Fraktionschef Steinmeier wirft der Regierung vor, den plötzlichen Reichtum zu verjuxen. Brüderle sagte, die Steuerentlastung wirke bereits.
Berlin. Regierung und Opposition werten den Aufschwung in Deutschland völlig unterschiedlich. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) machte die Steuersenkungen zum Jahresbeginn 2010 für das Wachstum von 3,6 Prozent im vergangenen Jahr verantwortlich. Die Steuerentlastung von 24 Milliarden Euro „hat gewirkt“, sagte er in einer Regierungserklärung im Bundestag. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier sagte dagegen, Brüderle komme ihm bei den Steuern vor „wie ein Lottokönig, der sich freut über den neuen Reichtum und ihn verjuxt, als gäbe es kein Morgen in diesem Land“. Der Aufschwung sei Brüderle „in den Schoß gefallen“. Er beruhe auch auf Entscheidungen der Großen Koalition, die von der FDP bekämpft worden seien.
Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysi, sagte, der Aufschwung sei ein Aufschwung für die Deutsche Bank. Er komme nicht an bei den Arbeitnehmern, den Rentnern oder den Hartz-IV-Empfängern. Es sei „lächerlich“, dass diese nur fünf Euro mehr bekommen sollten.
Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen, Kerstin Andreae, mahnte, die Wirtschafts- und Finanzkrise sei noch nicht vorbei. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Michael Fuchs, sagte, die Opposition zerrede die Erfolge. Als Steinmeier noch im Kanzleramt gesessen habe, habe Deutschland fünf Millionen Arbeitslose gehabt, jetzt seien es drei Millionen. Die Krise sei überwunden.
Brüderle sagte, die 24 Milliarden Euro Steuerentlastung seien „konjunkturrelevant“, denn sie entsprächen einem Prozent des Bruttosozialproduktes. Jene, die der Meinung seien, dass Steuerentlastungen nichts brächten, „sind jetzt widerlegt“. Der Aufschwung komme an bei Facharbeitern, Berufsanfängern, Rentnern und Familien. Deutschland müsse beim Euro ein Wächteramt übernehmen, fügte Brüderle hinzu. Euro-Bonds lehne er ab, erfolgreiche Länder müssten dann einstehen für laxe Haushaltspolitik anderer. „Die deutsche Staatsraison ist stabiles Geld“, sagte er.
Steinmeier sagte, für die guten Zahlen habe die Regierung nichts getan. Kaum sei wieder Geld in den Kassen, überlege Brüderle, wie es möglichst schnell wieder rausgehen könne, aber für Notwendiges sei kein Geld da. Brüderle warf er vor, er „wolle das Gemeinwesen aushungern“. Statt den Aufschwung zu feiern, wäre es die Aufgabe des Ministers, den nächsten zu organisieren.
Gysi verlangte flächendeckende Mindestlöhne. In der Krise sei die Zahl der Vermögensmillionäre in Deutschland um 51.000 auf 861.000 gestiegen. Ein Prozent der Bevölkerung besitze ein Viertel des Geldvermögens. Im Zehnjahresvergleich seien die deutschen Reallöhne um 4,5 Prozent gesunken. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Vollarbeitsplätze sei in 10 Jahren um 1,4 Millionen gesunken, die Zahl der Teilzeit-Beschäftigten um 1,6 Millionen gestiegen. Auch gebe es immer mehr Minijobs und Leiharbeiter.
Der CDU-Abgeordnete Joachim Pfeiffer lehnte Euro-Bonds als „süßes Gift“ ab. Der FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms sagte, einige Länder in Europa kämen nicht um Umschuldungen herum. Das habe „vorzüglich funktioniert“ bei Russland, Polen und Argentinien über den Pariser Club. Es sei „Aktionismus“, wenn die kreditwürdigsten Länder Europas wie Deutschland, Frankreich und Österreich für die anderen aufkommen sollten. Jeder Einzelstaat müsse für sich saniert werden.