Das Programm heißt 1378km. Wer schießt, verliert: Opferverbände sprechen von „gnadenloser Verhöhnung“ der Maueropfer.
Karlsruhe. Ein Computerspiel, bei dem DDR-Grenzsoldaten auf Republikflüchtlinge schießen, hat erneut heftige Kritik ausgelöst. Opferverbände kritisieren das Spiel als „menschenunwürdig“ und „gnadenlose Verhöhnung des Leides der Opfer“. Die Karlsruher Hochschule für Gestaltung, bei der das Spiel entstanden ist, betont dagegen weiter, es habe einen hohen moralischen und künstlerischen Anspruch. Am Freitag soll das von dem Medienkunststudenten Jens Stober entwickelte Spiel der Öffentlichkeit präsentiert werden, begleitet von einer Podiumsdiskussion.
Danach soll das Game ab 23 Uhr auch aus dem Internet heruntergeladen werden können. Ende September hatte die Hochschule angesichts scharfer öffentlicher Vorwürfe die Notbremse gezogen und die ursprünglich für den 3. Oktober geplante Veröffentlichung des Spiels „1378 (km)“ abgesagt und eine Überarbeitung angekündigt.
Der Direktor der Stiftung Berliner Mauer, Axel Klausmeier, sagte dem EPD, die Darstellung schießender Grenzsoldaten sei „unangebracht“ und „menschenunwürdig“. Auch die „Vereinigung 17. Juni“ in Berlin protestierte scharf gegen das Vorhaben der Hochschule: Eine Alibi-Diskussion ohne Beteiligte oder Betroffene der Mauermorde zu veranstalten und damit eine Veröffentlichung zu legitimieren, sei eine „gnadenlose Verhöhnung des Leids“.
Bislang hätten nur Institutsmitarbeiter und Journalisten das nicht-kommerzielle Spiel, das ab 18 Jahren freigegeben ist, gesehen, sagte der Pressesprecher der Hochschule, Klaus Heid. Bereits vorab über ein Spiel zu diskutieren, ohne es zu kennen, mache keinen Sinn. Zudem hätten sich keine Opferverbände direkt bei der Hochschule gemeldet, sondern ausschließlich über die Medien. Wenn nach der öffentlichen Präsentation Diskussionsbedarf bestehe, „werden wir uns dem nicht verweigern“. Das Spiel vermittle leicht nachvollziehbar den „Irrsinn der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze“, so Heid. „Wenn sich Opfer der Todesgrenze oder deren Angehörige verletzt fühlen, bedauern wir das“, lassen Medienkünstler und Hochschule mitteilen. Spielentwickler Stober vertritt die Auffassung, dass sich ein wesentlicher Teil der Kritik auf das Medium „Computerspiel“ bezieht.
Sein Kunstprojekt solle dazu dienen, einer jungen Generation mit Hilfe ihres Leitmediums interaktiven Zugang zur jüngsten deutschen Geschichte zu ermöglichen, betont der 24-Jährige, der fast ein Jahr lang über die insgesamt 1378 Kilometer langen Grenzanlagen recherchierte, die die DDR von Westdeutschland trennten. Selbst erlebt hat er die Grenzanlagen nicht mehr und habe auch keine familiären Kontakte nach Ostdeutschland.
Anders als bei einem Dokumentarfilm könnten Computerspieler selbst ihr Verhalten und ihre Reaktionen auf die in Echtzeit stattfindende und sich verändernde Situationen kontrollieren. Das umstrittene Computerspiel basiert auf dem sogenannten Ego-Shooter-Spiel „Half Life 2“, was die Altersfreigabe ab 18 Jahren erklärt. Seine Entwicklung sei kein „Ballerspiel“, betont der Erfinder. Denn gewinnen könne nur, wer nicht schießt.
„1378 (km)“ zählt zu den sogenannten „Serious Games“ (Ernsthaften Spielen), die eine Lehre, Moral oder ethische Dimension für sich beanspruchen. Der Spieler begibt sich als Grenzsoldat oder DDR-Flüchtling auf eine interaktive Zeitreise zur innerdeutschen Grenze im Jahr 1976 mit Todesstreifen, Schießbefehl und Selbstschussanlagen.
Mehrere Spieler können wie bei anderen Ego-Shootern auch mit und gegeneinander spielen. In detaillierten Szenarien wird die dramatische Situation erlebbar. Vermeintlich „erfolgreiche“ Grenzsoldaten werden in das Jahr 2000 teleportiert und müssen sich vor Gericht in einem Mauerschützenprozess verantworten.
Auf die Idee eines Spiels kam der Student, nachdem er sich zuvor intensiv mit der Situation illegaler Einwanderer an den EU-Grenzen beschäftigt hatte und gemeinsam mit der Künstlergruppe „gold extra“ das Computerspiel „Frontiers – You've reached Fortress Europe“ („Grenzen – Du hast die Festung Europa erreicht“) entwickelte. Damals gab es nach seiner Darstellung keinerlei Proteste gegen das Spiel, bei dem afrikanische Flüchtlinge versuchen, die europäischen Grenzen zu überwinden.