Hamburg. Jusos verlangen neutrale Prüfung. Sogar Fraktion zeigt sich plötzlich offen. Das könnten die ersten Strecken sein.

Lange Zeit plädierten viele in der Hamburger SPD für die (Wieder-)Einführung einer Straßenbahn in der Hansestadt, 2011 aber kassierte Olaf Scholz alle Ambitionen und Planungen seiner Parteifreunde mit einem bis heute unumstößlich erscheinenden Bastawort. Das zuletzt meist als Stadtbahn bezeichnete modernisierte Verkehrsmittel passe nicht zu Hamburg, so seine keinen Widerspruch duldende Verkündung.

Peter Tschentscher, Scholz’ Nachfolger als SPD-Bürgermeister, hielt diese Linie bis vor Kurzem eisern durch. Noch im vergangenen Jahr bezeichnete Tschentscher die modernen Stadtbahnen, die weltweit von immer mehr Städten eingesetzt wenden, als „altmodische Stahlungeheuer“. Sie zerschnitten die Verkehrsräume und seien nicht mehr zeitgemäß.

Nun aber wächst offenbar auch in der SPD der Widerstand gegen solche von oben verfügten Debattenverbote. Zum Parteitag am kommenden Wochenende haben die Jusos jetzt einen Antrag eingebracht, in dem der Parteinachwuchs fordert, die „kontinuierliche Verkehrsplanung für Hamburg durch den Bau einer Niederflur-Straßenbahn zu ergänzen“.

Straßenbahn: Nein von Scholz hat sich „als Fehler erwiesen“

Der Kurswechsel von 2010 und die Entscheidung von Olaf Scholz gegen die Stadtbahn habe sich „schon nach wenigen Jahren als Fehler erwiesen und bedroht mittlerweile die Erreichung der Ziele, welche sich SPD und Grüne in Hamburg zur Mobilitätswende gesteckt haben“.

Das Ziel, dass im Jahr 2030 bereits 80 Prozent des Verkehrs in Hamburg mit Bussen und Bahnen, dem Rad oder zu Fuß abgewickelt werden soll, sei nur zu erreichen, wenn auch „die seit Jahrzehnten offensichtlichen Lücken zwischen Bus und Schnellbahn geschlossen werden, um so ein flächendeckendes, attraktives und wirtschaftliches Angebot bieten zu können“, heißt es in dem Juso-Antrag.

Konkret fordern die Jungsozialisten: Die SPD-Bürgerschaftsfraktion müsse die „Niederflur-Straßenbahn“ in ihre verkehrspolitischen Ziele aufnehmen. Mögliche Strecken sollten in die Verkehrsentwicklungsplanung übernommen und in der Folge auch bereits vorbereitet werden. Die Hochbahn solle mit einer Untersuchung beauftragt werden, wie ein Straßenbahnnetz den bereits geplanten Schnellbahnausbau ergänzen könne, so die Jusos.

Straßenbahn: Jusos schlagen konkrete Strecken vor

Auch konkrete Strecken hat der SPD-Nachwuchs bereits im Blick: Eine Machbarkeitsuntersuchung müsse es für eine Strecke zwischen Altona und City Nord mit einer Weiterführung über Farmsen bis Rahlstedt als Ergänzung zur U5 geben – außerdem für eine mögliche Trasse vom Berliner Tor über die Veddel und das Reiherstiegviertel bis nach Kirchdorf Süd.

Zudem solle die Hochbahn untersuchen, ob die Bahnstrecke zwischen Bergedorf und Geesthacht als „Niederflur-Regional-Stadtbahn“ möglich sei – mit einer Führung über Bahnhof Bergedorf und Lohbrügge bis nach Mümmelmannsberg.

Jusos sehen Straßenbahn nicht als Absage an die U5

Die Jusos sehen ihre Forderung nach einer Straßenbahn dabei nicht als Absage an die U5, mit deren Bau bereits begonnen wurde. „Mit der Ergänzung durch die Straßenbahn kann der Ausbau der schienengebundenen Verkehrsmittel deutlich beschleunigt werden und so ein wichtiger Beitrag für die Mobilitätswende in Hamburg geleistet werden“, heißt es in dem Antrag.

„Da beim Bau einer Straßenbahn viele ohnehin notwendige Maßnahmen, wie zum Beispiel die routinemäßige Straßeninstandhaltung, und Ausbaumaßnahmen des Busliniennetzes eingespart werden können, sind die tatsächlich anfallenden Mehrkosten im Vergleich zum Schnellbahnausbau sehr gering. Schnell- und Straßenbahn können also parallel ausgebaut werden.“ Das sei auch wichtig, um die „Resilienz der öffentlichen Verkehrsmittel zu erhöhen“, so die Jusos. „So verhindern wir, dass durch den Ausfall einzelner Verbindungen ganze Stadtteile vom ÖPNV-Netz abgeschnitten werden.“

Straßenbahn: Auch SPD-Fraktion plötzlich offen

An der Spitze der SPD-Bürgerschaftsfraktion versucht man nun erkennbar, die Bedeutung der neuen innerparteilichen Debatte herunterzuspielen. „Wir müssen insgesamt beim Schienenverkehr vorangehen und nicht dauernd immer wieder die Systemfrage stellen“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf dem Abendblatt. Dass daraus ein „Glaubenskrieg“ zwischen U5 und Stadtbahn gemacht worden sei, liege nicht in der Verantwortung der SPD.

Bei den Tangentialverbindungen könne es durchaus künftig auch weitere Schienenverbindungen geben, so Kienscherf. „Erst mal müssen wir unsere aktuellen Projekte umsetzen. Ob es in zehn Jahren in Hamburg ein weiteres Schienensystem gibt, da bin ich doch ganz offen.“ Dass damit nur eine Straßen- oder Stadtbahn gemeint sein kann, weiß auch Kienscherf. Aber das Wort will er lieber noch nicht benutzen. Wer in der Hamburger SPD-Spitze will schon Olaf Scholz widersprechen?