Mit bewegenden Worten haben weitere Nebenkläger im Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher Demjanjuk ihr Schicksal geschildert.
„Ich habe die Liebe meines Lebens verloren“, sagte Philip Jacobs. Unter Tränen schilderte er heute vor dem Schwurgericht München, wie seine 21-jährige Verlobte Ruth und seine Eltern aus dem niederländischen Westerbork deportiert und sofort nach ihrer Ankunft in Konzentrationslager Sobibor am 23. Juli 1943 vergast worden seien. Seine 23-jährige Schwester sei in Auschwitz, seine Freunde in Mauthausen umgebracht worden. „Ich peinige mich oft mit dem Gedanken, warum ich am Leben geblieben bin, warum ich meine Familie allein gelassen habe“, schilderte Jacobs seine Gefühle. Er ist einer der Nebenkläger im Mordprozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk. Jacobs und mehrere andere Holocaust-Überlebende schilderten am dritten Verhandlungstag das Schicksal ihrer ermordeten Familien. Der 89-jährige Demjanjuk hörte ihnen mit geschlossenen Augen und im Rollstuhl sitzend zu.
Demjanjuk ist angeklagt, im Jahr 1943 als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden geleistet zu haben. Demjanjuk bestreitet, in Sobibor gewesen zu sein. Wichtigstes Beweismittel der Staatsanwaltschaft sind sein Dienstausweis und Listen der SS für die als Kriegsgefangene rekrutierten KZ-Wachmänner.
Demjanjuks Wahlverteidiger Ulrich Busch rief im Gericht erneut Empörung hervor, als er einen Überlebenden fragte: „War nach Ihrem Eindruck die Judenpolizei schlimmer als die Nazis?“ Er habe gelesen, dass der jüdische Ordnungsdienst im holländischen NS-Sammellager Westerbork schlimmer als die SS gegen zum Abtransport nach Sobibor festgenommenen Juden vorgegangen sei, sagte Busch. Auf Nachfragen des Gerichts und der aufgebrachten Anwälte der Nebenkläger nannte er aber keine Quelle. „Wenn Sie's googeln, finden Sie's“, sagte Busch. Schon am ersten Prozesstag hatte er Empörung ausgelöst, als er Demjanjuk mit den jüdischen KZ-Häftlingen gleichsetzte.
Wie sehr die Häftlinge leiden mussten, schilderten neben Philip Jacobs noch weitere der rund 40 Nebenkläger. Der Holocaust-Überlebende Leon Viera aus Amstelveen berichtete, sein Vater und 73 Verwandte seien in verschiedenen Konzentrationslagern ermordet worden. Seine Mutter habe zwar überlebt, sei aber frustriert und böse geworden und habe bis an ihr Lebensende immer eine Pistole bei sich getragen, um sich verteidigen zu können.
Der 83-jährige Robert Cohen, erzählte, er habe im niederländischen Durchgangslager Westerbork Strohmatratzen stopfen müssen, während seine Eltern und sein Bruder nach Sobibor gebracht wurden. „Ich wollte auch deportiert werden. Wir waren sehr naiv damals. Ich dachte, ich würde meine Familie dann wiedersehen“, sagte Cohen, der später nach Auschwitz-Birkenau kam.
Max Degen aus Amsterdam berichtete, er habe sich als Dreijähriger bei einer nichtjüdischen Tante versteckt. Als er entdeckt wurde, sei er von Widerstandskämpfern „in einen Koffer gesteckt, über eine Mauer geschmissen“ und gerettet worden. Sein dreijähriger Bruder, seine Eltern und seine Großeltern wurden in Sobibor vergast.