Sylt/Berlin. Junge Menschen singen Nazi-Parolen zu einem Partyhit – ganz öffentlich. Der Kanzler ist angeekelt, doch Experten sind nicht überrascht.
Glücklicher kann ein Gesicht nicht aussehen: Die blauen Augen strahlen, der Mund ist weit aufgerissen. Die junge Frau singt ins Smartphone. „Ausländer raus, Ausländer raus.“ Dann schwenkt das Video auf die anderen Partygäste. Auf einen jungen Mann mit weißem Hemd, Steppweste und schwarzer Sonnenbrille. Den linken Arm mit Rosé-Glas in der Hand streckt er weit aus, dann stimmt er ein: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus.“
Der Clip verharrt schließlich bei einem Partygast, der seinen rechten Arm zum winkenden Hitlergruß ausstreckt, die Kuppen seines linken Zeige- und Mittelfingers liegen senkrecht auf der Oberlippe. Das Zeichen für den Hitlerbart. Die Menge grölt zum Party-Sound. Als wäre das ein Zeichen der Gruppenzugehörigkeit, tragen auffallend viele ein weißes Hemd mit über die Schultern geschlungenem Pulli. Goldene Ohrringe blitzen auf und dicke Uhren.
Im Hintergrund versinkt die orange Sonne zwischen Bäumen, Reetdach und teuren Sportwagen. Pfingsten auf Sylt, im Edel-Club Pony: Hier startet jedes Jahr die Party der Reichen, diesmal unterlegt vom Sound des Songs „L‘amour toujours“ vom italienischen DJ Gigi D‘Agostino, eingedeutscht mit besagter Parole: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“.
Faeser zu Vorfall auf Sylt: „Eine Schande für Deutschland“
Das Video verbreitete sich seit Donnerstag in sozialen Medien und rief schnell Empörung hervor. Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte: „Solche Parolen sind eklig. Sie sind nicht akzeptabel.“ Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte es „widerwärtig und menschenverachtend“. „Wer Nazi-Parolen wie ‚Deutschland den Deutschen – Ausländer raus‘ grölt, ist eine Schande für Deutschland“, sagte sie dieser Redaktion. Es stelle sich die Frage, „ob wir es hier mit Menschen zu tun haben, die in einer wohlstandsverwahrlosten Parallelgesellschaft leben, die die Werte unseres Grundgesetzes mit Füßen tritt“.
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Auch Vizekanzler Robert Habeck verurteilte den Vorfall. „Wer so rumpöbelt, ausgrenzt und faschistische Parolen schreit, greift an, was unser Land zusammenhält“, sagte der Vizekanzler unserer Redaktion. Er erinnerte an die Feierlichkeiten zu 75 Jahre Grundgesetz. Deutschland habe es geschafft, zu einer starken Demokratie zu werden. „Solche widerlichen Pöbeleien dürfen keinen Platz haben.“
Das Pony auf der legendären Whiskymeile im Sylter Nobelort Kampen gehört zu den bekanntesten Clubs in Deutschland und wurde vor 63 Jahren eröffnet. Das Backsteingebäude unter Reet war schon immer ein Treffpunkt der High Society. Vor Jahrzehnten feierte dort Playboy Gunter Sachs mit seiner Entourage glamouröse Feste.
Das Pony ist ein Anziehungspunkt für Prominente: Tennislegende Boris Becker, Designer Wolfgang Joop, Sängerin Vicky Leandros, Moderator Johannes B. Kerner, Sänger Scooter und Musiker Dieter Bohlen waren hier schon zu Gast. Pfingsten ist traditionell das Party-Wochenende auf Sylt und im Pony feiert inzwischen auch ein junges Publikum. Der Alkohol fließt in Strömen, die Stimmung ist schon am Nachmittag sehr ausgelassen.
Betreiber der Pony Bar hat Namen an Polizei übermittelt
Pony-Club-Betreiber Tim Becker ist fassungslos über das Ereignis, das nun bundesweit Schlagzeilen macht. Er spricht von einem „schlimmen Vorfall“, der sich „auf einer großen Party auf unserer Terrasse“ ereignet habe. Dort sei schon ab 12 Uhr gefeiert worden, gegen Nachmittag habe eine kleine Gruppe dann „wohl diese rassistischen Parolen gegrölt, die jetzt auf einem Video in den sozialen Medien zu sehen sind.“
Becker spricht gegenüber unserer Redaktion von 400 Feiernden. „Da bekommt man aufgrund der Lautstärke nicht mit, was eine kleine Gruppe schreit. Wir haben das auch noch mal auf unseren Überwachungsvideos angeschaut, auch da hörte man nicht das, was in dem Video zu sehen ist.“
Der Pony Club hat die Namen der Gäste, die mitgegrölt haben, der Polizei mitgeteilt. Inzwischen ermittelt der Staatsschutz wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen. Volksverhetzung kann mit Geldstrafen oder einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. Das Zeigen des sogenannten Hitlergrußes wird in der Regel mit Geldstrafen belegt, es sind nach dem Gesetz jedoch auch Freiheitsstrafen möglich.
Rechtes Gedankengut auch in der Mitte der Gesellschaft
Für Erschütterung sorgte neben dem rassistischen Inhalt des Gesangs, dass die Menschen in dem Video dem Augenschein nach einer gut betuchten Schicht angehören. Promi-Insel statt Nazi-Kneipe, Designer-Klamotten statt T-Shirts mit rechtsextremen Chiffren. Sie frage sich, „welches hasserfüllte Klima solche Leute dazu ermutigt und sich so sicher fühlen lässt,“, so Faeser weiter. „Hier darf es keinerlei schleichende Normalisierung geben.“
Forscher beobachten allerdings schon länger, dass rechtes Gedankengut weit in die Gesellschaft einsickert. Die Friedrich-Ebert-Stiftung stellte in einer im vergangenen September veröffentlichten Studie fest: „Ein Teil der Mitte der Gesellschaft distanziert sich von der Demokratie.“ Extrem rechte Narrative „dringen immer weiter in die Mitte vor“, ihre Abgrenzung nach rechts werde „durchlässig“.
Experte sieht einen Rechtsruck bei der Generation Z
Jeder Zwölfte teile ein rechtsextremes Weltbild, heißt es in der Studie der SPD-nahen Stiftung. Mit acht Prozent sei der Anteil von Befragten mit klar rechtsextremer Orientierung gegenüber dem Niveau von knapp zwei bis drei Prozent in den Vorjahren erheblich angestiegen. Demnach behaupten mehr als 16 Prozent eine nationale Überlegenheit Deutschlands, dieser Wert hatte in den Jahren 2014 bis 2021 bei neun bis 13 Prozent gelegen. Die politische Selbstverortung von Befragten habe rechts der Mitte mit 15,5 Prozent ebenfalls von zuvor knapp zehn Prozent deutlich zugenommen.
Der Jugendforscher Simon Schnetzer sieht zudem einen klaren Rechtsruck bei der Generation Z, also den 14- bis 29-Jährigen. So habe sich das Potenzial für rechtspopulistische Einstellungen in der jungen Generation deutlich verstärkt, sagt der Autor der Studie „Jugend in Deutschland 2024“. Die AfD habe sich unter den Jungen als beliebteste Partei etabliert, 14 Prozent würden sie wählen. Bei der Sonntagsfrage, die Nichtwähler herausrechnet, würde die AfD in der Altersgruppe 22 Prozent erreichen, so ein Ergebnis der Studie, die Ende April veröffentlicht wurde.
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Sylter Partyhit mit rassistischem Text nachgesungen
Was Schnetzer besorgt, ist die Angst der jungen Menschen vor neuen Flüchtlingsbewegungen. 41 Prozent der Generation Z fürchte sich vor einer weiteren Zunahme der Zuwandererzahlen in Deutschland, sagte er dieser Redaktion. „Dieser Wert hat sich gegenüber 2022 verdoppelt“. Das bedeute zwar nicht, dass alle, die Angst haben, sich auch fremdenfeindlich und rechtsextrem verhalten. Aber die Schwelle könne – gerade in einer ausgelassenen Stimmung – sinken.
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Seinen Partyhit „L’amour toujours“ veröffentlichte DJ Gigi D’Agostino bereits 2001. Seit geraumer Zeit wird das Liebeslied aber auf Partys und Volksfesten mit dem rassistischen Text gesungen – in einem bekannt gewordenen Fall aus Bayern offenbar auch von Personen aus dem Umfeld der AfD. In sozialen Medien finden sich mehrere Videos von ähnlichen Vorfällen. Pony-Club-Chef Tim Becker war die Vorgeschichte nicht bekannt. „Unsere DJs spielen das Lied bei jedem Event als kurze Sequenz an – als Stimmungsmacher“, sagt der Gastronom. „Das Lied habe ich noch nie in Verbindung mit Rassismus wahrgenommen.“
Faeser ruft dazu auf, in Situationen wie der auf Sylt einzuschreiten. „Rassisten müssen neben möglichen strafrechtlichen Konsequenzen überall – im Freundeskreis, bei der Arbeit, im Sport – lauten Widerspruch erfahren“, sagte die SPD-Politikerin. Es sei ist wichtig, den Mund aufzumachen und gegenzuhalten. „Die ganz überwiegende Mehrheit in unserem Land ist hiervon angewidert, aber diese Mehrheit muss sich auch im Alltag zeigen.“
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