Washington. An US-Unis eskaliert die Situation zwischen Aktivisten und der Polizei. Warum die Lage am Campus in Washington außergewöhnlich ist.
Keine Uni-Leitung, die ein Ultimatum stellt, ständig nach Zwangsräumung ruft und auf das Aufbegehren des akademischen Nachwuchses mit Suspendierungen antwortet. Keine Robocops, die Tränengasgranaten werfen und den Schlagstock schwingen. Keine wüsten Prügeleien zwischen projüdischen und propalästinensischen Demonstranten.
Das friedliche Protestcamp auf dem (kurzfristig so umbenannten) „Platz der Märtyrer“ vor der imposanten Lisner Hall an der H Street im Herzen Washingtons will an diesem verregneten Mai-Sonntag so gar nicht ins Bild landauf, landab passen. Während vielerorts in den USA die Unmutsbekundungen der Studenten über Israels Krieg in Gaza eskalieren, herrscht an der George-Washington-Universität, kurz GW (gesprochen „Dschidabbelju“), schläfrige Pfadfinder-Stimmung. Unverhältnismäßige Polizeieinsätze, die selbst vor ergrauten Professoren nicht haltmachen, gab und gibt es hier nicht.
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USA: Polizisten vor Protestcamp in Washington langweilen sich
In den etwa 80 Zelten, die seit bald zwei Wochen auf dem University Yard aufgestellt sind, halten rund 150 Studierende die Stellung. Sie haben sich dem von der New Yorker
Columbia-Universität
ausgegangenen Protest gegen den Krieg im Nahen Osten angeschlossen.
Es gibt ein Hospital-Zelt, eine Bücherstube, einen Sammelplatz für die Protestschilder und eine Art Open-Air-Cafeteria. Alles sehr organisiert. Und ordentlich. Nirgends liegt Müll. Der Rasen zwischen den Plastikbehausungen – wie aus dem Ei gepellt. Die zur Sicherheit abgestellten Polizisten draußen auf der Straße langweilen sich.
Bronzestatue von George Washington mit Palästinenserschal vermummt
Wäre nicht die von Aufklebern und Parolen („Free Palestine“) übersäte Bronzestatue von Namensgeber George Washington am Eingangsportal, dessen Kopf mit einem schwarz-weißen Palästinenserschal vermummt ist, man wüsste auf Anhieb nicht, dass es hier ums große Ganze in Nahost und überhaupt geht.
Dass das von studentischen Gruppen an sieben regionalen Universitäten getragene illegale Protestforum (darunter Georgetown, George Mason etc.) bisher kaum spektakuläre Schlagzeilen geschrieben habe, sagt Reem Lababdi, „liegt an unserer Disziplin – wir sind völlig gewaltfrei – und der Zurückhaltung der Polizei“.
Washingtons Polizeichefin Pamela Smith weigert sich bisher, hart durchgreifen
Obwohl Uni-Präsidentin Ellen Granberg (wie viele ihrer Kollegen und Kolleginnen an rund 80 „bestreikten“ US-Universitäten) am Anfang reflexhaft nach der Staatsgewalt gerufen hat, weigert sich Polizeichefin Pamela Smith mit Rückendeckung der schwarzen Bürgermeisterin Muriel Bowser, bisher auf dem Campus mit harter Hand vorzugehen – solange keine schweren Straftaten geschehen.
Diese umstrittene Haltung hat erst gerade einige republikanische Kongressabgeordnete zu einem konfrontativen Ortsbesuch animiert. Radikale wie die Waffen-närrin Lauren Boebert machten vor den TV-Kameras einen auf Staatskrise und drohten mit Finanzmittelentzug.
„Frau Boebert hat unser Megaphon gestohlen und die Palästinenserflagge heruntergerissen“
Reem Lababdi, 19 Jahre alt, mütterlich mit palästinensich-libanesischen Wurzeln, eingeschrieben für Geschichte des Mittleren Ostens, kann Sarkasmus nicht verbergen. „Frau Boebert hat unser Megafon gestohlen und die Palästinenserflagge heruntergerissen. Für unser Anliegen hatte sie aber keine Zeit.“
Das Anliegen ist fein ziseliert und hat, das ergeben rund ein Dutzend Gespräche mit Camp-Teilnehmern, nichts mit Hamas-Sympathie oder gar Rechtfertigungsversuchen für den beispiellosen islamistischenTerror gegen Israel vom 7. Oktober vergangenen Jahres zu tun. „Wir wollen reden, ein Treffen mit Ellen Granberg muss her“, sagt Lababdi.
Von der Uni-Präsidentin, einer gelernten Soziologin, verlangen die Demonstranten vor allem Offenheit. „Wo wird das nicht zuletzt durch unsere hohen Studiengebühren gespeiste Uni-Kapital angelegt? Investieren wir in Firmen, etwa aus der Rüstungsindustrie, die direkt oder indirekt an Israels Krieg gegen Gaza profitieren?“ Gebe es solche Verbindungen, müssten sie gekappt werden, sagt Lababdi. „Wir dürfen den Krieg gegen die Palästinenser nicht mitfinanzieren. Denn: In Gaza gibt es längst keine Universitäten mehr.“
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Demos für Palästina: Darum wurden Protestzelte an anderen Unis bereits abgebaut
Dass Granberg sich weigert, obwohl die Demonstranten die von Präsident Joe Biden geforderte Verhältnismäßigkeit bisher gewahrt haben, hat den Widerstandsgeist beflügelt. Viele, etwa der 19-jährige Dylan, ein Philosophie-Student, betonen im Gespräch mit dieser Zeitung, „dass andere Unis längst weiter sind“.
So hat man an der renommierten Brown-Universität in Rhode Island eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die das heikle Thema – Investments in Firmen, die Israel unterstützten – auf Augenhöhe untersuchen und Lösungsvorschläge erarbeiten soll. Ähnlich ist es an der Northwestern-Uni in Illinois, an der Rutgers-Uni in New Jersey und anderen Lehranstalten. Konsequenz: Die Protestzelte wurden abgebaut.
„Dort werden die Studenten ernst genommen, ihr kritisches Denken nicht einfach abgetan. Warum nicht auch hier?“, fragt Lababdi. Sie deutet Hartnäckigkeit an. Das Gerede in manchen Medien, dass ja in wenigen Wochen Semesterabschluss sei und sich der Protest von selbst auflöse, sei falsch. „Wir glauben an unsere Mission. Wir bleiben, bis unsere Forderungen erfüllt sind.“
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US-Wahl: „Ich weigere mich einfach, zwischen zwei kriegsgeilen Verrückten zu entscheiden“
Lababdi hat sich, eine von vielen, festgelegt, was die Präsidentschaftswahl im November angeht. Weder Joe Biden noch Donald Trump hat bei ihr eine Chance. „Ich weigere mich einfach, zwischen zwei kriegsgeilen Verrückten zu entscheiden. Ich werde nicht wählen gehen. Demokraten wie Republikaner sollten auf ihre Wähler hören. Eine Mehrheit der Amerikaner will einen Waffenstillstand in Gaza.“
Als die Frage aufkommt, wie es um die Angstgefühle der jüdischen Mitstudierenden steht, die sich nicht selten bedroht und ausgegrenzt fühlen, ruft die lockige junge Frau auf dem zwischen Außenministerium und Weißem Haus eingebetteten Campus nach einer Kommilitonin.
Leila (20) will ihren Nachnamen „zur Sicherheit“ für sich behalten. Sie studiert an der Nachbaruniversität Georgetown Politik und Internationales Recht. Sie ist Jüdin mit armenischen Wurzeln. Neben dem Palästinensertuch am Kopf trägt sie an einer Halskette den Davidstern.
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Nahost-Konflikt: „Unsere Universitäten kofinanzieren die Vernichtung der Menschen in Gaza“
Was in Gaza geschehe, mithilfe amerikanischer Waffen, sei eindeutig ein Genozid, sagt sie. „Israel will jeden einzelnen Palästinenser dort auslöschen.“ Darum werde trotz massiver internationaler Kritik eine Hungersnot zugelassen und der Transport von Nahrung und medizinischer Hilfe, so gut es geht, erschwert. „Unsere Universitäten kofinanzieren die Vernichtung der Menschen in Gaza. Darum bin ich, Enkelin von Holocaust-Überlebenden und Verwandten, die in Auschwitz umgekommen sind, hier.“
Eckt sie mit ihrem Aktivismus in den eigenen Reihen an? „Meine gesamte jüdische Familie unterstützt mich. Wir sind nicht antisemitisch. Wir sind gegen die Politik der Regierungen von Benjamin Netanjahu und Joe Biden.“ Den Demokraten, sagt sie, drohe am 5. November ein böses Erwachen. „Biden wird einen Preis bei der jüngeren Generation zahlen. Genozid ist keine populäre Position. Das ist moralisch verwerflich.“
Für die Jüdin bringt diese Woche ein Novum. „Ich werde meine Bat-Mizwah, die religiöse Volljährigkeit, im Protestcamp nachfeiern. Gemeinsam mit meinen palästinensischen Freunden.“
Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl
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