Die schwarz-gelbe Koalition will keine Steuererhöhung oder neue Schulden machen. Der Zeitplan für den Atomausstieg wackelt.
Berlin. Deutschland erwartet Milliardenkosten für den Atomausstieg, dennoch will die schwarz-gelbe Koalition weder die Steuern erhöhen noch zusätzliche Schulden machen. Dies stellte der künftige FDP-Chef Philipp Rösler am Wochenende klar. Doch werden steigende Strompreise erwartet. Der Unions-Mittelstand will deshalb Subventionen für die Industrie, die Linke verlangt Sozialtarife für die Ärmsten. Der Zeitplan für das neue Atomgesetz bis Mitte Juni ist fraglich: Bundestagspräsident Norbert Lammert will das Parlament nicht unter Druck setzen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Freitag mit den Ministerpräsidenten verabredet, das Gesetz zum rascheren Atomausstieg bis Ende des dreimonatigen Moratoriums zum 17. Juni in Bundestag und Bundesrat zu beschließen. Da das Kabinett erst am 6. Juni entscheiden soll, bleiben weniger als zwei Wochen zur Beratung.
CDU-Politiker Lammert sagte der "Welt", wie viel Zeit der Bundestag für die Beratung brauche, "entscheiden wir dann, wenn der Gesetzentwurf vorliegt". Kritik kam von Seiten der Opposition. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann warf Merkel sogar eine "Entmündigung des Parlaments" vor. Es sei nicht möglich, ein umfangreiches Gesetzespaket binnen weniger Tage seriös zu beraten.
Konkret wurde Merkel bisher nicht. Eine Frist für das Ende der Atomkraft hat sie bisher ebensowenig genannt wie einen Kostenrahmen. Auch am Wochenende wollte sich die Regierung dazu nicht äußern. Laut "Bild" Zeitung rechnet die Koalition intern mit vier Milliarden Euro pro Jahr. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hatte öffentlich von ein bis zwei Milliarden Euro gesprochen.
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sagte dem Blatt: "Der Ausstieg darf keinesfalls allein zulasten der Verbraucher gehen." Auch FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger und SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier verlangten, Energie müsse bezahlbar bleiben. Steinmeier warnte im "Hamburger Abendblatt" zudem vor einer Deindustrialisierung. "Der Erhalt von Arbeitsplätzen hängt von einer sicheren Energieversorgung ab."
Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Michael Fuchs brachte Subventionen für energieintensive Industrien wie Aluminium- oder Stahlwerke ins Gespräch. Diese würden wohl gebraucht, um ein Abwandern der Betriebe ins Ausland zu verhindern, sagte er der «Bild am Sonntag».
Wie die Wende finanziert wird, ist offen. Unions-Haushälter Norbert Barthle sagte dazu: "Ein neues Sparpaket ist nicht notwendig. Steuererhöhungen schließe ich aus." Er gehe davon aus, dass die bis 2016 angesetzte Kernbrennstoffsteuer die Einnahmen bringen werde. Sein Kollege Michael Meister (CDU) rechnet dagegen mit Einnahmeausfällen. Neue Steuern oder Schulden schlossen aber beide aus.
Auch der künftige FDP-Chef Rösler stellte in der"Passauer Neuen Presse" klar: "Mit uns wird es keine Steuererhöhung zur Finanzierung des Umstiegs auf erneuerbare Energien geben. Ich bin gegen einen Energie-Soli." Das Geld für die Energiewende müsse im Haushalt eingespart werden.
Laut "Spiegel" prüft das Finanzministerium jedoch, ob der Satz der Kernelementesteuer erhöht werden könnte, um Einnahmeausfälle zu kompensieren. Die Bundesregierung hatte die Steuer – zusammen mit der Laufzeitverlängerung um durchschnittlich zwölf Jahre – Ende 2010 beschlossen. Ein Sprecher des Finanzministeriums sagte auf Anfrage, an Spekulationen beteilige man sich nicht. Er verwies auf das für Juni geplante Gesamtkonzept.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warnte im "Tagesspiegel am Sonntag" vor überzogenen Schätzungen bei den Kosten des Atomausstiegs. Selbst nach den Zahlen des Wirtschaftsministeriums werde jeder deutsche Haushalt nur mit 1,50 Euro pro Monat zusätzlich belastet. "Ich finde, dass das gut angelegtes Geld ist", meinte Trittin.
Linken-Chefin Gesine Lötzsch forderte die Regierung auf, die Kosten offen zu legen und den Atomausstieg sozialverträglich zu organisieren.
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Der Atomausstieg steht bevor und die Energiekonzerne wehren sich nicht nur mit Händen und Füßen, sondern auch mit Argumenten für die Atomkraft. Doch jetzt muss sich RWE-Konzernchef Jürgen Grossmann vor seinen Aktionären rechtfertigen. Ist sein Kampf für die Atomkraft auch ökonomisch klug? Einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" zufolge, würde sich eine Abschaltung der Atomreaktoren in Biblis mittelfristig sogar positiv auf die Bilanz seines Energiekonzerns auswirken. Diese These wurde am Samstag von einem RWE-Sprecher eingeschränkt bestätigt. Dafür sei es allerdings Vorraussetzung, dass der Strompreis steigen würde, heißt es.
Hintergrund ist ein im Sommer 2010 vom Konzern erstelltes Szenario. Ein Abschalten der Atommeiler würde die Strommenge verknappen und den Strompreis steigen lassen. Profitieren würden die nur teilweise ausgelasteten Kohlekraftwerke von RWE. Die dort anfallenden Zusatzgewinne würden laut dem Szenario die Ausfälle in Biblis mittelfristig deutlich übersteigen. Nicht zuletzt, weil auch der Bund die Gewinne aus den Atommeilern mittels der neuen Brennelementesteuer abschöpfe.
RWE gesteht zwar die Möglichkeit eines solchen Effektes ein. Ob die Strompreise aber tatsächlich entsprechend steigen würden, wäre nicht kalkulierbar. Vielleicht hätte der Atomausstieg auch zur Folge, dass die fehlenden Strommengen durch Importe aus dem Ausland ausgeglichen würden. Die kurzfristigen Folgen des Moratoriums für den Energiekonzern seien in jedem Fall finanzielle Verluste in dreistelliger Millionenhöhe.
Großmann hingegen wagt die Flucht nach vorne und stellt öffentlich auch die abgesenkten Gewinnziele seines Konzerns infrage. Wegen der Katastrophe im Fukushima und des Atom-Moratoriums in Deutschland hätten sich die „Berechnungsgrundlagen und die Gewichtungen in der Branche verschoben“, sagt Großmann in einem Interview mit der Börsenzeitung. Nach dieser Prognose sank die RWE-Aktie am Freitag um 0,6 Punkte, während der Dax weiterhin zulegte. Großmann kündigt weiter an: „Die Mittelfristziele werden auf den Prüfstand gestellt.“
Aktuell sieht RWE nach eigenen Angaben aber keinen Anlass, die Prognose für 2011 zu ändern. Die Kontrolleure wollen RWE-Vorstandschef Jürgen Großmann auf einer Sitzung am Dienstag zu seinen Plänen befragen. Die aufgrund des Moratoriums zu erwartenden Ergebniseinbußen hatte Großmann mit einem dreistelligen Millionenbetrag beziffert. „Der Schaden resultiert daraus, dass der Strom aus Biblis bereits im Vorfeld verkauft worden ist zu niedrigeren Preisen, als wir ihn nun am Markt zurückkaufen können. Allein hierbei reden wir über einen dreistelligen Millionenbetrag. (abendblatt.de/dap/dapd)