Berlin. Das Trump-Team hat ein Video mit NS-Rhetorik geteilt. Auf Distanz gehen? Kommt für Trump nicht infrage, sagt US-Experte van de Laar.
Herr van de Laar, was war in den vergangenen Tagen der bemerkenswerteste Moment in den USA?
Julius van de Laar: Ein Video, das die Trump-Kampagne in den sozialen Medien geteilt hat. Im Video wird ein Zeitungsausschnitt gezeigt, in dem es um das „unified Reich“ unter Trumps Führerschaft geht, also einem geeinten Reich – eine ganz klare Referenz auf Nazi-Deutschland.
Trumps Leute haben darauf hingewiesen, dass sie das Video nicht selbst erstellt haben. Die Passage mit dem „Reich“ sei ihnen durchgerutscht …
Das mag sein. Doch wenn eine Kampagne ein Video auf den eigenen Kanälen veröffentlicht, dann ist es ein offizielles Kampagnen-Video. Mag sein, dass es aus der Trump-Unterstützerschaft kommt. Aber eine Multimilliarden-Kampagne ist zu professionell, als dass man sich damit herausreden könnte. Am Ende ist es ihr Instagram-Kanal.
Zur Person
Julius van de Laar ist ein international tätiger Politikstratege und Kommunikationsberater. Er lebte 7 Jahre in den USA. Nach dem Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Furman University in den USA arbeitete er in den US-Präsidentschaftswahlkämpfen 2008 und 2012 als hauptamtlicher Wahlkämpfer für Barack Obama.
Stößt Ihnen die Rhetorik des Videos unwohl auf?
Ja. Ich denke auch an Trumps Zitat: „Ausländer vergiften das Blut unseres Landes“. Oder man müsse das „Ungeziefer entfernen“. Sätze wie diese in Kombination mit dem oben genannten Social-Media-Post zeichnen ein Bild, das bei vielen der eigenen Anhängerinnen und Anhänger auf Zuspruch stößt. Es ist darauf ausgelegt, zu animieren und zu aktivieren. Vor allem auch das Thema illegale Migration in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn wir auf die Umfragen schauen, scheint das Kalkül aufzugehen. Trump liegt in fast allen Erhebungen vor Biden, und er nimmt mehr Geld ein als der amtierende Präsident.
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Trump hat sich inhaltlich nicht von dem Video distanziert …
Nein. Trump rudert nie zurück. Sein Markenkern ist Stärke. Eine Entschuldigung zu posten oder sich zu distanzieren würde diesen Kern aufweichen.
Der Schweigegeldprozess geht auf die Zielgerade zu. War es ein kleiner Sieg für Trump, dass er nicht als Zeuge aussagen muss?
Trump konnte entscheiden: Er hatte das Recht auszusagen oder die Aussage zu verweigern. Beide Optionen liegen im Ermessen des Angeklagten. Aus Sicht von Trumps Anwälten war das Risiko, Trump ins Kreuzverhör der Staatsanwaltschaft zu schicken, deutlich zu groß. Wenn er sich in den Zeugenstand begeben hätte, wären Tür und Tor für Staatsanwalt Alvin Bragg geöffnet, weitere Fragen zu Stormy Daniels und zu den Schweigegeldzahlungen zu erörtern — aber auch Trump zu seinem New Yorker Immobilienbusiness zu befragen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Trump im Kreuzverhör in seine Wahlkampfrhetorik verfällt, ist zu hoch. Was auf der Wahlkampfbühne in einem Swing State funktioniert, würde ihn im Gerichtssaal höchstwahrscheinlich Kopf und Kragen kosten. Daher verweigerte der Ex-Präsident die Aussage — sagte aber anschließend, vor laufenden Kameras, dass ihm das Recht auszusagen verwehrt worden und der Prozess unfair sei.
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Zuletzt kam die Frage auf, wie neutral der Supreme Court eigentlich ist. Was darf man vom höchsten US-Gericht im Wahlkampf erwarten?
Der Supreme Court ist auf Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ausgelegt und sollte sich aus dem Wahlkampf komplett raushalten. Zwar sind die Richterinnen und Richter von US-Präsidenten verschiedener Parteien ernannt worden. Ihre politische Haltung sollte keinerlei Rolle spielen. Der einzige Job ist es, die Verfassung auszulegen und politisch komplett unabhängig zu entscheiden. Nichtsdestotrotz haben wir in diesem Wahlkampf auch schon Einflussnahme gesehen – erinnern Sie sich an die Entscheidung zur Immunität Trumps. Dass der Supreme Court so lange darüber debattiert hat, führte dazu, dass mehrere Prozesse nach hinten geschoben wurden und Trump sich abgesehen von dem Schweigegeldprozess nicht mehr vor Gericht verantworten muss. Zumindest nicht vor der Wahl.
Einer der Richter, Samuel Alito, ist nun mit einem Skandal konfrontiert: Es gibt Fotos, auf denen sein Grundstück 2021, nach dem Sturm auf das Kapitol, mit einer umgedrehten US-Flagge zu sehen ist – ein Zeichen des Protests gegen die US-Regierung.
Alito behauptet, das sei ein Akt des Protests seiner Frau wegen eines Nachbarschaftsstreits gewesen. Klar, man erwartet, dass er es als Richter besser weiß und zu seiner Frau sagt, hör mal, das geht so nicht. Allerdings ist das nicht das einzige skandalträchtige Foto: Am Mittwoch tauchte ein weiteres Bild auf, diesmal von Alitos Anwesen am Strand. Zu sehen ist die „Pine Tree Flag“. Sie wird von der rechten Bewegung in den USA genutzt. Es handelt sich also mittlerweile um stark belastendes Material für Alito.
Wie steht es aktuell um die Finanzen bei beiden Kampagnen?
Im April haben Joe Biden und seine Leute 51 Millionen Dollar eingenommen. Donald Trump bekam 76 Millionen zusammen, also ein deutlicher Vorsprung. Das bedeutet natürlich nicht, dass Biden sich die Kampagne nicht mehr leisten oder den nächsten TV-Spot nicht mehr schalten kann – aber es ist ein guter Gradmesser dafür, wo die Emotionalität und Energie der Basis stehen. Man braucht schließlich Rückhalt, um Spendengelder einzuwerben. Es sollte Joe Biden Sorgen bereiten, dass seine Unterstützer nicht bereit sind, mehr zu spenden. Wenn Trump umgekehrt an der Basis mobilisieren kann, zeigt das erneut: Das Momentum liegt aktuell auf seiner Seite.
Wie stehen die Umfragen?
Ein Großteil der Amerikaner ist an einer Veränderung des Systems interessiert. In einer Umfrage der „New York Times“ sagen 15 Prozent, es müsse komplett auseinandergenommen und neu aufgebaut werden. 55 Prozent befürworten große Veränderungen, 27 Prozent wollen kleinere Veränderungen. Zusammenaddiert sagen also mehr als 90 Prozent, es müsse sich deutlich etwas verändern. Rund 24 Prozent denken, Joe Biden kann hier wirklich etwas bewirken. Trump kommt auf 70 Prozent der Befragten, die ihm das zutrauen. Das ist keine gute Ausgangssituation für Joe Biden und ein weiterer Grund, warum sich Biden für das Hochrisiko-Manöver der vorgezogenen TV-Debatte gegen Donald Trump entschieden hat.