Die Botschafter der EU-Staaten wollen über Sanktionen gegen das Regime diskutieren. Die Gewalt gegen Gegner geht unvermindert weiter.
Damaskus/Washington. Mit aller Härte geht Syriens Autokrat Baschar al-Assad gegen Menschen vor, die gegen das Regime in Damaskus protestieren . Die syrischen Sicherheitskräfte haben nach Angaben eines Menschenrechtsaktivisten in der südlichen Stadt Daraa erneut auf Demonstranten geschossen. „Die Schüsse auf die Einwohner gehen weiter“, sagte Abdallah Abasid, der sich in Daraa aufhielt, der Nachrichtenagentur AFP am Telefon. Auf einem Platz im Stadtzentrum stehe ein Panzer, auch vor den Toren Daraas seien Sperren und Panzer aufgestellt, fügte er hinzu. Eine Moschee in Daraa werde beschossen und auf einem anderen Gotteshaus sei ein Scharfschütze postiert.
Wie Abasid weiter sagte, wurde auch das Haus des Muftis von Daraa umzingelt, dieser sei jedoch nicht zuhause gewesen. Der Mufti war am Samstag aus Protest gegen die gewaltsame Niederschlagung der Protestbewegung zurückgetreten. Laut Abasid liefen auch einige Soldaten zu den Demonstranten über und schlossen sich ihnen an. Am Montag waren mehr als 3000 Sicherheitskräfte unterstützt von Panzern in die südliche Protesthochburg Daraa eingerückt und hatten laut Zeugen mindestens 25 Menschen getötet.
Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, die Armee sei „auf Bitten der Bewohner von Daraa“ in der Stadt einmarschiert. Am Montagmorgen waren nach Angaben von Oppositionellen Tausende von Soldaten und Angehörigen der Spezialeinheiten mit Panzern und Scharfschützen in die Stadt eingedrungen. Die Regimegegner sprachen von 20 getöteten Zivilisten. Sana meldete sowohl in den Reihen der Sicherheitskräfte als auch aufseiten der „extremistischen Terrorgruppen“ habe es zahlreiche Tote und Verletzte gegeben. Die USA haben mit Sanktionen gedroht und ihre Staatsbürger aufgefordert, Syrien zu verlassen.
Angesichts der anhaltenden Gewalt in Syrien erwägt die EU Sanktionen gegen das arabische Land. Die Botschafter der EU-Mitgliedsländer wollten sich bald treffen, um auch mögliche Sanktionen zu diskutieren, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission in Brüssel. Zuvor hatten die USA dem Regime in Damaskus mit gezielten Strafmaßnahmen gedroht. Bereits am Wochenende hatte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton Syrien dringend aufgefordert, auf Gewalt gegen Demonstranten zu verzichten. Die syrische Regierung müsse ihre Gewalt sofort stoppen und das Recht der Bürger zu friedlichen Demonstrationen achten. „Die Verantwortlichen dieser Verbrechen müssen ihre gerechte Strafe bekommen“, hatte Ashton gefordert.
Syrien ist das nächste arabische Land, in dem eine autoritär herrschende Führungsriege den Wunsch der Bevölkerung nach mehr Freiheit mit brutaler Gewalt quittiert. Menschenrechtler sprachen von weit über einhundert Toten alleine am Osterwochenende, in die Protesthochburg Daraa rückten Panzer ein. Während der Schutz der Zivilbevölkerung in Libyen als Begründung für einen Militäreinsatz herangezogen wurde, schöpfen die USA im Fall Syrien bislang noch nicht einmal die diplomatischen Druckmittel voll aus. Die Regierung in Washington gerät zunehmend in Erklärungsnot.
Bislang beschränkte sich Präsident Barack Obama darauf, die Gewalt in Syrien „auf das Schärfste“ zu verurteilen. Den Rücktritt von Machthaber Baschar al-Assad forderte er nicht. Auch der Abzug von US-Botschafter Robert Ford, der den sechs Jahre vakanten Posten in Damaskus erst seit Januar als Zeichen besserer Beziehungen wieder besetzt, schien vorerst keine Option zu sein.
Allerdings verlautete aus Obamas Regierung, dass wegen der Niederschlagung der Proteste „gezielte Sanktionen“ gegen die Führung in Damaskus erwogen würden. Zuvor hatte das „Wall Street Journal“ berichtet, dass das Weiße Haus ein Dekret vorbereite, um Vermögenswerte von syrischen Regierungsmitgliedern einzufrieren und ihnen eine wirtschaftliche Betätigung in den USA zu untersagen. Dies wäre der Zeitung zufolge aber eine weitgehend symbolische Maßnahme, da kaum jemand in Assads Führungszirkel über bedeutende Besitztümer in den USA verfügt.
„Washington ist unentschlossen, wie es sich verhalten soll“, sagt Bilal Saab, Nahost-Experte an der Universität Maryland. Einerseits werfen die USA Syrien wegen der Unterstützung für die libanesische Hisbollah und die palästinensische Hamas Staatsterrorismus vor. Misstrauisch beäugt Washington die engen syrischen Beziehungen mit dem Iran, auch Damaskus selbst steht im Verdacht, ein geheimes militärisches Atomprogramm betreiben.
Andererseits hätten die US-Verbündeten in der Region ein Interesse, dass der Status Quo in Damaskus erhalten bleibe, sagt Saab. Saudi-Arabien sehe Syrien weiter als Gegengewicht zum regionalen Vormachtstreben des Iran, die Türkei wolle einen stärkeren Einfluss der kurdischen Minderheit im syrischen Norden verhindern. Israel schließlich fürchte sich vor einem radikalislamischen Nachfolger, der für das Land weitaus gefährlicher werden könnte.
Mohamad Bazzi, Nahost-Experte am Council of Foreign Relations, glaubt, dass auch die US-Regierung insgeheim einen Verbleib Assads angesichts der zunehmend unüberschaubaren Umbrüche in der arabischen Welt für das kleinere Übel hält. „Die Alternative ist irgendeine Form eines radikalen sunnitischen Regimes“, sagt Bazzi. Die Anhänger einer säkularen Demokratie, die nun auf die Straße gingen, hätten dagegen keinen großen Rückhalt in der Bevölkerung.
Außerdem müsste sich die neue Führung nach einem Sturz Assads mit dem mächtigen Sicherheitsapparat des Landes arrangieren. Dass sich die Armee wie bei der Revolution in Ägypten auf die Seite der Protestbewegung schlägt, hält Bazzi für sehr unwahrscheinlich. Dagegen gebe es wie in Libyen, wo Machthaber Muammar Gaddafi seit Wochen der Opposition und ihren internationalen Unterstützern die Stirn bietet, das Potenzial für eine „äußerst blutige“ Auseinandersetzung. Spätestens dann müsse die US-Regierung ihre Erklärungen zu Libyen mit jenen zu Syrien in Einklang bringen. „Politisch wird das sehr schwierig“, sagt Bazzi.
Selbst den Falken in der US-Politik scheint angesichts der drohenden Verwicklung des Landes in weitere arabische Revolten langsam unwohl zu werden. Der republikanische Senator John McCain, in Libyen stramm an der Seite der Protestbewegung, wählte am Montag im TV-Sender NBC mit Blick auf Syrien vorsichtige Worte: „Ich sehe jetzt oder in naher Zukunft kein Szenario, wo ein Militäreinsatz der USA oder Nato in irgendeiner Form hilfreich sein würde.“ (dpa/AFP)