Schlichter Heiner Geißler räumt ein, dass er Befürworter und Gegner nicht versöhnen kann. Ministerpräsident Mappus gibt sich gesprächsbereit
Hamburg/Stuttgart. Nach wochenlangem Gezerre wird Heiner Geißler am Dienstag seinen Schlichterspruch zum umstrittenen Milliardenprojekt Stuttgart 21 fällen - doch der wird weder Befürwortern noch Gegnern schmecken. Denn es zeichnet sich ab, dass es keinen Kompromiss und keine Einigung geben kann bei dem kombinierten Bahnhofsprojekt und der ICE-Neubaustrecke Ulm-Wendlingen. "Wir sehen hier: Es ist sehr schwer, beide Positionen auf einen Nenner zu bringen. Ja, es ist nicht möglich", gab Geißler nach einem weiteren Schlichtungsmarathon zu.
Auch ein Referendum über Stuttgart 21 hat der 80-jährige Vermittler ausgeschlossen. Ein Volksentscheid sei prinzipiell etwas Richtiges, sagte der CDU-Politiker der "Süddeutschen Zeitung". Doch bei Stuttgart 21 fehle eine rechtliche Basis. Überdies habe der Landtag eine Volksabstimmung abgelehnt.
SPD und Grüne in Baden-Württemberg verweisen dagegen auf eigene Rechtsgutachten, nach denen die Bürger des Landes doch über Stuttgart 21 abstimmen könnten. Unabhängig davon sollen sich die schwarz-gelbe Bundesregierung und das Parlament rasch mit Stuttgart 21 befassen. Das forderte der Vorsitzende des Bundestagsverkehrsausschusses, Winfried Hermann (Grüne), im Hamburger Abendblatt: "Der Verkehrsausschuss des Bundestages muss sich gleich am Mittwoch mit dem Schlichterspruch und den Konsequenzen befassen. Darüber hinaus gibt es weitere Anträge, die eine Debatte im Bundestag und einen Bericht der Bundesregierung erforderlich machen."
Schon vor Heiner Geißlers Schlichterspruch kritisiert Hermann, dass weder Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) noch ein Spitzenbeamter seines Hauses je in der Stuttgarter Schlichtung präsent gewesen seien. "Dabei ist der Bund von den Kosten her am meisten betroffen." Die Grünen im Bundestag bereiten außerdem eine Organklage gegen die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht vor. Hermann sagte: "Darin soll geklärt werden, welche Informationsrechte das Parlament bei bundeseigenen Unternehmen wie der Deutschen Bahn überhaupt hat. Insbesondere geht es darum, wenn der Bund Hauptzahler für Projekte ist und der Bundestag keinen Einblick in die Wirtschaftlichkeitsberechnungen hat."
Hermann befürchtet "einen Schlichterspruch mit einem Kompromiss zulasten Dritter, die gar nicht am Verhandlungstisch sitzen". So könne Geißler etwa auf die bereits eingestandenen Fahrplanprobleme des Milliardenprojekts eingehen und ein neuntes und zehntes unterirdisches Gleis fordern, um sie zu beheben. Das aber würde das gesamte Projekt um mindestens eine Milliarde Euro verteuern. So werde die Wirtschaftlichkeit immer weiter infrage gestellt. Im Vergleich zu anderen Infrastrukturprojekten sei Stuttgart 21 deshalb nachrangig.
Die Leistungsfähigkeit des geplanten Tunnelbahnhofs und die möglichen Ausstiegskosten aus dem Projekt waren auch am Sonnabend zwischen der Bahn und den Projektgegnern umstritten. Schlichter Geißler sagte an einer Stelle der Verhandlungen: "Wir lassen die unterschiedlichen Zahlen jetzt mal so im Raum stehen." Dem "Focus" sagte er, beide Seiten müssten sehen, dass es nicht möglich sei, S21 mit einem Tiefbahnhof und K21 mit einer Modernisierung des bestehenden Kopfbahnhofs "auf einen Nenner zu bringen".
Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) sagte: "Ich bin bereit, über alle Änderungsvorschläge unterhalb des Baustopps zu reden." Werde es dann teurer, erwarte er von den Grünen, "dass sie mitziehen". Wirtschaftsprüfer hatten errechnet, dass ein Ausstieg aus Stuttgart 21 die Deutsche Bahn zwischen 1,1 und 1,5 Milliarden Euro kosten könne. Ein Gutachter der Projektgegner sagte, darin seien rund 750 Millionen Euro für bereits verkaufte Grundstücke enthalten, die von der Bahn an die Stadt Stuttgart zurückgezahlt werden müssten. Aus Sicht der Allgemeinheit sei das ein Nullsummenspiel. Geißler empfahl für zukünftige Projekte einen Blick über die Landesgrenze: In der Schweiz werde mit den Bürgern besprochen, was mit einem Infrastrukturprojekt erreicht werden solle. Danach prüfe man, wie die Ziele erreicht werden und wie Alternativen aussehen können. Geißler sagte, so könne man Proteste und zum Teil Gewalt bei Demonstrationen wie in Stuttgart vermeiden.