Journalisten sollen Telefone von Anschlagsopfern und von Familien gefallener Soldaten abgehört haben. Das Blatt wird am Sonntag zum letzten Mal erscheinen.
London/Hamburg. Das Medienimperium News Corp. von Rupert Murdoch zieht Konsequenzen auf dem ausufernden Abhörskandal beim Boulevard-Blatt „News of the World“. Die britische Zeitung werde am Sonntag letztmalig erscheinen, teilte der Konzern mit. Sollten die derzeitigen Vorwürfe wahr sein, handele es sich um ein unmenschliches Verhalten der Journalisten, für die es keinen Platz mehr im Unternehmen gebe. Der zuständige britische Verlag News International erklärte, die Einnahmen aus der am Sonntag verkauften Ausgabe würden einem wohltätigen Zweck gespendet. Zudem würden keine Anzeigen geschaltet. Die Journalisten sollen Telefone von Anschlagsopfern und von Familien gefallener Soldaten abgehört haben. Die Einstellung des Boulevardblattes wird etwa 200 Mitarbeiter den Job kosten. Die Beschäftigten könnten sich um andere Stellen im Medienkonzern News International bewerben, zu dem die Zeitung gehört, sagte dessen Sprecherin Daisy Dunlop.
Nach neuen Enthüllungen war ein Milliarden-Deal von Murdoch bedroht. Wie die „Financial Times“ in London meldete, will Kulturminister Jeremy Hunt die politische Entscheidung über die Komplettübernahme der Senderkette BSkyB auf September vertagen. Die Labour-Opposition fordert, dass die Entscheidung zu einer Monate dauernden intensiven Prüfung an die Wettbewerbskommission übergeben werden soll. Ursprünglich wollte die Regierung in der nächsten Woche darüber entscheiden, ob der Murdoch-Konzern die Senderkette kaufen darf, obwohl ihm über die Holding News International bereits wichtige Zeitungen in Großbritannien wie die „Times“ und die „Sun“ gehören. Die Zahl der öffentlichen Bedenken gegen den auf bis zu 8 Milliarden Pfund (9 Milliarden Euro) geschätzten Deal sei von erwarteten 60.000 auf über 100.000 gestiegen, schrieb die „Financial Times“.
Unterdessen wurden neue Einzelheiten im Abhörskandal bekannt. Demnach sollen die „News of the World“-Reporter nicht nur Prominente, Verbrechensopfer und Angehörige der Opfer der Terroranschläge vom 7. Juli 2005 auf die Londoner U-Bahn angezapft haben. Auch Witwen von im Irak-Krieg gefallenen Soldaten sollen Opfer der illegalen Praktiken geworden sein, erfuhr der „Daily Telegraph“.
Im Visier der Reporter waren zudem der heutige britische Schatzkanzler (Finanzminister), George Osborne und Michael Mansfield, der die Familie von Lady Dianas Liebhaber Dodi al-Fayed in einem Untersuchungsschuss zum Tod des Paares vertreten hatte. Beiden wurde von der Polizei mitgeteilt, ihre Telefonnummern seien im Zuge des Ermittlungsverfahrens aufgetaucht. Zuvor waren bereits Prominente wie die Schauspieler Sienna Miller, Jude Law und Hugh Grant als Opfer der Abhöraffäre genannt worden.
Der britische Premierminister David Cameron hat eine umfassende Untersuchung der Abhöraffäre gefordert. Möglicherweise seien mehrere Überprüfungen notwendig, sagte Cameron im Unterhaus, das das Thema am Nachmittag in einer Sonderdebatte behandelte. Die Regierung steht zunehmend unter Druck, den Vorwürfen nachzugehen, Journalisten der Murdoch-Zeitungen hätten nicht nur die Mailbox eines ermordeten zwölfjährigen Mädchens, sondern auch die von Politikern und Anschlagsopfern geknackt und abgehört. Murdoch wies die Vorwürfe als nicht hinnehmbar zurück und stellte sich hinter eine umstrittene Managerin.
Cameron sagte, die Affäre habe die britische Öffentlichkeit aufgebracht. Die oppositionelle Labour-Partei legte Rebekah Brooks den Rücktritt als Chefin der britischen Tageszeitungen von Murdochs Konzern News Corp. nahe. Brooks war zur fraglichen Zeit Redakteurin bei den „News of the World“. Der Konzern selbst erklärte, er begrüße die Forderung nach einer Untersuchung der Praktiken der Branche. Murdoch erklärte aber später: „Jüngste Vorwürfe des Telefon-Hackens und von Zahlungen an die Polizei gegen die ,News of the World’ sind kläglich und unakzeptabel.“ Das Unternehmen habe bei allen Untersuchungen mit der Polizei zusammengearbeitet „und wird das unter Rebekah Brooks Führung fortsetzen“.
Die Debatte ist für Cameron unerfreulich, weil er mit Brooks befreundet ist. Der Premierminister lud Brooks und ihren Mann wiederholt in sein Landhaus ein. Cameron steht darüber hinaus in der Kritik, weil er den früheren „News of the World“-Journalisten Andy Coulson als Kommunikationsdirektor eingestellt hat.