Der vom Chaos Computer Club kritisierte Bundestrojaner soll bereits drei Jahre alt sein. Bund und Länder wollen eine schnelle Aufklärung.

Berlin. Nach Darstellung des Bundesinnenministeriums soll der vom Chaos Computer Club untersuchte "Trojaner" von keiner Bundesbehörde eingesetzt worden sein. Bei der drei Jahre alten Software handle es sich nicht um einen „Bundestrojaner“, sagte ein Sprecher von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Montag in Berlin. Nun müssten die Länder prüfen, ob eine solche Überwachungssoftware in ihrem Sicherheitsbereich eingesetzt worden sei. Nach Darstellung des Sprechers des Bundesinnenministeriums entwickelt jede Landesbehörde solche Überwachungssoftware selbst. Es gebe keine Dachbehörde in diesem Bereich. Eine solche Software sei im übrigen auf dem freien Markt erhältlich. Daher sei nicht ausgeschlossen, dass die Software von Dritten eingesetzt worden sei.

Regierungssprecher Steffen Seibert betonte, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nehme die Vorwürfe des Chaos Computer Clubs sehr ernst. Es solle auf allen Ebenen geprüft werden, ob ein solcher „Trojaner“ zum Einsatz gekommen sei. Die Bundesregierung handele ganz grundsätzlich immer auf Basis von Recht und Gesetz, betonte Seibert mit Blick auf Vorwürfe, die Software gehe über verfassungsrechtliche Kompetenzen hinaus.

+++ Bosbach fordert Beweise vom Chaos Computer Club +++

+++ Bundesjustizministerin will "totale Transparenz und Aufklärung" +++

Die vom Chaos Computer Club geknackte Überwachungssoftware war nach Einschätzung des Bundesinnenministeriums frei erhältlich. Das Programm sei rund drei Jahre alt und vermutlich auf dem internationalen Markt verfügbar gewesen, sagte ein Ministeriumssprecher am Montag in Berlin. Daher müsse man die Frage stellen, ob die Software überhaupt von staatlicher Seite eingesetzt worden sei. Die Bundessicherheitsbehörden hätten den Trojaner nicht verwendet. Regierungssprecher Steffen Seibert versicherte, dass die Regierung das „Recht auf Privatsphäre“ der Bürger „auch in der digitalen Welt“ verteidige. Daher solle nun „zügig und gründlich“ untersucht werden, ob der Trojaner eingesetzt worden sei.

Grüne: Bundestrojaner könnte aus Bayern stammen

Der vom Chaos Computer Club analysierte sogenannte Bundestrojaner stammt nach Einschätzung der Grünen womöglich aus Bayern. „Das Landeskriminalamt in Bayern hat nachweislich in mindestens fünf Fällen Computer mit Trojanern ausgeforscht und dabei auch Screenshots angefertigt“, sagte die Grünen-Innenexpertin Susanna Tausendfreund am Montag in München. Daher dränge sich der Verdacht auf, dass der nun entdeckte Bundestrojaner in Wahrheit ein Bayern-Trojaner sei.

+++ Chaos Computer Club schockiert über "Bundestrojaner" +++

Das Landgericht Landshut hatte im Januar 2011 Computerüberwachungen des bayerischen LKA mittels eines eingeschleusten Trojaners als rechtswidrig eingestuft, da mit dem Programm auch tausende Fotos der Bildschirmoberfläche gemacht wurden. Auch der nun gefundene Bundestrojaner kann den Angaben zufolge zum Anfertigen von Screenshots verwendet werden und weist zudem Sicherheitslücken auf.

Aufklärung zum „Staatstrojaner“ gefordert

Politiker von Regierung und Opposition verlangen eine umfassende Aufklärung der Vorwürfe zum Einsatz staatlicher Überwachungssoftware gefordert. Der Innenausschuss des Bundestages wird sich voraussichtlich in der kommenden Woche mit dem Thema „Staatstrojaner“ beschäftigten. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sagte, vorrangig sei zu klären, wer die betreffende Software entwickelt und eingesetzt habe. Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) forderte den Chaos Computer Club (CCC) auf, seine Vorwürfe zu belegen. Das Bundesinnenministerium hatte am Wochenende bestritten, dass das Bundeskriminalamt (BKA) die vom CCC kritisierte Software mit illegalen Einsatzmöglichkeiten verwendet.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kündigte in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Montag) an, die Überwachungssoftware zu überprüfen. „Der Einsatz von Überwachungssoftware ist nur lückenhaft geregelt. Während für das BKA zur Abwehr schwerster Verbrechen eindeutige gesetzliche Vorgaben bestehen, fehlen vergleichbar klare Auflagen für Polizei und Staatsanwaltschaft im Bereich der Strafverfolgung.“

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sprach sich für Untersuchungen nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landesebene aus , um die Vorwürfe aufzuklären. Auch in den Ländern gebe es Möglichkeiten, Internet-Telefonie und Chats zu überwachen, sagte sie im ARD-„Morgenmagazin“. Für diesen prinzipiell legalen Zweck soll die Software eigentlich gedacht sein, aber darüber hinausgehende Möglichkeiten haben

Dem CCC liegen nach Angaben einer Sprecherin von Montag mehrere Anhaltspunkte dafür vor, dass die Überwachungssoftware tatsächlich von Landesbehörden eingesetzt wurde. Zwei der Versionen würden derzeit in aktuellen Ermittlungsverfahren genutzt, sagte CCC-Sprecherin Constanze Kurz. Es müsse den Verantwortlichen bereits klar sein, von welchen Landeskriminalämtern die Trojaner stammten, da auch spezielle Aktenzeichen mit in die Software einprogrammiert seien.

Der CCC hatte am Wochenende verbreitet, dass ihm eine „staatliche Spionagesoftware“ zugespielt worden sei, mit der Ermittler in Deutschland Telekommunikation im Internet überwachten. „Die untersuchten Trojaner können nicht nur höchst intime Daten ausleiten, sondern bieten auch eine Fernsteuerungsfunktion zum Nachladen und Ausführen beliebiger weiterer Schadsoftware“, teilte der Verein mit.

Bosbach sagte im Deutschlandfunk, der CCC müsse sagen, um welche Software es sich handele und welche Behörde in welchem Verfahren und zu welchem Zweck tätig geworden sei. Die Vorwürfe seien erheblich und gravierend. „Sollten sie sich als wahr herausstellen, wäre das selbstverständlich ein ernstzunehmender Vorgang.“ Die Behörden wären dann kriminell vorgegangen. Der CDU-Innenexperte Clemens Binninger sagte der dpa, es sei dringend notwendig zu wissen, welche Behörden den Trojaner angewandt habe. „Ansonsten spekulieren wir zu viel, und das wäre nicht im Interesse der Sache.“

Unterdessen haben auch Antiviren-Spezialisten die vom CCC untersuchte Software untersucht. Nach Einschätzung der Firma G-Data ist die Spionagesoftware „dilettantisch programmiert“. Ein sehr großes Problem sei, dass der „Trojaner“ eine große Hintertür im Rechner hinterlasse, über die jeder Dritte eigene Schadprogramme hochladen und ausführen könne, sagte der G-Data-Sicherheitsexperte Ralf Benzmüller.

Soweit der Staat überhaupt Computer infiltrieren darf, „muss er Risiken eines Missbrauchs vorbeugen“, erläuterte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ der ehemalige Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, der das Karlsruher Urteil zur Online-Durchsuchung mit verantwortet hat. „Es müssen wirkungsvolle Sicherungen eingebaut sein, sonst ist das Vorgehen rechtswidrig.“

Bosbach sagte, einigen Mitgliedern des Innenausschusses sei ehemals eine Software vorgeführt worden, die die vom CCC beschriebenen Fähigkeiten aufweise. Man sei sich deswegen im Ausschuss schnell einig gewesen, dass sie nicht angeschafft werde. Jedoch verteidigte Bosbach Ermittlungen mit heimlich installierten Computerprogrammen grundsätzlich: „Das sind Ermittlungsmöglichkeiten auf die der Staat nicht generell verzichten kann, weil er sonst in einer Reihe von Verfahren gar keine Beweise mehr erheben kann.“

(abendblatt.de/dpa/dapd)