Der ehemalige KZ-Wachmann muss die fünfjährige Haftstrafe nicht antreten. Nun wurde ein Pflegeheimplatz für den 91-Jährigen gefunden.

München. Der frühere KZ-Wachmann John Demjanjuk hat einen Tag nach seiner Verurteilung das Müncher Gefängnis Stadelheim verlassen. Versehen mit seinen Entlassungspapieren und Medikamenten für eine Woche wurde der 91-Jährige am Freitagnachmittag in eine Pflegeeinrichtung gebracht, wie Gefängnisdirektor Michael Stumpf mitteilte.

Die Stadt München und die Justizvollzugsanstalt (JVA) hatten intensiv nach einer Bleibe gesucht. Wo das Alters- oder Pflegeheim ist, in dem Demjanjuk jetzt lebt, solle geheimbleiben. „Demjanjuk hat gesagt, er braucht erst einmal Ruhe und möchte zunächst keinen Kontakt zu Presse“, sagte Stumpf. Demjanjuks Familie lebt im US-Bundesstaat Ohio. Dorthin zurück kann Demjanjuk nicht: Ihm wurde die US-Staatsbürgerschaft aberkannt, seither ist er staatenlos.

Das Münchner Landgericht hatte Demjanjuk am Donnerstag wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 28 060 Juden im Jahr 1943 im Vernichtungslager Sobibor zu fünf Jahren Haft verurteilt. Zugleich hob es den Haftbefehl auf, weil dieser nicht mehr verhältnismäßig sei.

Der gebürtige Ukrainer, der teils im Rollstuhl sitzt und unter anderem an einer Blutkrankheit leidet, war seit seiner Abschiebung aus den USA vor zwei Jahren auf der Krankenstation in Stadelheim. Nach der Aufhebung des Haftbefehls hätte er die JVA eigentlich am Donnerstag verlassen müssen, war aber auf eigenen Wunsch geblieben. Stumpfs Stellvertreter Jochen Menzel sagte: „Wir können ja den 91-jährigen Mann nicht auf die Straße schieben und sagen: Servus.“

Demjanjuk habe seine Entlassung „ambivalent“ gesehen, sagte Stumpf. „Er freut sich sehr darauf, dass er uneingeschränkten Kontakt mit seiner Familie haben kann. Auf der anderen Seite ist es ihm auch schwergefallen, sich von denen zu verabschieden, die sich so intensiv um ihn gekümmert haben“, sagte der JVA-Direktor. „Man muss differenzieren zwischen dem Täter von damals, der nach den Feststellungen des Gerichts schreckliche Dinge zu verantworten hat, und dem gebrechlichen alten Herrn, für dessen Versorgung wir zuständig sind.“

Demjanjuks Gesundheitszustand hatte sich nach seinem Arzt Albrecht Stein, der den Prozess begleitete, zumindest nicht verschlechtert. Stein sagte kurz vor Prozessende, die Blutwerte seien sogar eher besser geworden. Demjanjuk muss auch außerhalb der JVA medizinisch betreut werden. „Für eine Woche haben wir ihm Medikamente mitgegeben“, sagte Stumpf. „Wir haben einen Arztbrief geschrieben und ihm erklärt, worauf er achten muss.“

Die Verteidigung hat Revision gegen den Schuldspruch eingelegt. Anwalt Ulrich Busch rechnet damit, dass bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofes zwei Jahre vergehen. „Ich bin sehr sicher, dass ich diese Revision gewinnen werde“, sagte Busch am Freitag. Es werde versucht, Demjanjuk wieder die US-Staatsbürgerschaft zu verschaffen, damit er nach Hause zurück könne. (dpa/abendblatt.de)

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Der aus der Ukraine stammende ehemalige KZ-Wachmann John Demjanjuk ist zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Das Landgericht München II verurteilte den 91-Jährigen gestern wegen Beihilfe zum Massenmord an Juden im deutschen Vernichtungslager Sobibór, entließ ihn aber gleichzeitig nach zwei Jahren Untersuchungshaft aus dem Gefängnis. Während Demjanjuk den Schuldspruch ohne sichtbare Regung verfolgte, konnten viele Nebenkläger ihre Tränen nicht zurückhalten.

Die Richter sahen es als erwiesen an, dass Demjanjuk als "fremdvölkischer Hilfswilliger" vom 27. März bis Mitte September 1943 Wachmann in Sobibór gewesen und damit Beihilfe zum Mord an mindestens 28 060 Menschen geleistet hat. Demjanjuk nahm das Urteil in seinem Rollstuhl sitzend entgegen. Die Urteilsbegründung hörte er, wie üblich, in einem Bett liegend an. Seine Augen hatte er wie stets hinter einer Sonnenbrille verborgen.

Alle der Trawniki genannten Hilfswachmänner seien am routinemäßigen Vernichtungsprozess in Sobibór beteiligt gewesen. Sie hätten eine wesentliche Rolle gespielt, sagte der Vorsitzende Richter Ralph Alt. "Der Angeklagte war Teil der Vernichtungsmaschinerie." Egal, wo ein Trawniki gerade Dienst getan habe: "Allen Trawniki-Männern war klar, was geschah."

Die Wachmänner hätten die im Vernichtungslager ankommenden Juden in die Gaskammern getrieben und dafür gesorgt, dass die Juden taten, was ihnen die SS-Leute befohlen hätten. Ohne die "Hilfswilligen" wäre die Judenvernichtung nicht durchführbar gewesen, sagte Alt. So seien in Sobibór auf etwa 20 SS- und Polizeikräfte rund 150 Trawniki gekommen. "Trawniki-Leute waren in allen Phasen der Ermordung der Juden beteiligt."

Alt betonte, das Gericht habe sich vom Gesetz und nicht von moralischen oder politischen Überlegungen leiten lassen. Der Prozess zog sich seit 2009 hin. Das Urteil fiel am 93. Verhandlungstag. Die Staatsanwaltschaft hatte sechs Jahre gefordert, einzelne Nebenkläger die Höchststrafe von 15 Jahren. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert.

Verteidiger Busch kritisierte das Urteil als "juristisches Wunschdenken". Es gebe keinerlei Beweise. Er werde in Revision gehen.