Aber es gibt Streit um die Krankenkassen. Die SPD will die Zusatzbeiträge abschaffen, die CDU nicht. Hamburger Vorschläge für Ärzte setzen sich durch.
Hamburg/Berlin. Mit einer Fülle von Maßnahmen will die künftige Große Koalition alle Patienten entlasten. Gleichzeitig soll die Qualität der Krankenhausbehandlung steigen, während einige Kliniken vermutlich schließen müssen. Auf die Krankenkassen kommen ebenfalls gewaltige Änderungen zu – unklar ist jedoch, wie weit sie gehen. Denn zwischen Union und SPD gibt es noch strittige Punkte, die nun die Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) am Sonntag in einer Dreierrunde lösen müssen. Dann werden Gesundheit und Pflege gegen Mindestlohn (SPD-Wunsch) und PKW-Maut (CSU-Plan) abgewogen, die größten Knackpunkte der Verhandlungsrunden.
Wie die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) im Gespräch mit dem Abendblatt sagte, werde für Gesundheit am Ende nicht unbedingt mehr Geld aus dem Bundeshaushalt benötigt. Allerdings fordert die SPD, dass die Zusatzbeiträge der Krankenkassen wieder abgeschafft werden. Außerdem sollen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichberechtigt an den Gesundheitskosten beteiligt werden. Derzeit zahlen Versicherte 8,3, ihre Arbeitgeber 7,2 Prozent vom Bruttogehalt an die Krankenkassen.
Prüfer-Storcks sagte: „Die Zusatzbeiträge waren ein Irrweg. Das müssen wir jetzt korrigieren. Denn die Folgen für die Krankenkassen waren fatal und haben den Wettbewerb um gute Versorgung abgewürgt.“ So musste etwa die in Hamburg beheimatete DAK einen Mitgliederschwund von Hunderttausenden Versicherten verkraften, nachdem sie aus Finanznot einen Zusatzbeitrag erheben musste. Zukünftig sollen die Kassen die Beiträge wieder eigenständig anheben können. Das will die CDU offenbar nicht. Der Krankenkassenbeitrag von 15,5 Prozent wird staatlich festgelegt.
Prüfer-Storcks’ Mitverhandler Karl Lauterbach (SPD) will sogar die gesamte Koalition von der Gesundheitspolitik abhängig machen. Allerdings konnte sich die SPD bei gravierenden Änderungen für die Private Krankenversicherung nicht durchsetzen. Die Bürgerversicherung ist vorerst vom Tisch.
Sicher ist immerhin, dass die künftige Bundesregierung nicht, wie zuletzt Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), einfach den Zuschuss an den Gesundheitsfonds kürzt. Experten kritisieren, der Staat dürfe seinen Haushalt nicht auf Kosten der Gesundheit oder der Rentenkasse sanieren. Leistungen wie die Mitversicherung von Kindern oder eine neue Mütterrente müssten aus Steuermitteln bezahlt werden, weil dann alle Einkommen herangezogen werden. Das ist bei der Mütterrente noch nicht ausgemacht. Merkel und die CDU wollen die neue Leistung für Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren werden, aus den Rücklagen der Rentenversicherung zahlen. Doch deren Reserven dürften dann noch schneller schmelzen. Arbeitgeber und Gewerkschaften laufen dagegen Sturm.
Facharzttermin innerhalb von vier Wochen
In Zukunft sollen Patienten mit einer Überweisung spätestens nach vier Wochen einen Termin beim Facharzt bekommen. Sind die Praxen überfüllt, können sie sich im Krankenhaus behandeln lassen. Nach einer repräsentativen Umfrage der DAK würde das aber nicht einmal die Hälfte der Bürger tun. Die Patienten sind offenbar gewohnt, auf Termine beim Orthopäden oder Augenarzt zu warten.
Mit einem Kniff will die neue Regierung die Stellung der Hausärzte stärken. Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks sagte: Wenn Fachärzte Leistungen von Hausärzten übernehmen, soll das nicht mehr das Honorar der Hausärzte mindern.
Pflegebeiträge steigen
In der Pflege, das ist unstrittig, gibt es bald eine Lohnfortzahlung für zehn Tage, wenn ein Arbeitnehmer zu Hause die Pflege eines Angehörigen übernimmt. Die Pflegebeiträge sollen um 0,5 Prozent steigen. Wer 3000 Euro verdient, muss künftig also 7,50 Euro mehr im Monat zahlen, sein Arbeitgeber dieselbe Summe. Die Union will einen Teil der Pflegebeiträge als Reserve in einen Kapitalfonds stecken. Die SPD lehnt das ab. Prüfer-Storcks sagte: „Wir brauchen das Geld für die Pflege jetzt. Der Aufbau eines Kapitalstocks macht in Zeiten niedriger Zinsen keinen Sinn.“
Die Krankenkassen werden gezwungen, mehr Geld für Prävention auszugeben, das Verhüten von Krankheiten. Unrentable Krankenhäuser werden wohl schließen müssen, allerdings verspricht die neue Regierung 500 Millionen Euro aus dem Gesundheitsfonds für Investitionen in Ersatzlösungen, an denen sich auch die Bundesländer beteiligen müssen. Das können Medizinische Versorgungszentren sein. Auf Hamburg hätte das vermutlich keine Auswirkung, denn die Patienten kommen sogar aus den angrenzenden Bundesländern.
Allerdings müssen auch die Hamburger Kliniken die Qualität ihrer Operationen offenlegen. Ein neues Institut soll anhand von Abrechnungsdaten der Krankenkassen prüfen, welche Krankenhäuser am besten und ohne Komplikationen operieren. Die Berichte sollen im Internet veröffentlicht werden, sodass Patienten die Klinken besser vergleichen können. Außerdem soll sich die Bezahlung zum Teil nach der Qualität richten.
SPD soll Arbeitsministerium übernehmen
Bei der Bestrafung von korrupten Ärzten, Apothekern und anderen Mitarbeitern im Gesundheitswesen hat sich ein Hamburger Vorstoß durchgesetzt. Künftig soll im Strafgesetzbuch ein neuer Paragraf die Sanktionen gegen Betrügereien und Bestechung regeln. Justizsenatorin Jana Schiedek und Prüfer-Storcks hatten sich schon im Bundesrat dafür starkgemacht.
Einen Deckel auf Dispo-Zinsen wird es dagegen nicht geben. Auf eine gesetzlich festgelegte Obergrenze bei der Kontoüberziehung konnte sich die Arbeitsgruppe Finanzen nicht einigen. Aber Banken sollen verpflichtet werden, „beim Übertritt in den Dispositionskredit einen Warnhinweis zu geben“. Wird der Dispo-Kredit dauerhaft gewährt, sollen Banken den Kunden andere Angebote machen.
Am 14. Dezember will die SPD das Ergebnis des Mitgliederentscheids zur Großen Koalition verkünden. Erst nach einer Einigung zwischen Merkel, Seehofer und Gabriel geht es um Personalien. Fest steht nur, dass Merkel Kanzlerin bleibt. Gabriel darf sich ein Ministerium aussuchen. Die CSU beansprucht drei Kabinettsposten. Im Arbeitsministerium rechnet man damit, dass Ursula von der Leyen (CDU) geht – und Andrea Nahles kommt. „Arbeit – das ist ein klassisches SPD-Ministerium“, heißt es bei den Sozialdemokraten.