Zusatzbeiträge bleiben, aber Einkommen der Versicherten zählt. Große Koalition will Patienten entlasten. Hamburger Vorschläge werden umgesetzt.
Berlin/Hamburg. Nach heftigem Streit um die neue Gesundheitspolitik, die Krankenkassen und den Zusatzbeitrag haben sich Union und SPD offenbar auf einen Kompromiss verständigt. Die Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) und Jens Spahn (CDU) sollen alle Streitpunkte ausgeräumt haben. Die Zusatzbeiträge bleiben, werden aber künftig prozentual vom Einkommen der Versicherten erhoben. Der Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung bleibt bei 7,3 Prozent eingefroren. Damit hat sich die CDU durchgesetzt. Arbeitnehmer zahlen ebenfalls 7,3 Prozent. Bislang sind es 8,2 Prozent. Der allgemeine Beitragssatz soll bei 14,6 Prozent festgeschrieben werden. Bislang liegt er bei 15,5 Prozent.
Außerdem soll der Beitragssatz zur Pflege um 0,3 Prozentpunkte angehoben werden. Bislang waren 0,5 Prozent geplant. Für später steigenden Pflegebedarf soll eine Rücklage gebildet werden.
Mit einer Fülle von Maßnahmen will die künftige Große Koalition alle Patienten entlasten. Gleichzeitig soll die Qualität der Krankenhausbehandlung steigen, während einige Kliniken vermutlich schließen müssen. Auf die Krankenkassen kommen ebenfalls gewaltige Änderungen zu. Bei weiteren strittigen Punkten müssen die Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) am Sonntag in einer Dreierrunde entscheiden. Dann werden Gesundheit und Pflege gegen Mindestlohn (SPD-Wunsch) und Pkw-Maut (CSU-Plan) abgewogen, die größten Knackpunkte der Verhandlungsrunden.
Wie die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) im Gespräch mit dem Abendblatt sagte, sollte der Zusatzbeitrag der Krankenkassen komplett abgeschafft werden. Außerdem sollten Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichberechtigt an den Gesundheitskosten beteiligt werden.
Prüfer-Storcks sagte: „Die Zusatzbeiträge waren ein Irrweg. Das müssen wir jetzt korrigieren. Denn die Folgen für die Krankenkassen waren fatal und haben den Wettbewerb um gute Versorgung abgewürgt.“ So musste etwa die in Hamburg beheimatete DAK einen Mitgliederschwund von Hunderttausenden Versicherten verkraften, nachdem sie aus Finanznot einen Zusatzbeitrag erheben musste.
Sicher ist immerhin, dass die künftige Bundesregierung nicht, wie zuletzt Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), einfach den Zuschuss an den Gesundheitsfonds kürzt. Experten kritisieren, der Staat dürfe seinen Haushalt nicht auf Kosten der Gesundheit oder der Rentenkasse sanieren. Leistungen wie die Mitversicherung von Kindern oder eine neue Mütterrente müssten aus Steuermitteln bezahlt werden, weil dann alle Einkommen herangezogen werden. Das ist bei der Mütterrente noch nicht ausgemacht. Merkel und die CDU wollen die neue Leistung für Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren werden, aus den Rücklagen der Rentenversicherung zahlen. Doch deren Reserven dürften dann noch schneller schmelzen. Arbeitgeber und Gewerkschaften laufen dagegen Sturm.
Facharzttermin innerhalb von vier Wochen
In Zukunft sollen Patienten mit einer Überweisung spätestens nach vier Wochen einen Termin beim Facharzt bekommen. Sind die Praxen überfüllt, können sie sich im Krankenhaus behandeln lassen. Nach einer repräsentativen Umfrage der DAK würde das aber nicht einmal die Hälfte der Bürger tun. Die Patienten sind offenbar gewohnt, auf Termine beim Orthopäden oder Augenarzt zu warten.
Mit einem Kniff will die neue Regierung die Stellung der Hausärzte stärken. Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks sagte: Wenn Fachärzte Leistungen von Hausärzten übernehmen, soll das nicht mehr das Honorar der Hausärzte mindern.
Für Pflegezeit gibt es eine Lohnfortzahlung
In der Pflege, das ist unstrittig, gibt es bald eine Lohnfortzahlung für zehn Tage, wenn ein Arbeitnehmer zu Hause die Pflege eines Angehörigen übernimmt. Die Krankenkassen werden gezwungen, mehr Geld für Prävention auszugeben, das Verhüten von Krankheiten. Unrentable Krankenhäuser werden wohl schließen müssen, allerdings verspricht die neue Regierung 500 Millionen Euro aus dem Gesundheitsfonds für Investitionen in Ersatzlösungen, an denen sich auch die Bundesländer beteiligen müssen. Das können Medizinische Versorgungszentren sein. Auf Hamburg hätte das vermutlich keine Auswirkung, denn die Patienten kommen sogar aus den angrenzenden Bundesländern.
Allerdings müssen auch die Hamburger Kliniken die Qualität ihrer Operationen offenlegen. Ein neues Institut soll anhand von Abrechnungsdaten der Krankenkassen prüfen, welche Krankenhäuser am besten und ohne Komplikationen operieren. Die Berichte sollen im Internet veröffentlicht werden, sodass Patienten die Klinken besser vergleichen können. Außerdem soll sich die Bezahlung zum Teil nach der Qualität richten.
SPD soll Arbeitsministerium übernehmen
Bei der Bestrafung von korrupten Ärzten, Apothekern und anderen Mitarbeitern im Gesundheitswesen hat sich ein Hamburger Vorstoß durchgesetzt. Künftig soll im Strafgesetzbuch ein neuer Paragraf die Sanktionen gegen Betrügereien und Bestechung regeln. Justizsenatorin Jana Schiedek und Prüfer-Storcks hatten sich schon im Bundesrat dafür starkgemacht.
Einen Deckel auf Dispo-Zinsen wird es dagegen nicht geben. Auf eine gesetzlich festgelegte Obergrenze bei der Kontoüberziehung konnte sich die Arbeitsgruppe Finanzen nicht einigen. Aber Banken sollen verpflichtet werden, „beim Übertritt in den Dispositionskredit einen Warnhinweis zu geben“. Wird der Dispo-Kredit dauerhaft gewährt, sollen Banken den Kunden andere Angebote machen.
Am 14. Dezember will die SPD das Ergebnis des Mitgliederentscheids zur Großen Koalition verkünden. Erst nach einer Einigung zwischen Merkel, Seehofer und Gabriel geht es um Personalien. Fest steht nur, dass Merkel Kanzlerin bleibt. Gabriel darf sich ein Ministerium aussuchen. Die CSU beansprucht drei Kabinettsposten. Im Arbeitsministerium rechnet man damit, dass Ursula von der Leyen (CDU) geht – und Andrea Nahles kommt. „Arbeit – das ist ein klassisches SPD-Ministerium“, heißt es bei den Sozialdemokraten.