Hamburg. Sozialsenatorin Leonhard macht Druck auf Gesundheitsminister Spahn, weil Impfdosen fehlen. Überraschung bei Kassenärzten.
Die Corona-Inzidenz in Hamburg ist am Pfingstwochenende knapp unter 40 gesunken. An der Impffront haben sich die Aussichten dagegen deutlich eingetrübt. Neue Termine für das Impfzentrum in den Messehallen soll es nach bereits tagelanger Flaute nun erst nach Pfingsten geben. Deutlich kritisierte Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) gegenüber dem Abendblatt, dass der Nachschub an Impfdosen nicht ausreiche.
Wie berichtet, steht der Bund auch deshalb bei der Stadt in der Schuld, weil deutsche Grenzregionen zeitweise bevorzugt und zu Lasten Hamburgs und anderer Länder mehr Impfstofflieferungen erhalten haben.
„Ein Ausgleich ist immer in Aussicht gestellt worden, und wir erwarten, dass diese Zusage eingehalten wird. Hamburg hat allerdings bislang weder eine entsprechende Ankündigung erhalten – noch eine zusätzliche Lieferung. Wir sind dazu mit dem Bundesgesundheitsministerium im Gespräch und gehen davon aus, dass wir in der kommenden Woche hier mehr Klarheit haben“, sagte Leonhard.
Neue Impftermine? Hamburgs Hausärzten fehlt Impfstoff
Nicht nur in der Lieferkette zum Impfzentrum, sondern auch bei den Bestellungen der Hausärzte kommt es zudem zu großen Problemen. Nach Abendblatt-Informationen hätten den Praxen in Hamburg nach dem Verteilungsschlüssel seit Ostern insgesamt 222.000 Impfdosen zugestanden – angekommen sind aber nur 196.000 Dosen. Die Sozialbehörde nennt als mögliche Gründe dafür, dass die Ärzte weniger bestellt haben könnten als möglich – oder die Lieferungen nicht wie geplant eingetroffen seien.
Mehrere Ärzte versicherten dem Abendblatt, sie bekämen regelmäßig erheblich weniger Dosen als bestellt. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, Walter Plassmann, sagte zu den angekündigten, aber nicht gelieferten Mengen vor allem von Biontech: „Die große Impfstoffwelle sehe ich noch nicht.“ Und er verblüffte mit der Aussage: „Niemand weiß wirklich, wie viel Impfstoff in den Bundesländern ankommt.“ Den Umgang mit den unterschiedlichen Impf-Zahlen vom Robert-Koch-Institut, Kassenärztlicher Bundesvereinigung und dem Bundesgesundheitsministerium nannte er „Murks“.
Betriebsärzte konkurrieren mit Praxen um Impfstoff
Bei der Frage, wie die verfügbaren Termine in den Arztpraxen vergeben werden, gerät die KV selbst in die Kritik. In Senatskreisen ist davon die Rede, man sei „verwundert“ darüber, dass die Terminvergabe noch immer nicht zentral geregelt sei. Auf Anfrage sagte Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehörde: „Ein zentrale Vergabe wäre sicherlich sehr geeignet, um die angespannte Lage in den Praxen deutlich zu verbessern.“
In der ganzen Stadt haben Haus- und Fachärzte weiter mit einer extrem hohen Zahl an Anfragen vom Impfwilligen zu kämpfen – diese ist seit der angekündigten Aufhebung der Impfpriorisierung ab dem 7. Juni sogar noch einmal gestiegen (das Abendblatt berichtete).
Nach Angaben der Stadt wäre es problemlos möglich, die Terminvergabe bei den Hausärzten in die Hotline 116117 und die Website für die Termine im Impfzentrum zu integrieren. Bei beidem handelt es sich aber um Infrastruktur der KV. Einzelne Praxen haben bereits eigene Terminsysteme im Internet. Auch Hamburgs KV hat dafür eine Internetseite. Sie wird aber erst aktiviert, wenn mehr Ärzte mitmachen.
Warteliste für Corona-Impftermine in Schleswig-Holstein
Die KV in Schleswig-Holstein hat bereits ein Internetportal freigeschaltet (www.praxisimpfliste-sh.de), auf dem man sich für eine der bislang 125 beteiligten Arztpraxen in eine Warteliste eintragen kann. Das ist für die Niedergelassenen ein Schutzwall gegen den Ansturm in den Praxen. Bei der Internet-Warteliste liegt der Schwerpunkt im Moment auf den über 60-Jährigen und Astrazeneca. Das soll sich mit dem Ende der Priorisierung zum 7. Juni aber ändern.
Doch diesem Termin sehen die Praxisärzte auch mit Bangen entgegen. Wenn gleichzeitig die Betriebsärzte zu impfen beginnen, beginnt ein neuer Wettbewerb mit ihnen um den Impfstoff. Deshalb gibt es schon jetzt Berechnungen der KV, dass auch im Impfzentrum die Kapazität von täglich gut 8000 Impfungen auf 6000 oder 7000 zurückgehen wird. Dennoch wird das Impfzentrum deutlich länger geöffnet sein als geplant.
In der Politik kursieren Vorschläge, auch Kinder in den Impfzentren gegen Corona zu immunisieren – so denn Biontech auch für sie zugelassen wird. Die Kinderärzte sind skeptisch. Wo es grundsätzlich keine Vorbehalte gegen das Impfen gebe, sei das machbar. Doch viele Kinder sollten besser in einer Praxis geimpft werden, wo sie Vertrauen zu den ihnen bekannten Ärzten hätten. Auch medizinisch sei das sinnvoller.
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KV-Chef Walter Plassmann will Vertrag auflösen
Völlig überraschend hat Hamburgs KV-Chef Plassmann am späten Donnerstagabend die Vertreterversammlung, also die Kassenärzte, um eine vorzeitige Entlassung aus seinem Vertrag gebeten. Der 66-Jährige sagte, er wolle zum Jahresende 2021 seinen Posten räumen. Sein Vertrag wurde zuletzt ohne Gegenstimme um sechs Jahre bis 2025 verlängert. Der Jurist Plassmann arbeitet seit 1999 bei der KV, seit 2005 im Vorstand, seit 2013 als dessen Vorsitzender.
Er sagte, es seien keine gesundheitlichen Gründe oder Kontroversen, die ihn zu dem Schritt bewogen hätten. Jetzt, da die niedergelassenen Ärzte gezeigt hätten, dass sie die Corona-Pandemie bewältigen können, wolle er dem Generationenwechsel, den er selbst eingeleitet habe, nicht im Weg stehen.
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Plassmanns Vorstandskollegin Caroline Roos sowie der Vorsitzende der Vertreterversammlung, Dr. Dirk Heinrich, den er kurzfristig informiert hatte, zeigten sich betroffen. Die Ärzte, die per Zoom zur Vertreterversammlung zugeschaltet waren, fragten sich, wie es ohne die Tatkraft von Plassmann weitergehen soll. Sie stimmten bereits kurze Lobreden auf ihn an. Eine Findungskommission muss nun einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin präsentieren.
KV Hamburg setzt 1,3 Milliarden Euro um
KV-Chef Plassmann hatte zuletzt in Rekordzeit das Impfzentrum mit Partnern wie Philipp Westermeyer (Online Marketing Rockstars) im Auftrag des Senats errichtet und zu Deutschlands größtem ausgebaut. Von dort werden auch die mobilen Impfteams organisiert. Zuvor hatte die KV bereits Corona-Testzentren errichtet und betrieben, die Notrufnummer 116 117 und den dahinterstehenden Arztbetrieb umorganisiert sowie in Vor-Corona-Zeiten bereits die Notfallambulanzen neu sortiert.
Plassmanns Anteil am Umbau der öffentlich-rechtlichen Körperschaft mit fast 500 Mitarbeitern Jahren ist erheblich. Gut 5000 niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten setzen im Jahr etwa 1,3 Milliarden Euro um.