Hamburg. Von 8 bis 20 Uhr: Wie das Impfen funktioniert, was Philipp Westermeyer von Online Marketing Rockstars damit zu tun hat.
Der Rock ´n´ Roll ist mit dabei im Hamburger Impfzentrum an den Messehallen. Auch ein Indianer aus dem Stamm der Apachen von Winnetou schaute schon vorbei. Er war als Schauspieler bei den Bad Segeberger Karl-May-Festspielen engagiert. Das Coronavirus hat überall den Vorhang fallen lassen. Aber wer hier arbeitet, der wurde hineingewürfelt in eine Mannschaft, die als die spontanste der Stadt gelten darf.
Noch nie haben Ärztinnen und Ärzte in Hamburg Seite an Seite, Box an Box gearbeitet mit Logistikern, Boten, Pharmaexperten, Behördenmitarbeitern und Menschen, die auf Rockfestivals wie Wacken die Massen lenken, die Bühnen und Stars bewegen. Sie impfen oder organisieren das Impfen im Auftrag des Senats in Deutschlands größtem Feldlager dieser Art.
Messehallen: Erst G20, jetzt Corona-Impfzentrum
Wo noch vor gut drei Jahren Angela Merkel mit Staatschefs wie Donald J. Trump, Wladimir Putin und Emmanuel Macron beim G-20-Gipfel um das große Ganze rang, geht man hier auf Hamburger Art eine weltweite Seuche an. Die Corona-Pandemie wird weggepikst. 500-mal am Tag derzeit, demnächst 1000, dann 7000 Impfungen täglich. Je mehr Impfstoff kommt, je mehr Menschen sich immunisieren lassen, desto größer und schneller ist die Chance auf das Ende des Lockdown-Schreckens.
Vor allem drei Menschen haben sich und ihre Alltags-Unternehmungen hier eingebracht:
- Walter Plassmann, Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung, die vom Senat den Auftrag bekam, das Impfzentrum aufzubauen und zu betreiben;
- Thomas Boner, einer der geschäftsführenden Gesellschafter der Alanta Health Group, die mit rund 1000 Mitarbeitern deutschlandweit aus Hamburg Patienten mit Krebsmedikamenten und individuellen Arzneien versorgt;
- Philipp Westermeyer, unter anderem Veranstalter der „Online Marketing Rockstars“ und ein Tausendsassa.
Was Rockstars mit dem Kampf gegen das Coronavirus zu tun haben
Westermeyer und seine Firma Ramp 106 haben augenscheinlich wenig Probleme, mal eben Hunderte Menschen zu casten, ob sie sich nicht vorstellen könnten, für ein paar Monate – wer weiß das schon? – in diesem neuen Riesending mitzumachen.
Bei Plassmann meldeten sich schnell mehr als 1000 Ärzte, die helfen wollten. Über eine Personalfirma (Doctari) wurden weitere Experten angeheuert, wie Thomas Boner sagte. Er kümmert sich mit seiner Mannschaft um den hochsensiblen Impfstoff von Biontech/Pfizer und demnächst um den von Moderna.
Die Dosen lagern an geheimem Ort, werden unter strengen Sicherheitsmaßnahmen transportiert und über Nacht für den nächsten Tag aufgetaut. Wie es heißt, wurde noch keine Dosis weggeworfen, die man hätte verimpfen können. Sollte mal eine übrig bleiben, bekommt sie ein Impfzentrums-Mitarbeiter.
Auch die sollen alle immunisiert werden. Was von den mobilen Impfteams in den Heimen zurückkommt, landet gut gekühlt wieder in einem der acht Impf-Module.
So läuft die Versorgung mit dem Impfstoff
Zwei werden derzeit gebraucht. Wird in einer Arztbox der „Stoff“ knapp, klebt ein roter Zettel an der Rückseite des kleinen Behandlungskubus. Dann geht der Mann mit der Kühltasche auf seine geheime Tour und holt Nachschub.
Impfzentrums-Leiter Benjamin Laatzen sagt, jede Spritze zählt. Es gilt das „Alle-gucken-Prinzip“. Der Impfer guckt gegen Abend, wie viele Dosen er hat, der Logistiker, wie viele er holen soll, denn der eine Sicherheitsmitarbeiter checkt, wie viele Patienten noch warten, der andere, wie viele bis zum Toresschluss 20 Uhr am Eingang stehen. Arbeit von acht bis acht in zwei Schichten.
Wer in diesen Tagen geimpft wird, ist meist über 80 Jahre alt. Söhne, Enkel, Töchter begleiten die Impfkandidaten vom Parkplatz zum Eingang, dessen Foto es schon in die „New York Times“ geschafft hat. German Gründlichkeit. Rollstühle am Zugang, Rollatoren. Absperrbänder wie am Flughafen. Check-in, Einbahnstraße bis zum Check-out. Hier gibt’s kein Zurück.
Bei Mitarbeitern wird die Temperatur gemessen
„Herzlich willkommen, haben Sie einen Termin?“ heißt es an der Tür, dann zur Anmeldung („ein hoheitlicher Akt“), in die Impfbox, Aufklärungsgespräch, Piks, Ruhebereich, Ausmeldung. Je nach Impfling dauert das 30 bis 45 Minuten. Die Jüngeren, die bald kommen, werden nicht viel schneller sein.
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Am Mitarbeitereingang steht auch ein Temperaturmessgerät wie an asiatischen Airports. Einmal die Stirn durchleuchten, bitte. Und: Es gibt wie für die Erste-Klasse-Passagiere auch eine „Fast Lane“ zwischen roten Bändern. Die ist für die, die ihre erste Impfung schon hatten.
Geplant war ein ganz anderes Corona-Zentrum
Kassenärzte-Chef Plassmann hatte ursprünglich anders geplant. Er hätte „das“ große Corona-Zentrum aufgezogen mit Testen, Infektsprechstunden und Impfung. Das Bundesgesundheitsministerium wollte diese Konstruktion nicht. Dann kamen der Hamburger Senat und Bürgermeister Peter Tschentscher auf ihn zu: Plassmann, mach doch mal so ein Impfzentrum, am besten an den Messehallen. Pläne? Musste die KV mit eigens herbeigerufenen Architekten erstellen. Personal? Plassmann holte Boner und Westermeyer ins Boot.
„So ein Projekt gehörte bislang nicht zu unserem Sicherstellungsauftrag“, sagt Plassmann. Ärzte, Apotheker, IT-Spezialisten, Logistiker, Sicherheit, eine Rockfestival-erfahrene Crew, das Publikum – Plassmann sagt: „Wenn man darüber nachdenkt, passt das doch.“ Dass er selbst Fan von rockiger Musik ist, ahnt kaum einer.
Impfzentrumsmitarbeiter tuscheln auch über den Mann mit runder Brille, der sich an einem anderen Ort „back-
stage“ herumtrieb, als der allererste Impfstoff geheim angeliefert und in die Hände von aufgeregten Pharmaspezialisten kam. Er gesellte sich unbemerkt hinzu, ließ sich die Fläschchen zeigen und sagte, er sei ja auch Laborarzt. Im Hauptberuf arbeitet er im Rathaus. Es war Peter Tschentscher.