Hamburg. Die Praxen fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Welche Alternative über 70-Jährige noch haben.

Die Geschäfte öffnen am Sonnabend wieder in Hamburg – doch das Corona-Impfzentrum in den Messehallen erscheint verschlossener denn je: Die Zahl der neuen Termine ist verschwindend gering. Unter 116 117 oder im Internet unter www.terminservice.de holen sich selbst Menschen mit ärztlicher Bescheinigung über Herzschwächen oder Asthma regelmäßig eine Abfuhr: keine Termine verfügbar. Das liegt daran, dass die hohe Zahl an feststehenden Zweitimpfungen und die knappen Mengen an Impfstoff vergleichsweise wenig neue Einladungen ermöglichen.

Deshalb waren die Hoffnungen des Senats entsprechend groß, dass auch die Betriebsärzte nach dem Wegfall der Priorisierung am 7. Juni einen beträchtlichen Anteil zur Immunisierung der Bevölkerung leisten können. Diese ist jedoch inzwischen nahezu verflogen. Stattdessen ist in der Verwaltung von einer „bedrückend geringen Menge“ an voraussichtlich verfügbarem Impfstoff bei den Betriebsärzten die Rede.

Wöchentlich wird mit 55.000 Impfdosen für das Impfzentrum gerechnet

„Nach allem, was wir wissen, handelt es sich für die gesamte Stadt um wenige Tausend Dosen“, heißt es. Auf die Beschaffung der Impf-Dosen für Firmen habe die Stadt jedoch ebenso wie bei den Hausärzten keinen direkten Einfluss. Jeder niedergelassene Arzt oder Betriebsarzt muss selbst bei einer Apotheke bestellen. Die bekommen den Impfstoff aus dem Großhandel, der von der Bundesregierung.

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In Senatskreisen ist von wachsendem Unmut zu hören, dass sich die Größen der vom Bund organisierten Impfstofflieferungen zwar im Vergleich zu Jahresbeginn deutlich erhöht haben – sie sollen aber vor dem Schritt der massenhaften Impfung ohne Priorisierung ab 7. Juni nicht weiter steigen. Wöchentlich wird mit 55.000 Impfdosen für das Impfzentrum gerechnet.

Kritik der CDU

Dass Hamburg an der Priorisierung im Impfzentrum festhalten will, kritisierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse scharf: In einem Alleingang schere der Senat „erneut aus einer bundeseinheitlichen Regelung aus“. Damit steige der Druck auf die Arztpraxen, weil vom 7. Juni an jeder versuche, in einer Praxis einen Termin zu bekommen. Kruse warf Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) Doppelzüngigkeit vor, weil er ein einheitliches Vorgehen von Bund und Ländern verlangt habe, sich aber selbst nicht daran halte.


Die Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Dr. Jana Husemann, sagte, es sei zwar gut, dass die Priorisierung am 7. Juni fallen werde. „Aber der Zeitpunkt der Verkündung wurde übers Knie gebrochen. Eine begleitende Kommunikation der Politik fehlt völlig.“ Ohne Sicherheit, dass der bestellte Impfstoff auch komme, funktioniere das Terminmanagement nicht. „Vom Senat würde ich mir wünschen, dass er klarer formuliert, woran das langsame Impftempo liegt und dass er die Hausärzte unterstützt“, sagte Husemann.

„Wir können die Impfkandidaten nur um Geduld bitten. Wenn die Priorisierung fällt, werden wir in der Praxis Onlinetermine vergeben. Zunächst impfen wir die Patientinnen und Patienten, die am dringendsten einen Schutz vor dem Coronavirus brauchen.“

Menschen werden ungeduldig

Ob das die aufgeladene Stimmung zwischen Ärzten und Impfwilligen beruhigt, muss sich zeigen. „So verständlich es ist, dass die Menschen ungeduldig werden, so unverständlich ist für uns, dass viele Impfen und Urlaub miteinander verknüpfen. Die anfängliche Dankbarkeit ist in Beschimpfungen umgeschlagen“, sagte Husemann.

Wer über 70 Jahre alt ist, kann sich in einem der fünf Hamburger Krankenhäuser impfen lassen, die in die Kam­pagne der Stadt eingebunden wurden. Hier werden die Termine auch über die Telefonnummer 116 117 vergeben oder www.impfterminservice.de im Internet. Doch mit insgesamt 3000 Impfungen pro Woche können die Krankenhäuser das Impfen derzeit bestenfalls ergänzen.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Die Ankündigung von Schulsenator Ties Rabe (SPD), dass vom 31. Mai an zumindest einzelne Jahrgangsstufen wieder in den kompletten Präsenzunterricht zurückkehren, trifft derweil an den Schulen auf große Zustimmung. „Wir freuen uns sehr, dass die Schülerinnen und Schüler wieder in die Schule kommen. Und wir hoffen, dass es möglichst viele sind“, sagte Christian Gefert, Vorstand der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare (VHGS).

Verwirrung an den Schulen

 Allerdings habe die Ankündigung Rabes auch zu „erheblicher Verwirrung“ an Schulen geführt, weil noch nicht klar sei, welche Klassenstufen betroffen seien. „Es gibt bislang keine Vorgaben, und wir haben Fragen zum Hygienekonzept. Wir erleben wieder einmal die Kurzfristigkeit solcher Ankündigungen“, sagte der Schulleiter des Marion-Dönhoff-Gymnasiums (Blankenese).

„Der Schritt ist richtig, und die Schulen sind grundsätzlich vorbereitet, weil es unser Sehnen war, endlich wieder alle Schüler im Unterricht zu haben“, sagte Matthias Morgenroth-Marwedel, Sprecher der Vereinigung Hamburger Stadtteilschulen. Anders als bei der Rückkehr in den Wechselunterricht wünscht sich Morgenroth-Marwedel, dass sofort alle Klassen in den kompletten Präsenzunterricht einbezogen werden.

Schulen brauchen einen organisatorischen Vorlauf

Für den Schulleiter der Stadtteilschule Blankenese steht weniger der Abbau pandemiebedingter Lerndefizite bei den Schülern im Vordergrund. „Es geht darum, dafür zu sorgen, dass sich die Schüler wieder gut in den festen Rhythmus einleben“, sagte der Schulleiter.

Tschentscher zündet Lockerungs-Stufe 2 - was jetzt gilt

„Wir freuen uns auf unsere Schüler, aber wir brauchen einen organisatorischen Vorlauf – zum Beispiel, um Essen vorzubestellen“, sagte Gudrun Wolters-Vogeler, Vorsitzende des Allgemeinen Schulleitungsverbands Deutschland (ASD). Für die Grundschulen werde es sogar leichter, weil sie weniger Räume benötigten, da die Notbetreuung der Schülerinnen und Schüler wegfalle. Immer mehr Eltern schickten ihre Kinder in die Schule. Das gelte für Väter und Mütter, die zum Beispiel im Einzelhandel tätig seien, der vom morgigen Sonnabend an wieder geöffnet ist, so die Leiterin der Grundschule An der Haake (Hausbruch).

145 Corona-Neuinfektionen in Hamburg

„Wir als Elternkammer begrüßen sehr, dass die Schulbehörde unserer Forderung nachgekommen ist, nach den Maiferien alle Kinder wieder zurück in den Präsenzunterricht zu holen“, sagte Thomas Kegat, stellvertretender Vorsitzender der Elternkammer. „Wir verstehen und begrüßen, wenn die Schulbehörde mit weiteren Öffnungsschritten verantwortungsvoll, schrittweise und vorsichtig vorgeht. Bei weiterhin sinkender Inzidenz erwarten wir, dass diese Schritte bald folgen werden“, sagte Kegat.

Diese Corona-Impfstoffe sind in Deutschland zugelassen

  • Biontech/Pfizer: Der erste weltweit zugelassene Impfstoff gegen das Coronavirus wurde maßgeblich in Deutschland entwickelt. Der mRNA-Impfstoff, der unter dem Namen Comirnaty vertrieben wird, entwickelt den vollen Impfschutz nach zwei Dosen und ist für Menschen ab zwölf Jahren zugelassen. Laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat er eine Wirksamkeit von etwa 90 Prozent – das heißt, die Wahrscheinlichkeit, schwer an Covid-19 zu erkranken, sinkt bei Geimpften um den genannten Wert. Ebenfalls von Biontech stammt der erste für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren zugelassene Impfstoff in Deutschland.
  • Astrazeneca: Der Vektorimpfstoff des britischen Pharmaunternehmens wird unter dem Namen Vaxzevria vertrieben. Aufgrund von seltenen schweren Nebenwirkungen empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko), den Impfstoff nur für Patienten zu verwenden, die älter als 60 Jahre sind. Offiziell zugelassen ist der Impfstoff aber für Menschen ab 18 Jahren. Vaxzevria weist laut BMG nach zwei Impfdosen eine Wirksamkeit von bis zu 90 Prozent in Bezug auf schwere Erkrankungen auf.
  • Moderna: Der von dem US-Unternehmen entwickelte mRNA-Impfstoff mit dem Vertriebsnamen Spikevax ist für alle ab 12 Jahren zugelassen, die Stiko empfiehlt aufgrund eines erhöhten Risikos schwerer Nebenwirkungen aber, ihn auf die Altersgruppe der über 30-Jährigen zu beschränken. Der Moderna-Impfstoff hat laut BMG eine Wirksamkeit von bis zu 90 Prozent in Bezug auf schwere Erkrankungen, wenn der volle Impfschutz nach zwei Impfdosen erreicht worden ist.
  • Johnson&Johnson: Das US-Unternehmen hat einen Vektorimpfstoff entwickelt, der bereits nach einer Impfdosis Schutz vor dem Coronavirus entwickelt. Er wird unter dem Namen Covid-19 Vaccine Janssen vertrieben. Das Präparat hat laut BMG eine Wirksamkeit von bis zu 70 Prozent bezogen auf schwere Erkrankungen – zudem ist die Zahl der Impfdurchbrüche im Vergleich zu den anderen Impfstoffen erhöht, daher empfiehlt die Stiko für mit Johnson&Johnson Geimpfte schon nach vier Wochen eine zusätzliche Impfdosis mit Comirnaty oder Spikevax, um den vollständigen Impfschutz zu gewährleisten.
  • Novavax: Das US-Unternehmen hat den Impfstoff Nuvaxovid entwickelt. der mitunter zu den sogenannten Totimpfstoffen gezählt wird. Er enthält das Spike-Protein des Covid-19-Erregers Sars-CoV-2. Dabei handelt es sich aber genau genommen nicht um abgetötete Virusbestandteile, die direkt aus dem Coronavirus gewonnen werden. Das Protein wird stattdessen künstlich hergestellt. Das menschliche Immunsystem bildet nach der Impfung Antikörper gegen das Protein. Der Impfstoff wird vermutlich ab Ende Februar in Deutschland eingesetzt und soll laut BMG in bis zu 90 Prozent der Fälle vor Erkrankung schützen.
  • Weitere Impfstoffe sind in der Entwicklung: Weltweit befinden sich diverse Vakzine in verschiedenen Phasen der Zulassung. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA prüft derzeit das umstrittene russische Präparat Sputnik V sowie die Impfstoffe der Hersteller Sinovac, Sanofi und Valneva. Der deutsche Hersteller CureVac hat seinen Impfstoff vorerst aus dem Zulassungsverfahren zurückgezogen.

Gestern hat die Sozialbehörde 145 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Das sind 45 Fälle weniger als am Mittwoch, vor einer Woche waren es am Donnerstag mit 174 noch etwas mehr. Somit sinkt der Inzidenzwert wieder auf nun 42,7 (Vortag: 44,2) Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen. Die Zahl der Corona-Patienten in den Krankenhäusern liegt bei 146 (Stand 19. Mai).

 67 Menschen sind so schwer erkrankt, dass sie intensivmedizinisch behandelt werden müssen, 48 von ihnen kommen aus Hamburg. Die Behörde meldete sechs weitere Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus. Bislang sind 1541 Menschen gestorben.