Hamburg. Statt Abriss: Grüne wollen Sanierung prüfen. SPD-Fraktionschef nennt Vorstoß des Koalitionspartners „reines Sommertheater“.

Sie ist den Hamburgern mit ihrem „stabilen Charme“ ans Herz gewachsen und seit Langem ein Wahrzeichen der Hansestadt. So schreibt es selbst die Stadt auf ihrer Internetseite über das Bauwerk, das nun offenbar erneut für Diskussionsbedarf innerhalb des Hamburger Regierungslagers sorgt.

Denn wie das Abendblatt exklusiv berichtete, plädiert Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) dafür, den Erhalt der Köhlbrandbrücke noch einmal zu überprüfen, sollte sich der durch die „Zeit“ bekannt gewordene Vorwurf bewahrheiten, dass das zentrale Gutachten aus dem Jahr 2008 gar nicht den Abriss des Bauwerks gefordert habe, sondern den Erhalt. Diesen Appell hatte Kerstan im Abendblatt als „Privatmeinung“ an den Senat und damit seine eigene Regierungsfraktion gerichtet.

Köhlbrandbrücke in Hamburg: Auch Grünen-Fraktion fordert Prüfung des Erhalts

Doch offenbar stellt sich auch die Grünen-Fraktion hinter ihren Senator, denn Miriam Putz, wirtschafts- und hafenpolitische Sprecherin, fordert ebenfalls eine „gründliche Prüfung, ob die Köhlbrandbrücke erhalten bleiben kann“. Die Köhlbrandquerung, so Putz, sei ein wichtiges Zukunftsprojekt für unsere Stadt und den Hafen. Den Regierungsfraktionen sei es ein wichtiges Anliegen, dass in dieser Sache verantwortungsvoll und gewissenhaft agiert und entschieden werde.

Wenn sich dies als möglich erweisen sollte, „dann ist der Erhalt eine gute und kostengünstige Möglichkeit. Im Hamburger Hafen stehen in den nächsten Jahren sehr große Investitionen an, sodass gut abgewogen werden muss, welche Gelder wo eingesetzt werden“, sagte Pütz. Deshalb müsse nun zügig herausgearbeitet werden, ob die Erkenntnisse aus dem Jahre 2008 auch heute noch Bestand haben – und sich die damaligen Vorschläge zur Sanierung der Köhlbrandbrücke tatsächlich anbieten.

Kienscherf (SPD): „Finale Lebensdauer für Köhlbrandbrücke beschränkt“

Gegenwind kommt vom Koalitionspartner: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Kienscherf nennt den Vorstoß aus den Reihen des grünen Koalitionskollegen „reines Sommertheater“ und rät Kerstan, „nicht mit Halbwissen in den Fachbereichen anderer Senatsmitglieder unterwegs“ zu sein. Vielmehr solle sich der Senator „primär um die vielen Baustellen in seinem eigenen Ressort“ kümmern.

Nachdem SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher am Wochenende nochmals die Pläne für einen Ersatz der Brücke bekräftigte – und den Bund aufforderte, die Hälfte der dafür anfallenden Kosten zu übernehmen, steht auch für den Fraktionsvorsitzenden fest: „Die Notwendigkeit einer neuen Köhlbrandquerung ist fachlich leider unbestritten. Im Nachgang zu dem Gutachten von 2008 wurde nach den neuen Untersuchungsrichtlinien des Bundes festgestellt, dass die finale Lebensdauer für die Köhlbrandbrücke beschränkt ist.“

Zudem gewährleiste die Brücke nicht mehr die für heutige Containerschiffe wichtigen größeren Durchfahrtshöhen. „Das ist für den Hafen Fakt. Es gibt daher dringenden Handlungsbedarf“, sagte Kienscherf dem Abendblatt. Für die langfristige Konkurrenzfähigkeit Hamburgs im europäischen Wettbewerb gehe es jetzt darum, eine neue Köhlbrandquerung voranzutreiben – entweder als neue Brücke oder als Tunnel.

CDU nennt Verhalten des Senats bei Köhlbrandbrücke „abenteuerlich“

Götz Wiese, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, findet das Auftreten des rot-grünen Senats in der Frage der Köhlbrandquerung „geradezu abenteuerlich“. „Als wäre die bereits aufgeheizte Diskussion um die neue Hafenroute nicht genug, mischt jetzt auch noch der Umweltsenator nebenbei mit seiner ,Privatmeinung‘ mit. Mit seriöser Standortpolitik hat das alles nichts mehr zu tun, und die Äußerungen sind ein weiteres Indiz dafür, dass der Bürgermeister seine Truppe nicht im Griff hat.“

Die aktuelle Antwort des Senats auf eine schriftliche Anfrage Wieses zur Köhlbrandbrücke zeige zudem noch einmal den Bedarf für eine neue Köhlbrandquerung, da laut der HPA-Ausschreibungsunterlage aus dem März 2023 die jetzige Brücke etliche Schäden aufweist. „Ab 2030 wird mit massiven Beeinträchtigungen, insbesondere beim Schwerverkehr, gerechnet. Entscheidend ist, dass der Senat jetzt endlich eine verbindliche Planung und Finanzierung für den Bau einer neuen Köhlbrandquerung vorlegt, da Hamburgs Wirtschaft auf eine leistungsstarke Hafenroute angewiesen ist“, sagte Wiese.

CDU: Bloße Instandsetzung nicht ausreichend

Die bloße Instandsetzung der alten Brücke sei Wieses Ansicht demnach nicht ausreichend – „zumal das Höhenproblem nicht gelöst würde und während der Bauphase monatelange Sperrungen drohen. Für die CDU ist klar: Hamburg muss der Wirtschaft die besten Voraussetzungen bieten, damit auch in Zukunft Umschlag und Warenverkehre in Hamburg stattfinden.“

Und auch bei der Linksfraktion sorgt der rot-grüne Senat mit seinem Vorgehen in Sachen Köhlbrandquerung für Misstrauen. „Tröpfelweise kommen Informationen über die Köhlbrandquerung ans Licht“, sagt Norbert Hackbusch, Sprecher für Haushalt, Kultur, Hafen. Die Linke hatte vom Senat 2021 eine umfassende Darstellung der Entscheidungsgrundlagen in der Abwägung zwischen Brücke und Tunnel gefordert – inklusive Kosten-Nutzen-Analyse auf Basis technischer Fragen als auch Investitionskosten der beiden Varianten und deren Betriebskosten. „Keine der dort angegebenen Ersuchen sind bis heute erfüllt“, sagt Hackbusch.

Wirtschaftssenatorin Leonhard lässt Bau eines Tunnels neu prüfen

Zudem habe Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) die Planungen für den Bau des Tunnels gestoppt, nachdem bekannt geworden war, dass die Kosten dafür erheblich steigen würden, und lasse die (schon beschlossene) Tunnelvariante neu prüfen.

„Jetzt die Informationen, dass die Studien zum Erhalt der Brücke verschwiegen wurden. Auf dieses Chaos gibt es nur die Antwort, dass sämtliche Studien zur Köhlbrandquerung veröffentlicht werden müssen“, sagte Hackbusch. Laut dem Linken-Politiker gebe es darüber hinaus auch Hinweise darauf, dass nicht nur die Bodenuntersuchungen ungenügend waren, sondern auch der Bohrtunnel ungerechtfertigt favorisiert wurde.

Auch Anna von Treuenfels-Frowein, fraktionslose FDP-Bürgerschaftsabgeordnete, unterstützt Kerstan in seinem Vorstoß: „Senator Kerstan hat recht: Die Brücke hat ikonischen Wert für Hamburg. Wenn sie mit vertretbarem Aufwand erhalten werden kann, sollte alles dafür unternommen werden.“ Der FDP-Politikerin zufolge sei es allerdings auch eine für den Steuerzahler teure und für Rot-Grün peinliche Posse, dass seit Jahren ergebnislos an dem Thema Köhlbrandquerung herumgedoktert werde.

Für AfD-Fraktionschef und verkehrspolitischen Sprecher Dirk Nockemann offenbart die Frage über die Zukunft der Köhlbrandbrücke „einmal mehr den unehrlichen Umgang des Senats mit den Bürgern“. Seit 15 Jahren werde behauptet, die Brücke sei zu marode für eine Sanierung, obwohl dem Senat anderslautende Gutachten vorlagen.

„Die zentrale Frage ist, wie Hafenbelange optimal gestaltet werden können und zugleich der beste Verkehrsfluss gewährleistet ist. Auch die großen Containerschiffe von heute und morgen müssen den Hafen ungehindert erreichen können.“ Ein Tunnel sei deshalb die beste Lösung.

Denkmalverein Hamburg möchte Wahrzeichen erhalten

Der Denkmalverein Hamburg plädiert für den Erhalt der Brücke, da sie zum einen unter Denkmalschutz steht und seit fast 50 Jahren das Hamburger Stadtbild prägt. Seit ihrem Bau sei die Brücke ein Wahrzeichen. „In dieser Bedeutung kann sie durchaus mit den Hauptkirchen auf eine Stufe gestellt werden – aber es käme niemand auf die Idee, den Michel abzureißen.“

Angesichts der gegenwärtigen Entwicklung des Hafens wäre ein Abriss der Brücke aus Sicht des Vereins schlicht unnötig, weil größere Schiffe auch in anderen Hafenbereichen abgefertigt werden könnten. „Falls ein Tunnel gebaut würde, könnte die Brücke bestehen bleiben und zu einer Hamburger „High Line“ für Fußgänger und Radfahrende umgestaltet werden, gegebenenfalls ergänzt um je eine statisch unbedenkliche Pkw-Spur.“

Eine Erhaltung allein der Pylone, so wie es im aktuellen Koalitionsvertrag der Regierung angedacht wird, würde dieses Meisterwerk der Ingenieurbaukunst verstümmeln und wäre dem Denkmalverein zufolge daher nicht denkmalgerecht.