SPD-Experte Karl Lauterbach sieht Spielraum für Entlastung. Gesundheitsminister Philipp Rösler spricht von „Phantomdebatte“.
Berlin. Die gute Konjunktur hilft auch dem umstrittenen Gesundheitsfonds und den klammen gesetzlichen Krankenkassen. Doch trotz steigender Beitragseinnahmen können die Bürger und Unternehmen nicht mit einer Entlastung rechnen. Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) lehnt eine Senkung des gerade erst kräftig erhöhten Krankenkassenbeitrags ab. „Es handelt sich um eine Phantomdiskussion“, sagte sein Sprecher Christian Lipicki. „Es bestehen in der gesetzlichen Krankenversicherung keine finanziellen Spielräume für Beitragssenkungen.“
Zuvor hatte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach die Erhöhung der Beiträge von 14,9 auf 15,5 Prozent zu Jahresbeginn als unnötig bezeichnet und eine Senkung gefordert. Rösler habe „die Bürger bewusst getäuscht“, als er die Beitragserhöhung mit einem für das Jahr 2011 erwarteten Defizit von elf Milliarden Euro begründet habe , sagte Lauterbach dem „Handelsblatt“. Die SPD habe von Anfang an vermutet, dass Rösler nur die Einführung weiterer Zusatzbeiträge bei Krankenkassen habe verzögern wollen. „Das ist nun eindrucksvoll bestätigt“, sagte Lauterbach.
Der Schätzerkreis der gesetzlichen Krankenversicherung hatte am Montag erklärt, dank der guten Konjunktur falle der Jahresabschluss 2010 besser als erwartet aus und auch im laufenden Jahr könne der Gesundheitsfonds mit rund einer halben Milliarde Euro mehr Einnahmen rechnen als noch im Herbst vorhergesagt. Insgesamt könnten dieses Jahr 181,6 Milliarden Euro Einnahmen in den Fonds fließen, während die Krankenkassen nur 178,9 Milliarden Euro überwiesen bekommen sollen. Der Überschuss von 2,7 Milliarden Euro bleibt als Rücklage im Fonds. Bis Ende 2011 wird das Finanzpolster voraussichtlich auf 6,2 Milliarden Euro wachsen. Gleichzeitig bedeutet die Beitragserhöhung vom 1. Januar ebenfalls Mehrkosten von sechs Milliarden Euro für Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitgeber.
Das Gesundheitsministerium rechnete vor, dass von den Rücklagen rund fünf Milliarden Euro bereits gebunden seien. Drei Milliarden Euro seien als Schwankungsreserve gesetzlich vorgeschrieben; zwei Milliarden Euro stammten aus einem gesonderten Bundeszuschuss, der für den neuen Sozialausgleich für wachsende Zusatzbeiträge gedacht ist. „Forderungen nach Absenkungen der Beitragssätze sind vor diesem Hintergrund unangebracht“, erklärte das Ministerium. Es erinnerte zudem daran, dass die Krankenkassen trotz der unerwarteten Zusatzeinnahmen keine höheren Zuweisungen bekämen.
Der Spitzenverband der Krankenversicherung ergänzte, dass die Krankenkassen auch kein zusätzliches Geld für Leistungen ausgeben könnten. „Die zusätzlichen Einnahmen durch die bessere wirtschaftliche Entwicklung fließen zu 100 Prozent in die Reserve des Gesundheitsfonds“, erklärte GKV-Verbandssprecher Florian Lanz. „Den einzelnen Krankenkassen steht dadurch kein Cent zusätzlich zur Verfügung.“ Ähnlich äußerte sich das Bundesversicherungsamt. Die guten Finanzdaten für 2010 und 2011 dürften keinesfalls falsch interpretiert werden, erklärte BVA-Präsident Maximilian Gaßner.
Die gute Finanzentwicklung wegen sinkender Arbeitslosigkeit hatte sich bereits im Herbst angedeutet. Statt des ursprünglich angenommenen Defizits von elf Milliarden Euro in der Krankenversicherung, das durch Sparmaßnahmen und die Beitragserhöhung ausgeglichen werden sollte, wurden bereits damals nur noch neun Milliarden Euro Fehlbetrag angenommen. Bei der Beitragserhöhung blieb es dennoch. Die Krankenkassen erhielten zudem für 2011 aus dem Gesundheitsfonds rechnerisch ausreichend Geld, um sämtliche Ausgaben zu decken. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Kassen schon dieses Jahr Zusatzbeiträge erheben müssen.
Die Kassen, die den zusätzlichen Obolus bereits von ihren Mitgliedern eintreiben müssen, leiden darunter heftig. Nach einer Umfrage der „Leipziger Volkszeitung“ verlor die Krankenkasse DAK nach Einführung ihres Zusatzbeitrags rund 460.000 Versicherte, bei der KKH-Allianz betrug der Schwund 190.000. Krankenkassen ohne Zusatzbeitrag gewannen dagegen, unter anderem die Barmer GEK und die Techniker.