Hamburg. Grüne Vorsitzende des Schulausschusses widerspricht Aussagen von SPD und eigener Parteifreundin. Scharfe Kritik an Initiative.

Der Umgang von Schulsenator Ties Rabe (SPD) mit der Corona-Pandemie und Untersuchungen über Ansteckungen an Schulen sorgt mittlerweile auch innerhalb der rot-grünen Koalition für offene Auseinandersetzungen. Jetzt hat die Vorsitzende des Schulausschusses, Sina Demirhan (Grüne), einer Pressemitteilung der SPD- und Grünen-Bürgerschaftsfraktionen vom Mittwoch widersprochen.

Darin hatten SPD-Schulpolitiker Kazim Abaci und Grünen-Fraktionsvize Maryam Blumenthal die Forderung von CDU und Linken nach einer Sondersitzung des Schulausschusses zurückgewiesen und die CDU für ihre Forderung sogar scharf kritisiert. Offenbar hatten sie das über den Kopf der verantwortlichen Ausschussvorsitzenden Demirhan hinweg getan – ein sehr ungewöhnliches Vorgehen. Das will sich Demirhan offenbar auch von den eigenen Leuten nicht bieten lassen.

„Als Ausschussvorsitzende bin ich selbstverständlich frei in meiner Entscheidung und dafür zuständig, für alle Fraktionen der Hamburgischen Bürgerschaft die Sitzungen zu gestalten“, sagte Demirhan am Silvestertag. „Dazu gehört auch, der Legislative, egal ob Opposition oder Regierungsfraktion, ausreichend Raum zur politischen Arbeit zu ermöglichen.“

Sina Aylin Demirhan (25) promoviert. Nun redet sie auch im Rathaus mit, wo sie ein Antidiskriminierungsgesetz durchbringen möchte. Auch auf ihrer politischen To-do-Liste: Hamburg zur Solidarity City machen.
Sina Demirhan (Grüne), Vorsitzende des Schulausschusses. © Public Address | Unbekannt

Hielt Rabes Behörde Studienergebnisse zurück?

Die CDU hatte am Mittwoch eine Sondersitzung des Schulausschusses gefordert, um zu klären „warum die Ergebnisse der Studie zum Superspreader-Event an der Heinrich-Hertz-Schule so lange von Schulsenator Rabe zurückgehalten wurden“. Dort hatten sich im September fast 40 Menschen infiziert, vor allem Schüler, die sehr große Mehrheit in der Schule. Dass sich die große Mehrzahl in der Schule ansteckte und die Infektionen Dutzender Schüler vermutlich auf eine einzige Person zurückgehen, räumte der Senat erst kürzlich auf eine Anfrage nach Transparenzgesetz so klar ein – ohne die Untersuchungsergebnisse im Detail zu veröffentlichen.

„Bereits seit Anfang Oktober sollen die eindeutigen Ergebnisse der Untersuchung zum Corona-Ausbruch an der Heinrich-Hertz-Schule dem Gesundheitsamt vorgelegen haben“, hatte CDU-Fraktionschef Dennis Thering am Mittwoch moniert. „Demnach löste eine Person dort ein Superspreader-Event aus. Und trotz dieser Erkenntnis behauptete Hamburgs Schulsenator mit Unterstützung des Ersten Bürgermeisters bis zuletzt und offensichtlich wider besseres Wissen, dass Hamburgs Schulen sichere Orte seien. Senator Rabe muss jetzt umgehend aufklären, seit wann er die Ergebnisse der Untersuchung kennt und warum er diese Ergebnisse gegenüber der Öffentlichkeit und der Bürgerschaft zurückgehalten hat.“

CDU-Fraktionschef Dennis Thering während einer Bürgerschaftssitzung im Hamburger Rathaus (Archiv-Foto).
CDU-Fraktionschef Dennis Thering während einer Bürgerschaftssitzung im Hamburger Rathaus (Archiv-Foto). © Unbekannt | Michael Rauhe

Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus hatte ebenfalls eine Sondersitzung des zuständigen Schulausschusses gefordert, um Klarheit über den Umgang Rabes mit der Untersuchung und darüber zu bekommen, wie es nun mit den Schulen im Januar weitergehen soll.

Kritik an Rabes Umgang mit Corona in Schulen

Auch zu einer anderen Untersuchung, die Senator Rabe seit dem Herbst immer wieder öffentlich erwähnt hat, gab es zuletzt Fragen. Danach hatte die Schulbehörde nach eigenen Angaben in der Zeit zwischen den Sommer- und den Herbstferien an allen Schulen selbst ermittelt, „dass sich von 372 infizierten Schülerinnen und Schülern höchstens 80 (21,5 Prozent) in der Schule und mindestens 292 außerhalb der Schule infiziert haben“. Allerdings ist diese Studie, die Rabe immer wieder nannte, um seine Politik des vollen Präsenzunterrichtes zu begründen, bisher nicht veröffentlicht worden. Also kann auch niemand sie überprüfen, wie es bei wissenschaftlichen Untersuchungen der Normalfall ist.

Kritiker monieren nicht nur dies. Sie weisen auch darauf hin, dass gerade Kinder und Jugendliche oft asymptomatisch seien und daher nur Reihentestungen die wirkliche Situation an Schulen erhellen könnten. Man könne ohne das Testen der Mitschüler von Infizierten also unmöglich ausschließen, dass sich auch weitere Schüler an der Schule angesteckt hätten, die dann auch ihre Familien infizierten.

Kritisiert wurde auch, dass die Daten aus einer Zeit allgemein niedriger Inzidenzen stammten, während es dann später etwa im November an der Schule auf der Veddel oder an der Ida Ehre Schule weitere, noch viel größere Corona-Ausbrüche an Schulen gegeben habe und die Infektionszahlen auch bei Schülern insgesamt deutlich gestiegen seien.

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Auch wird hinterfragt, wie die Schulbehörde es offenbart geschafft habe, in ihrer Untersuchung bei 100 Prozent aller Infektionen exakt zu ermitteln, wo die Ansteckungen stattgefunden hätten – während selbst Gesundheitsämtern dies zuletzt nur noch bei einem geringen Teil der Fälle gelinge. Zudem wurde die Frage aufgeworfen, ob Schulleiter oder Behördenmitarbeiter fachlich in der Lage seien, epidemiologische Studien zu erstellen.

Die Schulbehörde hat die Daten allerdings mittlerweile nach eigenen Angaben an das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (Braunschweig) weitergegeben, die für die Kultusministerkonferenz (KMK) eine Studie zur Verbreitung des Coronavirus an Schulen erstellen soll. Dort sollen sie nun von den Experten begutachtet und verwertet werden.

Zu Silvester hat CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver derweil bei Facebook das rot-grüne Nein zu einer Sondersitzung des Schulausschusses vom Mittwoch als „beschämend für die Regierungsfraktionen“ bezeichnet und geschrieben: „Absage an eine Sondersitzung über die Medien. Dabei ist das Parlament das höchste Gremium, dass einer ersten und transparenten Information bedarf. Das soll schnellstmöglich in einer Sondersitzung aufgearbeitet werden. Die Stadt gehört dem Bürger und nicht dem Senat.“

CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver.
CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver. © Mark Sandten | Unbekannt

Streit in der Koalition wegen Schulsenator Rabe

Die grüne Schulausschussvorsitzende Demirhan betonte dabei an Silvester: „Ich befinde mich aktuell noch im Austausch mit den Obleuten und werde nun prüfen, ob eine zusätzliche Ausschusssitzung vor dem 21. Januar tatsächlich erforderlich ist.“ Grundsätzlich erkenne sie „das verantwortungsvolle Handeln der Schulbehörde“, so Demirhan. „Gleichsam werden wir uns im Schulausschuss, ob nächste Woche oder in drei Wochen, über die Ergebnisse der Heinrich-Hertz-Schule austauschen.“

In den vergangenen Tagen war der bis kurz vor Weihnachten verfolgte Kurs von Schulsenator Rabe immer stärker in die Kritik geraten – auch innerhalb der Koalition. So hatte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünenfraktion, Michael Gwosdz, bei Facebook geschrieben, es interessiere auch die Regierungsabgeordneten, seit wann die Studienergebnisse zum Ausbruch an der Heinrich-Hertz-Schule der Schulbehörde bekannt gewesen seien.

Michael Gwosdz (45) ist Migrationsberater. Sein Know-how bringt er bald im Landesparlament ein. Neben Umweltthemen setzt er auf eine bessere Bildung. Dabei spricht er auch Analphabetismus unter Erwachsenen an. Nach der Arbeit geht Gwosdz gern ins Millerntorstadion.
Michael Gwosdz, Parlamentarische Geschäftsführer der Grünenfraktion. © Public Address | Unbekannt

Auch er wolle wissen, „mit welcher Begründung die Behörde das so zurückgehalten hat“, so Gwosdz weiter. „Schließlich war die Information, dass es aus unterschiedlichen Familien kam, Teil der Entscheidungsgrundlage für das weitere Handeln.“ Inzwischen hat die Behörde die Nicht-Veröffentlichung damit begründet, dass die Untersuchung noch gar nicht offiziell abgeschlossen sei. Wie das dazu passt, dass auf die Anfrage nach Transparenzgesetz eine eindeutige Antwort gegeben wurde, ist unklar.

Kritik an Rabe auch aus der SPD

Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Urs Tabbert, der auch Rechtspolitiker seiner Fraktion ist, warf bei Facebook inzwischen die Frage auf, ob Untersuchungen wie die zur Heinrich-Hertz-Schule nicht nach dem im Januar 2020 reformierten Hamburger Transparenzgesetz von der Behörde selbst zu veröffentlichen seien. Bereits zuvor hatte Tabbert bei Facebook kommentiert: „Ich bin weiterhin für Wechselunterricht oder andere Möglichkeiten, wie man den Schülern zumindest teilweise Unterricht in den Schulen ermöglicht, aber mit hinreichendem Abstand. Das Infektionsrisiko ist mit Volllast des Schulbetriebes – Maskenpflicht hin oder her – beim derzeitigen Infektionsgeschehen nicht vertretbar, finde ich. Weder gegenüber den Schülern noch gegenüber den Lehrern.“

Urs Tabbert, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter.
Urs Tabbert, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter. © Unbekannt | Andreas Laible

Nirgendwo sonst werde es Menschen zugemutet, „stunden- und tagelang so eng nebeneinanderzusitzen“, so Tabbert. „Dann wird, wie ich es über meine Kinder mitbekomme, argumentiert: mit x,y,z kann ich mich privat auch ohne Maske treffen und auch dort übernachten, denn wir hätten uns in der Schule als Nebensitzerinnen ja ohnehin schon längst angesteckt.“ Hinzu komme „die neue Mutation und die wohl medizinische Erkenntnis, dass ein hohes Infektionsgeschehen Mutationen begünstigt“, schreibt der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete. „Da kann man doch nicht weiterhin den Glaubenssatz vom Präsenzunterricht vor sich her beten.“

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Scharfe Kritik an Initiative „Familien in der Krise“

Im sozialen Netzwerk Twitter empörten sich derweil auch am Mittwoch und Donnerstag Hunderte Eltern über die Initiative „Familien in der Krise“ (FidK), die zuletzt immer wieder in Medien (auch im Abendblatt) mit Forderungen zitiert wurde, Kitas und Schulen auch unabhängig vom Infektionsgeschehen unbedingt mit vollem Präsenzunterricht offen zu halten. Die Initiative sei keinesfalls repräsentativ für die deutsche Elternschaft, so der Tenor.

Hier würde eine gut vernetzte und nicht demokratisch legitimierte Kleingruppe den Eindruck erwecken, sie spreche für alle Eltern, so der Vorwurf. Damit sorge diese mit für eine Schulpolitik, die Kinder und Familien unverantwortlichen Risiken aussetze. Medien und Politik würden FidK geradezu hofieren, so der Vorwurf.

Demokratisch legitimierte Elternvertreterinnen und Vertreter würden dagegen kaum wahrgenommen. Diesen sei aber in der Regel der Gesundheitsschutz für ihre Kinder und Familien viel wichtiger, als es in Äußerungen von FidK erscheine. Der Unmut über die Initiative war zum Jahreswechsel so groß, dass es das Twitter-Kürzel (Hashtag) #NoFidK sogar weit nach oben in die Twittertrends schaffte. Das heißt: Kaum ein Thema wurde in dem sozialen Netzwerk in Deutschland so intensiv diskutiert, wie die Rolle der Initiative „Familien in der Krise“ während der Corona-Pandemie.