Ankara zwingt eine Maschine aus Moskau zur Landung. Russland verlangt eine Erklärung. Erdogan: Flugzeug hatte Waffen an Bord.
Istanbul. Die syrische Regierung hat die Türkei der "Luftpiraterie" bezichtigt, nachdem ein syrisches Verkehrsflugzeug vom Typ Airbus A320 auf dem Weg von Moskau nach Damaskus von türkischen Kampfflugzeugen zur Landung in Ankara gezwungen worden war. Erst nach mehr als fünf Stunden hatte die Maschine ihren Flug fortsetzen können. Nach russischen Angaben befanden sich 37 Insassen in dem Flugzeug, darunter 17 russische Bürger. Nach Angaben der Regierung in Ankara hatte die Maschine für Syrien bestimmte russische Munition an Bord. Adressat der Lieferung sei das Verteidigungsministerium in Damaskus gewesen, sagte Ministerpräsident Tayyip Erdogan. Die Munition stamme von einem russischen Hersteller.
Syriens Transportminister Mahmud Said kündigte eine offizielle Klage bei der internationalen Luftfahrtbehörde an, deren Regeln die Türkei durch ihre Aktion verletzt hätte. Sollte es dazu kommen, wird die Türkei vorlegen müssen, was sie an Bord gefunden und dann beschlagnahmt hat. Das syrische Außenministerium forderte derweil eine "volle und korrekte" Rückgabe der konfiszierten Fracht. Damit Syrien sich nicht auf ähnliche Weise "revanchieren" kann, wurden türkische Zivilflugzeuge bis auf Weiteres von der Führung in Ankara angewiesen, den syrischen Luftraum zu meiden. Ein bereits gestartetes Flugzeug mit türkischen Pilgern auf dem Weg nach Mekka und Medina in Saudi-Arabien wurde umgeleitet.
Der Vorfall kann im Falle einer internationalen Untersuchung insofern noch brisant werden, als eine Stewardess des Flugzeugs im russischen TV-Sender RT schwere Vorwürfe gegen die türkischen Sicherheitskräfte erhob, die die Maschine durchsuchten. Sie hätten "vier Menschen im Flugzeug geschlagen, darunter zwei von der Besatzung und zwei Passagiere", und sie "gezwungen, falsche Papiere zu unterschreiben, ohne zu wissen, was darin steht". Etwas widersprüchlich angesichts des angeblichen Nichtverstehens ist die nächste Aussage der Stewardess, wonach es sich bei den Papieren um Erklärungen gehandelt habe, dass das Flugzeug eine Notlandung habe machen müssen (in Wahrheit war es zur Landung gezwungen worden).
Auch Russland ist verärgert. Moskau widerspricht der Darstellung, die Maschine habe militärische Güter an Bord gehabt. Die Türkei habe zudem den im Flugzeug festgehaltenen russischen Staatsbürgern verweigert, einen Mitarbeiter der russischen Botschaft in Ankara hinzuzuziehen. Nach Angaben der Zeitung "Financial Times" hat die russische Regierung von der türkischen Seite Erklärungen eingefordert.
Zugleich - aber womöglich unabhängig von dem Zwischenfall - wurde ein ursprünglich für die kommende Woche geplanter Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Ankara auf November verschoben. Über die Gründe gibt es widersprüchliche Darstellungen aus Moskau und Ankara, die beide wenig glaubwürdig klingen: Putins Terminkalender sei voll gewesen, hieß es von russischer Seite, während aus der Türkei von "bürokratischen" Problemen zu hören war.
Vielleicht hatte aber auch - in Ergänzung zu dem Zwischenfall mit dem Flugzeug - die Donnerrede des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan auf dem jüngst abgehaltenen Kongress seiner Regierungspartei AKP eine Rolle gespielt. Erdogan hatte Russland dort mit den Worten abgekanzelt, es werde von der Geschichte bestraft werden, weil es sich auf die Seite der Unterdrücker stelle. Er unterließ es allerdings zu erwähnen, dass auch die Türkei und Erdogan persönlich bis vor Kurzem als beste Freunde des syrischen Unterdrückungsregimes gegolten haben. Russland und China bewahren das Regime in Damaskus im Uno-Sicherheitsrat immer noch vor einem Einschreiten der internationalen Staatengemeinschaft.
Derweil hat auch der türkische Generalstabschef Necdet Özel den Ton im Konflikt mit Syrien deutlich verschärft. Seit dem 8. Oktober inspiziert er die "Front" an der Grenze zu Syrien, Ort für Ort, ein ungewöhnlicher und von den Medien sorgsam beobachteter Vorgang. Erst jetzt wurde bekannt, dass die Türkei die Kampfbereitschaft ihrer Truppen bereits vor Tagen angehoben hatte - auf "hohe Gefechtsbereitschaft". Özel hatte bereits angedroht, dass die Türkei in Zukunft "härter" zurückschlagen werde, wenn weiterhin Granaten aus Syrien auf türkischem Boden einschlagen. Am 3. Oktober hatte eine Granate aus Syrien im türkischen Grenzdorf Akcakale fünf Zivilisten getötet.
Die Türkei hat inzwischen weitere 25 Kampfflugzeuge vom Typ F16 in die Region verlegt, sie verfügt dort aber ohnehin bereits über starke Luftkräfte. Der international anerkannte Militärexperte Gareth Jenkins hält Luftangriffe als nächste Stufe der Eskalation für denkbar, aber auch für riskant, da die syrische Luftabwehr als sehr schlagkräftig gelte.