Jerusalem/Berlin. Rund 3000 Pager sind nahezu zeitgleich explodiert – ausgelöst wohl per SMS. Trotz des Erfolgs für Israels Geheimdienste gab es eine Panne.
Tomaten, Zwiebeln und Gurken stapeln sich, zwischen den Gemüseständen schlendern einkaufende Männer – und plötzlich ein dumpfer, lauter Knall. Ein Mann mit Schirmkappe fällt zu Boden und schreit vor Schmerz, während andere fassungslos zusehen, wie Blut aus dem Körper strömt. So ähnlich wie in dem Video, das millionenfach geteilt wurde, spielte es sich am Dienstag um 15.30 Uhr rund 3000-mal an zahlreichen Orten im Libanon und in Syrien ab.
Bald war klar: Jemand hatte winzige Pager-Funkgeräte zum Explodieren gebracht, offenbar per Fernzündung. Und kaum jemand bezweifelt, dass Israel dahintersteckt.
Geheimdienstaktion von Israel? Explosion erfolgte nach SMS
Zwölf Menschen starben, mehr als 2700 Menschen wurden verletzt, 200 davon schwer, meldet das libanesische Gesundheitsministerium. Viele verloren ein Auge, andere eine Hand, einige Verletzte wurden mit offenen Bauchverletzungen in die Krankenhäuser gebracht – je nachdem, ob sie die Pager zum Zeitpunkt der Explosion in der Hand hielten oder in der Hosentasche trugen. „Der Grad der Verletzung hängt wohl davon ab, wer schneller darin war, die SMS zu öffnen“, sagt Eyal Pinko, Experte von der israelischen Bar-Ilan-Universität.
Die Pager wurden nämlich per SMS zum Explodieren gebracht. Die SMS könnte einen Kurzschluss in der Lithiumbatterie der Pager ausgelöst haben, wodurch sich die Batterien blitzschnell erhitzten. Die Pager-Geräte waren im Vorfeld mit „sehr geringen Mengen TNT“ präpariert worden, so Pinko. Durch die starke Erhitzung der Batterie sei dieser Sprengstoff zur Detonation gebracht worden.
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Ein taiwanisches Unternehmen – und womöglich eine Briefkastenfirma in Ungarn
Wie aber haben sich die israelischen Geheimdienste Zugang zu den Funkgeräten der Hisbollah verschafft? Fest steht: „Das ist eine extrem ungewöhnliche Aktion“, sagt Orna Mizrahi, Iran-Expertin des Instituts für Sicherheitsstudien in Tel Aviv. „Sie zeigt einen sehr hohen Grad an Geheimdienstkompetenz.“
Es gibt starke Hinweise, dass Israel mit Verbindungsleuten in Europa kooperiert hat. Die Pager-Geräte sollen mit der Lizenz eines taiwanischen Unternehmens in Ungarn zusammengesetzt worden sein. Ob der Sprengstoff bereits dort oder erst im Zuge der Lieferkette angebracht wurde, ist unklar. Vieles spricht dafür, dass sie bereits bei der Anfertigung präpariert wurden: Der Firmensitz des ungarischen Subunternehmens, das die Pager herstellen soll, könnte eine Briefkastenfirma sein, die Webseite ging Mittwochmorgen vom Netz.
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Hisbollah wollte sich mit Pagern eigentlich schützen
Die Pager waren erst vor Kurzem in den Libanon geliefert worden. Eigentlich hätten sie ihre Träger vor israelischen Interventionen beschützen sollen: Die Hisbollah-Führung hatte entschieden, nun auch einfache Mitglieder mit Pagern auszustatten, um die Kommunikation nicht mehr über das Smartphone durchführen zu müssen. Mobiltelefone und Smartphones können von israelischen Geheimdiensten leichter überwacht und gehackt werden, während Pager keine Verbindung zum Mobilnetz haben und über GPS nicht zu orten sind. Nun wurde den Terroristen diese Sicherheitsmaßnahme zum Verhängnis.
Laut Israel wurden bei der Attacke zum Großteil Hisbollah-Mitglieder verwundet und getötet, darunter auch einige hochrangige Mitglieder und Generäle. Auch der iranische Botschafter im Libanon wurde bei der Attacke verletzt. Die Hisbollah selbst spricht von nur acht getöteten Kämpfern. Tatsächlich ist unklar, wie viele Zivilisten bei dem Vorfall zu Tode kamen. Unter den Toten finden sich auch zwei Kinder.
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Drahtziehern könnte ein heikler Fehler unterlaufen sein
Warum startet Israel so eine Attacke ausgerechnet jetzt? Eine solch spektakuläre Aktion sei ein einzigartiger Trumpf, den man gut überlegt einsetzen sollte, sagt Experte Eyal Pinko – vergleichbar mit einer Pistole, die nur eine Kugel im Magazin hat. Man sollte sorgfältig abwägen, wann man sie einsetzt.
Und genau hier dürfte den Drahtziehern trotz aller Perfektion ein heikler Fehler unterlaufen sein. Ursprünglich wollte man die Pager-Bomben im Rahmen einer groß angelegten israelischen Offensive im Libanon einsetzen – diese hat aber noch nicht begonnen. Dass die Aktion schon jetzt gestartet wurde, soll laut einem Bericht von Al-Monitor an einer Panne liegen: Mehrere Hisbollah-Funktionäre haben demnach schon vor Tagen bemerkt, dass mit den Pagern etwas nicht stimmt und sie womöglich präpariert sind. Um zu verhindern, dass die extrem aufwendige Aktion bereits vor ihrer Durchführung ans Licht kommt und abgesagt werden muss, gab Israels Militärführung offenbar schon jetzt das Kommando zum Angriff.
Jetzt droht ein großer Krieg im Nahen Osten
Wie wird die Hisbollah nun reagieren? Deren oberster Führer Hassan Nasrallah hat für Donnerstag eine öffentliche Rede angekündigt, die mit Spannung erwartet wird. Iranische Kreise haben jedenfalls bereits klargestellt, dass sie die Aktion als neue Eskalationsstufe sehen – und dass man auf derselben Ebene reagieren wird. Es könnte dann Angriffe auf Israel mit einer größeren Zahl an Verletzten und Toten geben. Das wäre der Beginn des großen Krieges zwischen der Hisbollah und Israel, aber auch Syrien, Jemen, Irak und Iran – und er könnte lange dauern.
Ohne die Unterstützung der USA könne Israel einen solchen Krieg nicht stemmen, ist Expertin Orna Mizrachi überzeugt. Daher stimmt sich Israel im Vorfeld heikler Missionen sonst mit Washington ab. Diesmal dürfte dies nicht geschehen sein. Da die Aktion aufgrund der Panne vorzeitig gestartet werden musste, blieb Washington außen vor. Die USA versuchen seit Monaten, den Ausbruch eines großen Krieges in der Region zu verhindern.
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