Berlin. Militärexperte Masala fürchtet eine unkontrollierbare Eskalationsspirale. Im Interview schätzt er die nächsten Schritte Israels und Irans ein.

Israel wird den Angriff des Iran nicht auf sich sitzen lassen. Davon geht der Militärexperte Carlo Masala fest aus. Für die verbündeten USA ist die aktuelle Krise ein echtes Spannungsfeld.

Herr Masala, Sie fürchten eine umfassende Eskalation im Nahen Osten, Dynamiken, die sich schlimmstenfalls verselbständigen … An welches Szenario denken Sie?

Carlo Masala: Es wird in den nächsten Tagen einen Gegenschlag der Israelis geben. Darauf könnte der Iran wiederum antworten, und zwar auch, indem er seine ganzen Verbündeten in der Region aktiviert, ebenfalls gegen Israel vorzugehen – womöglich auch gegen amerikanische Einrichtungen in der Region.

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Eigentlich hat keiner der drei Akteure – Israel, Iran, der Libanon – ein Interesse an einem großen Krieg …

Masala: Nun ja, am Ersten Weltkrieg hatte auch niemand ein Interesse, und trotzdem ist er ausgebrochen. Es kommt irgendwann zu einer Eskalationsspirale, die die Akteure nicht mehr kontrollieren können. Da kommen viele Faktoren zusammen – innenpolitischer Druck, Eliten-Diskussionen … Ein Beispiel: Die USA haben gesagt, sie unterstützen keine Schläge gegen iranische Nuklearanlagen. Heißt das, dass Israel deswegen keine iranischen Nuklearanlagen angreifen wird? Nein!

Carlo Masala

Er ist einer der bekanntesten Militärexperten in Deutschland. Masala (Jahrgang 1968) lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Konflikt in der Ukraine.

Für den Iran gilt: Eigentlich kann sich das Land einen großflächigen Krieg aus wirtschaftlichen Gründen nicht leisten. Es müsste vielmehr beschwichtigen und international auf die Lockerung von Sanktionen hoffen. 

Masala: Das müsste spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, den Russland sich ökonomisch auch nicht leisten kann, klar sein: Der Iran hätte sich schon den zweiten Schlag nicht leisten können und hat es trotzdem gemacht. Im Land gab es eine Auseinandersetzung zwischen den Hardlinern, die sagen: Wir müssen reagieren, und denen, die sagen, wir sollten stillhalten. Das alles hat mit innenpolitischen Konstellationen zu tun, wer die Macht hat und sich letztlich durchsetzt – so wie in diesem Fall die Hardliner.

Ein Beschwichtigungsszenario fällt demnach aus?

Masala: Jetzt ist der Ball erstmal im Feld der Israelis. Der Iran muss aktuell nichts beschwichtigen. Teheran fährt eine deutliche Rhetorik: Wenn die Israelis angreifen, wird der Gegenschlag härter sein. Das ist es, was momentan auf dem Tisch liegt.

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    Was für einen Gegenschlag Israels erwarten Sie?

    Masala: Das ist schwer zu kalkulieren. Es könnte Schläge gegen iranische Nuklearanlagen geben, gegen Kommandozentralen der Islamischen Revolutionsgarden und des Regimes bis hin zu Produktionsanlagen.  

    Wie heftig müsste der Gegenschlag denn sein, um in Israel als adäquate Antwort auf die ballistischen Raketen Irans zu gelten? Obwohl der Raketenhagel das Ziel hatte, Israel militärisch zu treffen, sind relativ wenig Schäden entstanden. 

    Masala: Wir wissen nicht, wie viel Schaden genau auf den israelischen Militärbasen entstanden ist. Laut ein paar Satellitenbildern ist zumindest eine Luftwaffenbasis in Teilen beschädigt worden. Aber zur Antwort Israels: Auch hier finden sich Hardliner wie der Ex-Premier Naftali Bennett, der sagt: Wir haben die Möglichkeit, den Mittleren und Nahen Osten neu zu ordnen. Wenn Sie sehen, wie Israel im Libanon gegen die Hisbollah vorgeht, können Sie momentan nicht bestimmen, wie heftig dieser Gegenschlag werden wird. Da wird es intensive Verhandlungen mit den USA geben. Wird sich Israel nach den Wünschen der Amerikaner richten? Nicht unbedingt.

    Ist der Falke Bennett auch einer, der den Zeitpunkt für gekommen sieht, um iranische Nuklearanlagen anzugreifen?

    Masala: Seine Äußerung von einer möglichen Neuordnung der Region schließt einen solchen Schlag nicht aus.

    Kann Israel sich der unverbrüchlichen Solidarität seiner Partner in einem möglichen Fünf-Fronten-Krieg noch sicher sein? Zumindest die USA waren sehr gegen eine Bodenoffensive im Libanon, und sie sind gegen eine offene Konfrontation mit dem Iran …

    Masala: Biden ist in einer Zwangslage: Es gibt die Unterstützung für Israel bei Teilen der Demokraten und der Republikaner, während manche Demokraten sie kritisieren. Biden selbst befindet sich nicht im Wahlkampf, aber seine Vize Kamala Harris schon. Das ist ein Spannungsfeld, in dem sich Biden bewegt. Also, er wird den Israelis nicht komplett die Unterstützung versagen können.

    Was, wenn die Israelis tatsächlich Isfahan oder Natans angreifen?

    Masala: Dann sind die Angriffe schon erfolgt, und kein amerikanischer Präsident kann es sich leisten, einen Gegenschlag der Iraner unbeantwortet zu lassen, indem er Israel nicht hilft, ihn abzufangen.

    Welche Rolle sehen Sie auf Deutschland zukommen?

    Masala: Im Mittleren oder Nahen Osten haben wir keinen Einfluss. Die deutsche Rolle kommt möglicherweise dann, wenn das alles vorbei ist und wir etwa über multinationale Truppen reden, über ökonomische Abfederung von politischen Ergebnissen. Kommt es zu einer Eskalation oder nicht? Das können wir nicht beeinflussen.