Kammer-Vize Montgomery: Pharmaindustrie soll kein Natrium-Thiopental für Todesspritzen liefern. Exekutionen in den USA werden verschoben.

Passau/Berlin. Die Bundesärztekammer hat sich für einen Lieferboykott von Hinrichtungsgift an die USA ausgesprochen. „Die deutsche Pharmaindustrie kann zeigen, dass sie ethisch handelt, wenn sie sich hier beteiligt“, sagte der Vizepräsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, der „Passauer Neuen Presse“. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hatte an die Pharmafirmen appelliert, den USA das für Hinrichtungen eingesetzte Betäubungsmittel Natrium-Thiopental nicht zu liefern. „Röslers Initiative ist eine tolle Idee“, lobte Montgomery. Es gebe Beschlüsse der American Medical Association ebenso wie deutscher Ärzte, nicht an Todesstrafen mitzuwirken.

Die USA haben seit mehreren Monaten Schwierigkeiten, das für Hinrichtungen genutzte Mittel zu produzieren. Da Natrium-Thiopental in den USA bisher das einzige für Hinrichtungen zugelassene Mittel ist, musste bereits in mehreren Fällen die Vollstreckung der Todesstrafe aufgeschoben werden. Dadurch können viele Todeskandidaten mit einer unverhofften Galgenfrist rechnen. Eigentlich wollte der Hersteller Hospira das Narkosemittel Natrium-Thiopental in Italien weiterproduzieren, nachdem die US- Produktion im August 2009 wegen eines Engpasses bei einem chemischen Bestandteil gestoppt wurde. Doch das EU-Land habe die Ausfuhr des Medikaments in die USA verboten, weil es dort zu Hinrichtungen verwendet werde. Hospira habe deswegen entschieden, den Stoff ganz vom Markt zu nehmen. In den USA hat der Hersteller nach eigenen Angaben keine Produktionsstätte mehr für den Wirkstoff.

„Das wird ganz eindeutig ein Problem für viele Staaten sein“, sagte Richard Dieter vom Todesstrafen-Informationszentrum in Washington. Die Suche nach Ersatzstoffen und deren Zulassung für Exekutionen könnten Monate oder gar länger dauern.

Natrium-Thiopental ist einer von drei Bestandteilen des Giftcocktails, der für Hinrichtungen in den USA verwendet wird. Dabei wird zunächst das Natrium-Thiopental verabreicht, um den Todeskandidaten bewusstlos zu machen. Zwei danach verwendete Mittel führen zur Lähmung und schließlich zum Herzstillstand. Bereits im vergangenen Jahr hatten die Nachschubprobleme dazu geführt, dass etwa in Kentucky oder Kalifornien Exekutionen verschoben wurden. Vielerorts sind zwar noch Rationen vorhanden, allerdings läuft deren Haltbarkeitsdatum bald ab, wenn es nicht schon überschritten ist.

Arizona ließ sich das Natrium-Thiopental für eine Hinrichtung im Oktober wegen des Mangels sogar von einem britischen Hersteller liefern, der in den USA nicht zugelassen ist. Das Oberste Gericht hatte die Anwendung zwar dennoch erlaubt, aber auch die britische Firma will das Mittel wegen der EU-Vorschriften nicht mehr in die USA liefern. Oklahoma ersetzte den fehlenden Stoff dagegen bereits mehrfach mit einem Medikament zum Einschläfern von Tieren. Das löste vor allem bei Gegnern der Todesstrafe massive Kritik aus. Sie argumentieren, die Substanz sei für den Zweck unerprobt und ihre Anwendung eine grausame Strafe, vor der Häftlinge laut Verfassung geschützt seien. Die Todesstrafe wird in 35 US-Bundesstaaten verhängt. Fast alle davon richten ihre Häftlinge mit der Giftspritze hin.