Hamburg. Der Altkanzler ist in seinem Haus friedlich eingeschlafen. Er prägte Hamburg und Deutschland. Sonderausgabe des Abendblatts.

Hamburg trauert um einen großen Sohn der Stadt: Helmut Schmidt, deutscher Bundeskanzler zwischen 1974 und 1982, ist im Alter von 96 Jahren in seinem Haus in Langenhorn gestorben. Bei Schmidt waren seine Tochter Susanne, engste Begleiter und sein Arzt. Auch deutschlandweit wurde an Schmidt erinnert, vor seinem Haus legten Menschen Blumen ab. Die Fernsehsender ändern ihre Programm. Einen Überblick finden Sie hier.

Das Hamburger Abendblatt erscheint am Mittwoch mit einer Sonderausgabe zum Tode von Helmut Schmidt. Es wird 24 Seiten über den großen Staatsmann und Hamburg Ehrenbürger geben. Wir dokumentieren sein Leben von der Kindheit über die Kriegsjahre bis zur Kanzlerschaft. Dazu schreiben enge Weggefährten und prominente Hamburger über ihre Zeit mit Helmut Schmidt. Und es wird die wichtigsten alten Titelseiten des Hamburger Abendblatts zu den großen Momenten in Schmidts Leben geben: Sturmflut, Wahl zum Kanzler, RAF, Rückzug aus der Politik.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte Schmidt einen Vordenker der internationalen Zusammenarbeit. Vor der Unions-Bundestagsfraktion erinnerte Merkel nach Angaben von Teilnehmern an seine Entscheidung zum Nato-Doppelbeschluss. Merkel sei auch sehr persönlich geworden: Sie habe etwa 1962 von der DDR aus beobachtet, wie er als Hamburgs Innensenator in der Sturmflut agiert habe. Ihre Familie habe Verwandtschaft in Hamburg gehabt, um die man sich Sorgen gemacht habe, sagte die in Hamburg geborene Kanzlerin.

Die Abgeordneten von CDU und CSU erhoben sich nach dem Bekanntwerden des Todes von ihren Plätzen und gedachten Schmidts mit einer Schweigeminute.

Gauck: Helmut Schmidt hat Großes geleistet

Bundespräsident Joachim Gauck sagte: "Wir trauern um einen der bedeutendsten deutschen Politiker der Nachkriegszeit. In seinen öffentlichen Ämtern, ganz besonders als Bundeskanzler, hat Helmut Schmidt Großes geleistet. Sein entschlossenes Handeln in schwierigsten Situationen, seine Fähigkeit, das Machbare zu erkennen und zu gestalten, aber auch seine Kompromissfähigkeit, sein Eintreten für die Verteidigungsbereitschaft der freien Staaten Europas in Zeiten der Bedrohung – das alles steht mir und vielen Menschen in unserem Land in diesen Stunden der Trauer vor Augen."

Die wichtigsten Reaktionen finden Sie hier

Schmidt sei kurz nach 14 Uhr am Dienstag friedlich eingeschlafen, hieß es aus Kreisen der Familie. Der Altkanzler war in den vergangenen Tagen kaum noch ansprechbar, sein Leibarzt Heiner Greten war bei ihm. Aus London war seine Tochter Susanne eingeflogen. An Schmidts Seite war auch seine Partnerin Ruth Loah. Die beiden sind sich nach Loki Schmidts Tod im Jahr 2010 nähergekommen. „Er ist sehr friedlich und entspannt, allerdings ohne Bewusstsein wie schon in den vergangenen Tagen über, eingeschlafen und verstorben“, sagt Schmidts Arzt Prof. Heiner Greten und fügt an: „Er wollte immer zu Hause sterben, und er ist zu Hause gestorben.“

Nachbarn trauern vor dem Haus von Helmut Schmidt
Nachbarn trauern vor dem Haus von Helmut Schmidt © REUTERS | FABIAN BIMMER

Am Hamburger Rathaus gibt es eine Trauerbeflaggung, in der ganzen Stadt wurden Flaggen auf halbmast gezogen, auch vor dem Steigenberger Hotel in der City. „Ich glaub, dass Hamburg heute seinen Lotsen verloren hat“, sagte John Demirpercin vor dem Rathaus. „Er war einer der letzten großen Staatsmänner - sein Tod geht mir sehr nahe“, sagte Passantin Katharina Irmer.

Vor Schmidts Haus in Langenhorn wurden Blumen abgelegt. „Er war ein Mann, der zu seinem Wort stand“, sagt Nachbarin Anita Sommerfeld. Die 60-Jährige ist sichtlich traurig, hält ihren Hund fest im Arm. Eine Nachbarin, die seit 40 Jahren in dem Viertel wohnt, zeigte sich vom Tod des Altkanzlers betroffen. „Wir waren in derselben Kirchengemeinde, sagte die 68-jährige Ulrike Brodersen-Siering. Ein 48-Jähriger sagte, er sei extra aus Norderstedt gekommen. „Das war ein guter Mensch, der da von uns geht“ sagte er.

Olaf Scholz auf China-Reise: Die Hamburger haben Schmidt vertraut

SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte in einer ersten Reaktion auf Schmidts Tod: "Wir trauern um Helmut Schmidt und sind stolz darauf, dass er einer von uns war. Seine Urteilskraft und sein Rat werden uns fehlen."

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz sagte von seiner China-Reise: „Die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt trauern um einen Mann, dem sie vertraut haben. Das politische Leitmotiv von Helmut Schmidt war pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken. Er war davon überzeugt, dass ein Politiker sich an seinen Taten messen lassen muss und die Verantwortung für diese Taten trägt."

Als Mitglied der Kriegsgeneration sei für Helmut Schmidt die Sicherung des Friedens eine Lebensaufgabe gewesen. Schmidt habe durch die intensiven Kontakte zu Frankreich, mit der Begründung des Weltwirtschaftsgipfels und der Hervorhebung der Bedeutung Chinas die Politik bis heute geprägt. Scholz sagte: "Er fand auch bei jenen Gehör, die ihre Ohren sonst für die Politik verschlossen hatten. Dabei blieb Helmut Schmidt immer ein Sohn seiner Stadt. Sein Verhältnis zu seiner Heimatstadt war geprägt von tiefer Zuneigung."

Bei der Sturmflut 1962 schlug Schmidts Stunde

Der Altkanzler wurde als Helmut Heinrich Waldemar Schmidt am 23. Dezember 1918 geboren. Er war der ältere der beiden Söhne des Lehrer-Paares Gustav Ludwig Schmidt und Ludovica, (geborene Koch). Schmidt besuchte die Lichtwarkschule und studierte Volkswirtschaft. Helmut Schmidt hatte als Hamburger Innensenator während der großen Sturmflut 1962 mit ungewöhnlichen Hilfsmaßnahmen auf sich aufmerksam gemacht. Er ging in die Bundespolitik, wurde in der Großen Koalition 1967 Leiter der SPD-Bundestagsfraktion und war später außerdem Verteidigungs- und Finanzminister, ehe er 1974 nach dem Rücktritt Willy Brandts Bundeskanzler wurde.

Kanzler Schmidt bekämpfte den RAF-Terror

Als Kanzler war der Diplomvolkswirt unter anderem mit der weltweiten Ölkrise in den siebziger Jahren und mit dem Kampf gegen den Terrorismus der „Roten Armee-Fraktion“ konfrontiert. Auch die Auseinandersetzung um den Nato-Doppelbeschluss prägte Schmidts Kanzlerschaft.

Im Herbst 1982 scheiterte die von Schmidt geführte Koalition mit der FDP an Differenzen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Seit 1983 war Helmut Schmidt Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“, er schrieb zahlreiche Bücher und war für Vorträge viel auf Reisen. Schmidt wurde Hamburger Ehrenbürger, nach ihm wurden außerdem die Universität der Bundeswehr und ein Gymnasium benannt.

Wichtige Stationen im Leben von Helmut Schmidt

 

1918: Am 23. Dezember wird Helmut Heinrich Schmidt als Sohn eines Volksschullehrers in Hamburg-Barmbek geboren

 

1939-1945: Soldat im Zweiten Weltkrieg

 

1942: Heirat mit seiner früheren Klassenkameradin Hannelore (Loki) Glaser

 

1945: Eintritt in die SPD

 

1962: Als Innensenator in Hamburg macht er sich einen Namen bei der Bewältigung der Flutkatastrophe

 

 1967-1969: Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion

 

1969-1972: Verteidigungsminister im ersten Kabinett von Willy Brandt

 

1972: Finanzminister im zweiten Kabinett Brandt

 

1974: Wahl zum Bundeskanzler (16. Mai) nach Rücktritt Brandts

 

1977: Die RAF nimmt Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer als Geisel, im Oktober wird die Lufthansa-Maschine „Landshut“ entführt. Schmidt gibt den Forderungen der Terroristen nicht nach. Schleyer wird ermordet, die Geiseln der „Landshut“ in Mogadischu befreit.

 

1982: Am 1. Oktober wird Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt. Neuer Kanzler wird Helmut Kohl (CDU).

 

1983: Schmidt wird Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“

 

2010: Am 21. Oktober stirbt Loki Schmidt mit 91 Jahren.

 

2013 April: Die Familie des ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer macht ihren Frieden mit Schmidt. 36 Jahre nach Schleyers Tod verleiht sie Schmidt den Hanns-Martin-Schleyer-Preis

 

2013: Helmut Schmidt unterstützt vergeblich den ebenfalls aus Hamburg stammenden SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück

 

2015: Schmidt veröffentlicht das sehr persönliche Buch „Was ich noch sagen wollte“ über Lebenserinnerungen, Wegbegleiter und Vorbilder.

 

10. November 2015: Helmut Schmidt stirbt mit 96 Jahren in Hamburg.

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Peer Steinbrück änderte sein Facebook-Profil

Die SPD-Bundestagsabgeordneten haben am Dienstag während der laufenden Fraktionssitzung vom Tod des früheren SPD-Bundeskanzlers erfahren und seiner spontan mit einer Schweigeminute gedacht. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte zu den Abgeordneten, es sei nun leider eingetreten, was alle befürchtet hätten. Oppermann erinnerte an die letzte SPD-Parteitagsrede Schmidts 2011 in Berlin, wo dieser mahnende Worte zum Zustand Europas gefunden hatte.

Peer Steinbrück hat sein komplettes Facebook-Profil in Schwarz eingefärbt. Vor der Bundestagswahl 2013 hatte er Schmidt in Hamburg besucht. Der Altkanzler sagte über die Kanzlerambitionen Steinbrücks: "Er kann es."

Staatsakt in Hamburg für Schmidt geplant

Für Schmidt soll es nach einem Medienbericht einen Staatsakt in Hamburg geben. Die Veranstaltung solle in zwei bis drei Wochen stattfinden, berichtete die Zeitung „Die Welt“ in ihrer Online-Ausgabe unter Berufung auf nicht genannte Quellen im Rathaus. Neben einer Trauerfeier in der Kirche St. Michaelis sei ein Empfang für geladene Gäste im Rathaus geplant. „Heute ist nicht die Zeit, sich zu den konkreten Planungen für die Trauerfeierlichkeiten zu äußern“, sagte ein Senatssprecher am Abend zu dem Bericht. Die Hamburgische Bürgerschaft will in ihrer Sitzung am Mittwoch mit einer Schweigeminute dem Hamburger Ehrenbürger gedenken.