Zwei Männer wurden erschossen. Ein Wahlsieger ist noch nicht in Sicht. Der neue Präsident kann Milliarden an Hilfsgeldern verteilen.
Port-au-Prince. Nach der chaotischen Präsidentschaftswahl in Haiti befürchten die internationalen Geberländer neue Gewalt in dem krisengeschüttelten Karibikstaat. Die Vereinten Nationen berichteten über zahlreiche Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung am Sonntag, bei der auch ein neues Parlament gewählt wurde. Die aussichtsreichsten Präsidentschaftsanwärter warfen Staatschef René Préval und der Wahlbehörde Betrug vor und forderten eine Annullierung der Abstimmung.
Es gab Berichte über Gewalt und Einschüchterungsversuche sowie gestohlene Wahlurnen. Dem haitianischen Radio zufolge wurde ein Mann in der Nähe eines Wahllokals in der Provinz Artibonite erschossen. Die Wahlbehörde berichtete über einen weiteren Toten im Süden des Inselstaates. Ein neues, legitimes Staatsoberhaupt ist damit nicht in Sicht. Doch die Hilfszusagen der Geberländer sind überwiegend an die Bedingung geknüpft, dass eine unbestechliche, stabile Regierung als verlässlicher Partner das Geld verwaltet.
Zwölf der insgesamt 19 Präsidentschaftskandidaten riefen ihre Anhänger bereits in einer gemeinsamen Stellungnahme zu Protesten gegen die Regierung und die Wahlbehörde auf. Bei gewaltsam ausgetragenen Rivalitäten zwischen Anhängern einzelner Kandidaten waren vor der Wahl mehrere Menschen ums Leben gekommen. Wahlberechtigte und mehrere Kandidaten erklärten, Staatschef Préval, der nicht erneut antreten durfte, wolle die Abstimmung zugunsten des Kandidaten Jude Celestin beeinflussen. Die Politikerin Anne Marie Josette Bijou sagte, sie habe Fotos und Unterlagen, um Betrug nachzuweisen.
Viele der mehr als 4,7 Millionen registrierten Wählern hatten bis Sonntag entweder keinen Wahlschein erhalten, wussten nicht, wo sie ihre Stimme abgeben sollten, oder suchten ihre Namen vergeblich auf den Wahllisten. Viele Wahllokale öffneten zu spät. In der Stadt Grande Riu Du Nord brandschatzten Jugendliche ein Wahllokal. Die Wahlbehörde erklärte allerdings, in nur 56 der fast 15.000 Wahllokale seien Unregelmäßigkeiten festgestellt worden. Wie sie zu der Zahl kam, sagte sie nicht.
Auch Wycleaf Jean, der frühere „Fugees“-Frontmann und ehemalige Bewerber um das haitianische Präsidentenamt, war am Wahltag vor Ort. Unterstützer Jeans erklärten über Twitter, der haitianisch-amerikanische Sänger werde öffentlich keinen der 19 Präsidentschaftskandidaten unterstützen. Jean war im August vom Rennen um das Präsidentenamt disqualifiziert worden.
Er zog mit einer Menge zum Büro der Wahlbehörde. Vor dem Protestzug hatten Uno-Friedenstruppen und Polizisten Barrikaden errichtet. Für jegliche Gewalt sei allein Préval verantwortlich, sagte der Anwalt Jean-Henry Ceant, der sich ebenfalls um die Präsidentschaft bewarb. Der amtierende Staatschef unterstützt Celestin, den Leiter einer staatlichen Baufirma, der als Kandidat von Prévals neu gegründeter Einheits-Partei bis zum Schluss einen gut finanzierten Wahlkampf führte. In der Stadt Les Cayes beendete am Freitag ein Kugelhagel eine Kundgebung des Musikers und Präsidentschaftskandidaten Michel „Sweet Mickey“ Martelly. Berichten zufolge kam dabei ein Anhänger Martellys ums Leben. Das Wahlkampfteam des Musikers machte Celestin, Préval und deren Einheits-Partei für den Vorfall verantwortlich.
Der Sieger der Präsidentschaftswahl wird Milliarden Dollar an Hilfsgeldern zu verwalten haben, die Geberländer nach dem verheerenden Erdbeben vom vergangenen Januar zugesagt hatten. Der künftige Präsident sieht sich jedoch auch mit Millionen obdachlosen Erdbebenopfern und einer grassierenden Cholera-Epidemie konfrontiert. Nach dem jüngsten Ausbruch der Krankheit in Haiti sind bislang mehr als 1.600 Menschen ums Leben gekommen. Erste Ergebnisse der Präsidentschaftswahl werden nicht vor dem 7. Dezember erwartet. Es wird mit einer Stichwahl im Januar gerechnet.