Hamburg. Wenn heute John Demjanjuk der Prozess in München gemacht wird, wird Alisa Levy-Marmor das von ihrem Fernsehsessel aus verfolgen. Sie möchte wissen, was mit dem Mann geschieht, der ihren Onkel Jacob Seligmann umgebracht hat. "Das ist wichtig, dass er bestraft wird. Das ist ein schrecklicher Kerl", sagt sie. Alisa Levy-Marmor aus Tel Aviv weiß, dass ihr Onkel sehr gelitten haben muss. "Mit Jacob hat man noch medizinische Versuche gemacht, bevor sie ihn umbrachten", sagt sie. Das haben Verwandte aus Hamburg berichtet, die mit ihm zusammen im Vernichtungslager Sobibor waren. Ihr Onkel Jacob Seligmann, Haus- und Hypothekenmakler aus Wandsbek, wurde im Vernichtungslager Sobibor getötet und nur 59 Jahre alt. Getötet in Sobibor so wie mindestens 27 900 andere Menschen.
Für ihn und weitere 29 Sobibor-Opfer gibt es Stolpersteine in Hamburg. In der Bärenallee 30 in Wandsbek erinnert ein messingfarbener Stein an ihn. Dort, früher Hausnummer 16, stand einst eine repräsentative Villa aus der Gründerzeit. Das Zuhause der Familie Seligmann. Jacob, seine Eltern Helene und Moritz Seligmann sowie die Zwillinge Regina und Henny und Olga und Erna lebten dort.
Nichte Alisa Levy-Marmor erinnert sich: "Ich war ab und an bei Onkel Jacob in Wandsbek. Das war eine kleine Villa, ein schönes Häuschen mit gelben Kletterrosen." Alisa Levy-Marmor ist heute 91 Jahre alt und lebt seit ihrem 16. Lebensjahr in Israel. Sie konnte Deutschland damals rechtzeitig verlassen. "Das war ein Glück. Dadurch habe ich nicht so schreckliche Erlebnisse gehabt." Aber an die brennenden Synagogen kann auch sie sich noch erinnern. Bis zu ihrer Flucht mit ihren Eltern, ihrem Bruder und ihrer Schwester nach Palästina lebte sie in der Klosterallee Ecke Hansastraße in Harvestehude.
Ihr Onkel Jacob ging 1937 in die Niederlande. Alisa Levy-Marmor erinnert sich in der Familienbiografie von Astrid Louven an eine folgenschwere Entscheidung: Jacob Seligmann kam die Familie in Palästina besuchen: "Er erzählte, er wäre nach Amsterdam umgezogen und hätte da ein Extra-Zimmer für meine Großmutter Helene eingerichtet - und er wollte seine Mutter Helene unbedingt nach Holland mitnehmen. Wir waren alle sehr dagegen, aber wir konnten nichts machen. 1936 fuhr sie mit ihrem Sohn nach Holland." Jacob Seligmann wurde im März 1943 verschleppt. Als Todestag ist der 21. Mai 1943 eingetragen. Helene Seligmann überlebte ihren Sohn um etwa einen Monat. Sie starb eines natürlichen Todes.
Jacob Seligmann ist einer von 179 Juden, die ihren Wohnsitz in Hamburg hatten und nach ihrer Flucht - überwiegend aus den Niederlanden - nach Sobibor deportiert wurden. Darunter waren 116 Hamburger, die in dem für die Anklage relevanten Zeitraum Ende März 1943 bis Mitte September 1943 ermordet wurden.
Auch Paula Stern, ihr Mann Fritz Stern und ihr Sohn Leopold Stern gehörten dazu. Paulas Vater war Mitglied der damals populären Hamburger Gesangshumoristen "Gebrüder Wolf". Der Familie gehörten Theater in Hamburg und Kiel, darunter auch das Operettenhaus am Spielbudenplatz. Sie lebten vor ihrer Flucht in die Niederlande in der Rappstraße 21 im Grindelviertel. Für alle drei wird als Todesdatum der 30. April 1943 genannt. Ihre Hinterbliebenen leben heute in San Raphael bei San Francisco in Kalifornien. Frank Wolf ist ein Neffe von Paula Stern, 61 Jahre alt. Sein Sohn Dan ist Musiker und verfolgt in dem Film "Return of the Tüdelband" die Spuren seiner Familie in Hamburg. Auch die Wolfs werden den Demjanjuk-Prozess verfolgen.