibt etwa ein 45-jähriger Mann aus Rascht, einer Großstadt im Norden des Iran, auf Telegram.  

„Der Iran muss gelegentlich seine Stärke gegenüber Israel demonstrieren“

Sadschad, ein Politikwissenschaftsstudent in Teheran, erklärte in einem Gespräch auch über Telegram: „Um diese Anhänger zufriedenzustellen, muss das Regime gelegentlich seine militärische Stärke gegenüber Israel demonstrieren.“ Diese Fraktion stelle für das Regime eine wichtige Stütze dar, besonders während Wahlen, Krisen und vor allem bei Straßenprotesten, bei denen sie als treue Unterstützer gegen die Demonstranten vorgehen.

Irans oberster Führer, Ajatollah Ali Chamenei, mit einem Porträt des von Israel getöteten Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah. Chamenei sprach am Tag noch dem Luftangriff auf Israel mit iranischen Wissenschaftlern.
Irans oberster Führer, Ajatollah Ali Chamenei, mit einem Porträt des von Israel getöteten Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah. Chamenei sprach am Tag noch dem Luftangriff auf Israel mit iranischen Wissenschaftlern. © AFP | -

Die Unterstützung für Palästina, die „Befreiung Jerusalems“ und die „Zerstörung Israels“ bilden zusammen mit Antisemitismus die ideologischen Grundpfeiler der politischen und sicherheitspolitischen Doktrin der Islamischen Republik. Schon in den ersten Schuljahren beginnt die Propaganda gegen die Existenz Israels, und die staatlichen Radio- und Fernsehsender sind voll von antiisraelischen und antisemitischen Inhalten. Jede Kritik an palästinensischen Gruppen wie Hamas oder an Organisationen wie der Hisbollah wird vom Regime streng geahndet.

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Dennoch hat diese Propaganda, insbesondere bei jüngeren Iranern, zunehmend weniger Wirkung. Maryam, eine 33-jährige Elektroingenieurin aus Teheran, sagt dazu: „Der Iran könnte ein Freund Israels in dieser Region sein und daraus erheblichen Nutzen ziehen. Diese Feindschaft hat uns nur Sanktionen und die Gefahr eines Krieges gebracht.“

Die Menschen verteilen Kuchen und süße Getränke

Drastischere Worte findet die 71-jährige Exil-Iranerin Shiva Rostami aus Essen. Sie kämpfte 1979 gegen Schah Reza Pahlavi und floh einige Jahre später vor den Mullahs. Für die Proteste „Frauen! Leben! Freiheit!“, die nach dem Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini im ganzen Land aufflammten, reiste sie mehrfach in ihre Heimat. Inzwischen ist eine weitere Einreise in den Iran zu gefährlich. Aber aus den täglichen Telefonaten mit ihren Verwandten weiß sie: „Viele Iraner stehen fest hinter Israel.“

Allein deswegen seien sie „sehr zufrieden“ mit der Entwicklung: Sie haben die Hoffnung, dass durch einen offenen Krieg mit Israel das Mullah-Regime endlich gestürzt wird. Und deshalb feierten sie wie die Anhänger des Regimes, nur aus anderen Gründen. „Sie verteilen Kuchen und süße Getränke“, sagt Shiva Rostami, „und machen sarkastische Witze, dass sie noch dick werden, wenn das so weitergeht.“ Selbst in der Stadt Ghom, wo das Machtzentrum der Mullahs ist, sei heimlich Kuchen verteilt worden aus der freudigen Erwartung heraus, die Eskaltion möge ihr Ende einläuten.   

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Hoffnung auf den Sturz des Mullah-Regimes

Die Hoffnung, dass Israel gezielt gegen Militäreinrichtungen und die führenden Köpfe des Regimes vorgeht, sei größer als die Angst. Genährt worden sei die Hoffnung durch die massenhaft explodierten Pager der Hisbollah-Mitglieder im Libanon. „Viele Menschen setzen darauf, dass sie rechtzeitig gewarnt werden, bevor Israel zuschlägt.“

Sie sehnten regelrecht den Aufruf der Israelis herbei, die Gegend rund um das Hauptquartier Ali Chameneis zu verlassen, des obersten Führers des Iran. „Doch weil die Mullahs sich wie die Hisbollah im Libanon und die Hamas in Gaza immer dort verstecken, wo die Menschen sind, ist es natürlich brandgefährlich.“ Denn klar sei: „Wenn Krieg kommt, werden Menschen sterben. Es wird Explosionen geben, wo Öl gefördert wird. Es wird viel zerstört werden.“ Das wüssten auch die Israel-Anhänger. „Aber sie sagen: Wenn wir von den Mullahs befreit werden wollen, müssen wir das Risiko eingehen.“

Ajatollah Ali Chamenei vor einem Bild des getöteten Hisbollah-Anführers Hassan Nasrallah.
Ajatollah Ali Chamenei vor einem Bild des getöteten Hisbollah-Anführers Hassan Nasrallah. © AFP | -

Im Iran bereiten sich die Menschen mit Hamsterkäufen auf den Rückschlag Israels vor

Dabei gehe es nicht nur um die Freiheit der Menschen: „Viele haben auch Angst vor der Atombombe“, sagt Rostami. Eben weil sie den Mullahs alles zutrauten: „Wenn sie die Iraner entwickeln, und danach sieht es aus, wenn sie an die Bombe kommen, dann ist die Menschheit in Gefahr.“

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Was Krieg bedeutet, hat Rostami selbst in den 1980er-Jahren erfahren: Damals lieferte sich der Irak mit seinem Nachbarland Iran einen Krieg, der acht Jahre dauerte. Bei vielen älteren Iranern dominiert allerdings die Angst vor einem neuen Krieg. So erklärt der 65-jährige Alireza, der damals seinen Wehrdienst leisten musste: „Obwohl die Islamische Republik den Krieg gegen den Irak nicht begonnen hat, hat sie diesen sinnlosen Krieg unnötig in die Länge gezogen, was zahllose Menschenleben forderte und die Wirtschaft des Landes ruinierte. Der Gedanke, dass auch die kommenden Generationen die Folgen eines Krieges erleben könnten, erfüllt mich mit Schrecken. Ein Krieg mit Israel wäre noch verheerender.“

Iranische Fateh-110 Boden-Boden-Rakete
Eine iranische Boden-Boden-Rakete des Typs Fateh-110. © picture alliance / AP Photo | Vahid Reza Alaei

In den sozialen Netzwerken kursieren schon Witze über die Raketen der Revolutionsgarde

Und doch bereiten sich die Menschen in den großen Städten bereits vor: Sie bevorraten sich, tätigen Panikkäufe, horten Benzin, wie die langen Schlangen vor den Tankstellen beweisen. Vahid, ein Journalist, der während der Proteste im Jahr 2022 inhaftiert wurde, berichtet, die Sorge der Menschen sei überall im Alltagsleben spürbar, ob in den Taxis und Bussen, vor Bäckereien oder an den Zeitungskiosken.

In den sozialen Netzwerken wird diese Sorge rege geteilt – auch mit Humor: So kursieren Witze über die Raketen der Revolutionsgarde. Doch hinter diesen Scherzen stecke, wie Vahid betont, „eine tiefe Furcht vor einem Krieg, der den Iran um Jahrzehnte zurückwerfen könnte, wenn nicht gar in den völligen Untergang führt“.

* Alle Namen sind aus Gründen der Sicherheit geändert