Hamburg. Politik habe keinen Einfluss auf Entscheidung genommen, die Steuern nicht zurückzufordern. Warburg Bank wehrt sich weiter.

Diese Aussage dürfte für Aufatmen bei Bürgermeister Peter Tschentscher und seinem Vorgänger Olaf Scholz (beide SPD) sorgen: Die frühere Leiterin des Hamburger Finanzamts für Großunternehmen, Karin Ohse-Griem, hat im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Cum-Ex-Geschäften der Warburg-Bank am Freitagabend betont, dass die Entscheidung, eine zweistellige Millionensumme an Steuern nicht zurückzufordern, allein sachliche Gründe hatte und es keine politische Einflussnahme gab.

Die vor kurzem pensionierte Spitzenbeamtin, die das Finanzamt von 2009 bis März dieses Jahres geleitet hatte, räumte ein, dass die zuständige Sachbearbeiterin, Frau P., rund 47 Millionen Euro aus vermeintlichen Cum-Ex-Geschäften zunächst zurückfordern wollte. „Anfangs war alles klar“, sagte Ohse-Griem und wandte sich fast entschuldigend an die Riege der Warburg-Anwälte im Ausschuss, „das sind alles Verbrecher und wir müssen das Geld zurückfordern.“

Allgemeines Unbehagen habe sich ausgebreitet

Doch je mehr sie und P. sich über die Geschäfte aus den Jahren 2009 und 2010 ausgetauscht hätten, desto unsicherer seien sie geworden. Daher, wegen der großen Summe und der möglichen Folgen hätten sie bewusst die Finanzbehörde hinzugezogen – das sei in solchen Fällen üblich. Bei dem entscheidenden Gespräch zwischen Finanzamt und -behörde am 17. November 2016 sei man stundenlang den Bericht von Frau P. durchgegangen.

Dabei sei man immer wieder auf den Punkt gekommen: „Was können wir nachweisen?“ Gemeint war die Frage, ob es sich bei den betreffenden Geschäften tatsächlich um Cum-Ex gehandelt habe. Mehr und mehr habe sich „allgemeines Unbehagen ausgebreitet“, so Ohse-Griem. Sie meine sich zu erinnern, dass sie es war, die schließlich angeregt habe, auf die Rückforderung zu verzichten. Darauf habe man sich einvernehmlich geeinigt. „Der neuralgische Punkt war, dass wir keinen belastbaren Sachverhalt hatten.“

Bank wehrt sich weiterhin juristisch gegen die Steuerbescheide

Eine Rolle habe aber auch gespielt, dass die Bank glaubhaft versichert habe, dass die Rückforderung sie in die Insolvenz hätten treiben können. Auf die Frage des Ausschuss-Vorsitzenden Mathias Petersen (SPD), was denn das Risiko einer Rückforderung gewesen wäre, sagte Ohse-Griem: „Das Risiko? Die Bank in die Pleite treiben, und dann gibt es Jahre später einen Untersuchungsausschuss, weil ein wild gewordenes Finanzamt die Warburg-Bank in die Pleite getrieben hat.“ Entscheidender sei aber der nicht nachweisbare Sachverhalt gewesen.

Später wurde das Geld – für die Jahre 2016 und 2017 insgesamt rund 90 Millionen Euro plus Zinsen --  auf Anweisung des Bundesfinanzministeriums doch noch zurückgefordert. Mittlerweile hat die Bank alle Steuern freiwillig gezahlt, wehrt sich aber weiterhin juristisch gegen die Steuerbescheide.

Christian Olearius hatte sich zweimal an Olaf Scholz gewandt

Auf die Frage, welche Einflussmöglichkeiten Politiker auf solche Verfahren habe, meinte Ohse-Griem kurz und knapp: „Haben sie nicht.“ Auf Petersens Entgegnung, dass das Hinzuziehen der Finanzbehörde doch bedeute, dass der Finanzsenator – damals Peter Tschentscher – mitreden könne, sagte die pensionierte Finanzbeamtin: „Das kann ich mir gar nicht vorstellen.“ Die Behörde habe nur die Aufsicht, die Fall-Zuständigkeit liege beim Finanzamt. Auf die konkrete Frage, ob Scholz oder Tschentscher nun Einfluss genommen haben, sagte Ohse-Griem: „Dafür fehlt mir die Phantasie.“

Der Mitinhaber des Bankhauses Warburg, Christian Olearius, hatte sich in der Sache zweimal an den damaligen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) gewandt und auch dem damaligen Finanzsenator Tschentscher ein Schreiben zukommen lassen. Davon habe sie damals nichts gewusst, sagte Ohse-Griem. Ihre Vernehmung wird am 25. Juni fortgesetzt. Die Finanzbeamtin P. soll zu einem späteren Zeitpunkt vernommen werden.

Olearius sieht sich in ARD-Doku offenbar verunglimpft

Zuvor war bekannt geworden, dass Olearius doch nicht vor dem PUA aussagen wird. Das hat sein Anwalt Klaus Landry dem Ausschuss vor der Sitzung am Freitag schriftlich mitgeteilt. Als Grund wurde nach Abendblatt-Informationen die Dokumentation der ARD vom 7. Juni mit dem Titel „Der Milliardenraub – eine Staatsanwältin jagt die Steuer-Mafia“ angeführt. Olearius sehe sich darin zum wiederholten Male vorverurteilt und geradezu als Verkörperung der Steuer-Mafia verunglimpft. Daher sehe er in einem Auftritt vor dem PUA keinen Sinn.

Nachdem das Bankhaus sich bislang nur von mehreren prominenten Anwälten im Ausschuss vertreten ließ, hatte Olearius, neben Max Warburg der Hauptgesellschafter der Bank, kürzlich zugestimmt, persönlich auszusagen. Dies war für die nächste Sitzung am 25. Juni geplant. An seiner Stelle wird an dem Termin nun eine Mitarbeiterin des Finanzamts Hamburg aussagen.

Politisch brisante Fragen

Zu den politisch brisanten Fragen konnte oder wollte der Chefjustiziar der Bank, Christoph Greiner, am Freitag keine Angaben machen. Stattdessen stellte er ausführlich die Abläufe in den Jahren 2016 bis heute dar. Demnach sei die zuständige Betriebsprüferin des Finanzamts für Großunternehmen, Frau P., durchgängig sehr kritisch und misstrauisch gewesen und habe die Steuern von der Bank zurückfordern wollen.

Christian Olearius ist einer der Haupteigentümer des Bankhaus M.M. Warburg in Hamburg. Eigentlich wollte er zur
Christian Olearius ist einer der Haupteigentümer des Bankhaus M.M. Warburg in Hamburg. Eigentlich wollte er zur "Cum-Ex"-Affäre aussagen. © Pressebild.de/Bertold Fabricius | Pressebild.de/Bertold Fabricius

Dass das in gewissem Widerspruch zu Olearius’ Tagebucheinträgen steht, wonach die Beamtin irgendwann eingelenkt und die Sichtweise der Bank doch geteilt habe, konnte Greiner nicht aufklären. Peter Gauweiler, einer der Anwälte der Bank, intervenierte an der Stelle eindringlich und bat den Ausschuss-Vorsitzenden Mathias Petersen (SPD), nicht aus den Tagebüchern zu zitieren, da diese auf ungesetzliche Weise an die Öffentlichkeit gelangt seien. Petersen lehnte das jedoch ab. Die Anwälte der Bank hätten schließlich selbst daraus zitiert.

Gesetzliche Eigenkapitalquoten unterschritten

Greiner machte ebenfalls deutlich, dass es 2016 in den Gesprächen mit dem Finanzamt auch um das Überleben der Bank ging: „Es gab bei einer kompletten Steuerrückforderung eine Gefährdung für die Bank“, so der Justiziar, der sogar eine viel höhere Summe nannte: „Es ging um 169 Millionen Euro plus Zinsen.“

Die Höhe der Summe zeige schon, dass die Lage schwierig geworden wäre, weil die gesetzlichen Eigenkapitalquoten unterschritten worden wären. Dass Olearius und Warburg sich seinerzeit bereit erklärt hatten, für bis zu 90 Millionen Euro dieser Forderungen einzustehen, habe die Lage nur teilweise entspannt. Mittlerweile hätten sie diesen „Schuldbeitritt“ auf 250 Millionen Euro erhöht.