Türkei spricht NATO-Beistandverpflichtung an – Außenminister Guido Westerwelle mahnt in Istanbul zur Besonnenheit.
Istanbul. Mit einer diplomatischen Offensive versucht Deutschland, eine weitere Eskalation im Syrien-Konflikt und damit einen möglichen NATO-Bündnisfall zu verhindern. „Die Lage ist sehr ernst“, sagte Außenminister Guido Westerwelle am Sonnabend in Istanbul. Dort war er überraschend nicht nur mit seinem türkischen Kollegen Ahmed Davutoglu zusammengetroffen, sondern hatte auch Gespräche mit der syrischen Opposition, mit der Arabischen Liga und dem Syrien-Sondergesandten Lakhdar Brahimi geführt.
Davutoglu warnte derweil Syrien in scharfen Worten vor neuerlichen Grenzprovokationen und erinnerte an die Beistandsverpflichtungen der NATO-Partner. „Die türkische Grenze hat den gleichen Stellenwert wie die norwegische Grenze. Und wir werden entsprechend handeln“, sagte der Außenminister. An Damaskus gerichtet fügte er unmissverständlich hinzu: „Wir werden im Zuge unserer Verteidigung abschreckend handeln.“
Angesichts solcher verbalen Drohungen lobte Westerwelle die bisherige Besonnenheit Ankaras. „Wenn wir eine Spirale der Eskalation beginnen, kann es einen Flächenbrand in der gesamten Region geben“, sagte er und warnte vor der Möglichkeit eines „Stellvertreterkrieges“. Mit Blick auf eine immer schwierigere Lage in Syrien und weiteren Grenzscharmützeln mit der Türkei fügte er hinzu: „Wir sehen: Die Gefahr eines Flächenbrandes ist sehr groß.“
Nach dem syrischen Angriff auf ein türkisches Grenzdorf war es in den vergangenen Tagen zu einer Zuspitzung der Lage gekommen, als türkische Militärjets eine aus Moskau kommende syrische Passagiermaschine zur Landung zwangen. Damit wollte Ankara heimliche Waffentransporte unterbinden, Syrien bestritt eine Waffenlieferung und sprach von Piraterie. Zudem wurden jüngst syrische Hubschrauber an der Grenze von türkischen Kampfjets abgedrängt.
Westerwelle stellte klar, dass Deutschland eindeutig an der Seite der Türkei stehe und auch die erzwungen Landung des syrischen Zivilflugzeuges verstehe. Die Türkei habe das Recht, mögliche Waffenlieferungen über ihren Luftraum zu unterbinden. Das hätte im Übrigen auch Deutschland getan, wenn ein solcher Fall im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik eingetreten wäre. Grundsätzlich machte Westerwelle deutlich: „Die Türkei ist unser Partner und sie kann mit unserer Solidarität rechnen.“
Auch die deutliche Kritik des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan an den Vereinten Nationen und an der Ohnmacht des Weltsicherheitsrates teilte der deutsche Spitzendiplomat. „Es gibt keinen Zweifel, dass die Blockadehaltung wirklich kritikwürdig ist“, sagte Westerwelle mit Blick auf das Veto von Russland und China im Sicherheitsrat, der damit nicht zu einer verschärften Gangart gegen das Assad-Regime finden kann. Darüber wollten die EU-Außenminister am (morgigen) Sonntag in Luxemburg mit dem russischen Kollegen Sergej Lawrow reden.
Erdogan hatte zuvor erklärt, vor den Augen der Welt spiele sich eine humanitäre Katastrophe in Syrien ab. „Wenn wir auf einen oder zwei der ständigen Mitglieder (des Weltsicherheitsrats) warten, dann ist die Zukunft Syriens in Gefahr“, sagte er und forderte eine Reform des Rats. Dieser repräsentiere nicht den Willen der meisten Länder der Welt.
Um rasch zu greifbaren Fortschritten für Syrien zu kommen, rief Westerwelle in Istanbul erneut zur Unterstützung für den Sondergesandten der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, Lakhdar Brahimi, auf. Dieser will an den Sechs-Punkte-Plan seines Vorgängers Kofi Annan anknüpfen, der mit seinen Vermittlungsbemühungen im August gescheitert war. Vorrangiges Ziel ist ein Ende der Kämpfe, die bislang mehr als 30.000 Menschen das Leben kosteten. Mehr als 1,5 Millionen Syrer befinden sich auf der Flucht und haben unter anderem im Nachbarland Türkei Schutz gefunden. Westerwelle sicherte hier der Türkei weitere Unterstützung zu.
Westerwelle hatte auf dem Rückflug von China einen Zwischenstopp in Istanbul eingelegt, um mit seinem türkischen Kollegen die aktuellen Entwicklungen des Syriens-Konflikts direkt zu besprechen. Im Falle eines Krieges mit der Türkei hat die NATO bereits klargestellt, dass sie ihren Bündnisverpflichtungen nachkommen werde.