Die SPD leitet einen Generationswechsel ein. Dabei rücken drei Frauen in das Zentrum der Macht - und damit eine neue Sicht der Dinge.
Hamburg. Die verheerende Wahlniederlage liegt nicht einmal eine Woche zurück, und der Parteitag ist erst Mitte November. Aber die Führungsriege der Sozialdemokraten wollte nach dem Debakel am Sonntag so schnell wie möglich ein Signal der Stärke setzen. Im Eiltempo einigten sich die Spitzen auf eine neue Parteiführung. Sie soll am Montag in der Vorstandssitzung offiziell vorgeschlagen werden – und sie enthält bis auf einen die bereits gehandelten Namen. Der bisherige Umweltminister Sigmar Gabriel soll neuer SPD-Chef werden und Franz Müntefering beerben, der nicht mehr antreten wird. Neue Generalsekretärin soll die bisherige stellvertretende Parteivorsitzende und Parteilinke Andrea Nahles werden.
Neben Gabriel sollen vier statt bisher drei Stellvertreter die Partei mitführen: Vorgesehen sind Berlins Regierungschef Klaus Wowereit, Nordrhein-Westfalens SPD-Landeschefin Hannelore Kraft, der bisherige Arbeitsminister Olaf Scholz und die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig. Ihre Nominierung gilt als Überraschung. Seit knapp einem Jahr ist die 35-Jährige im Ministeramt. Und bekannt wurde sie erst in diesem Sommer, als Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sie in sein Wahlkampfteam holte. Manche in der SPD vermuten, Schwesig solle von der Parteispitze aus zum sozialdemokratischen Gegenmodell Angela Merkels aufgebaut werden. Jung, ostdeutsch, Frau – mit diesen Attributen hatte auch die CDU nach der Wende die jetzige Kanzlerin aufgebaut. Die Partei traut Schwesig sehr viel zu, auch eine Karriere wie Merkel.
Und Schwesig traut sich auch selbst, mit markigen Worten Aufmerksamkeit zu erregen. Nach dem TV-Duell zwischen der Kanzlerin und Steinmeier hatte Schwesig offenherzig ihren Frust über Merkel kundgetan: „Sie hat ziemlich viel Schrott geredet.“ Auch in der neuen mächtigen Position wird sich Schwesig wohl kaum den Mund verbieten lassen.
Nicht berücksichtigt als Stellvertreter Gabriels wurden Europapolitiker Martin Schulz und Frank-Walter Steinmeier. Schulz soll Beauftragter des SPD-Vorstands für EU-Angelegenheiten werden, Steinmeier gehört als Fraktionschef ohnehin zum Führungszirkel. Die Wahl der neuen Spitze soll beim Bundesparteitag vom 13. bis 15. November in Dresden erfolgen.
Die Machtfrage in der SPD ist damit entschieden. So scheint es auf den ersten Blick. Aber das Personaltableau für die neu aufgestellte SPD birgt Konflikte, weil weder der linke noch der rechte Flügel der Partei gestärkt wird. Die neue Spitze sagt wenig über den zukünftigen Kurs der Partei aus. Gabriel wird als politischer Ziehsohn Gerhard Schröders dem rechten Parteiflügel zugeordnet. Aber mit seinem energischen Wahlkampf als One-Man-Show gegen die Atomkraft hat er sich auch bei den linken Genossen großen Respekt erworben. Man brauche jetzt dringend einen Instinktpolitiker und einen Angreifer wie ihn, heißt es in der Partei. Ob der frühere Ministerpräsident Niedersachsens aber auch die neue zentrale Machtfigur der Partei werden kann, bezweifeln selbst seine Fürsprecher.
Dafür wird allein die ehemalige Juso-Chefin und Parteilinke Nahles sorgen. Sie und Gabriel werden wohl mehr als Zweckduo denn als Wunschduett auftreten. Für Nahles ist es bereits der zweite Anlauf in das Amt der Generalsekretärin. Als sie 2005 im Vorstand für den Posten bestimmt wurde, trat Parteichef Müntefering erbost zurück. Er hatte zuvor Kajo Wasserhövel vorgeschlagen. Der durch die Wahl gestärkte linke Flügel wird Nahles nach Kräften unterstützen. Aber auch von ihr wird wie von Gabriel großes integratives Talent in den kommenden Jahren erwartet.
Gabriel und Nahles, so sind sich die Genossen einig, müssen von ausgleichenden Persönlichkeiten flankiert werden. Immer wieder wird Olaf Scholz diese Rolle zugeschrieben. Er könnte sich zur grauen Eminenz der Partei entwickeln. Zumindest wird kaum eine Entscheidung an ihm vorbeigehen können. Vom „Scholzomat“, wie ihn seine Parteifreunde einst wegen seiner steifen Art nannten, sei noch viel zu erwarten, heißt es in der Partei. „Intellektuell, unendlich offen und kommunikativ“ sei Scholz geworden, sagt ein führender Sozialdemokrat. Äußerungen wie diese sollen zeigen: Die SPD will mit mehreren Führungspersönlichkeiten Oppositionsarbeit leisten.
Und Steinmeier? Er wird sich das Vertrauen der Fraktion erst erarbeiten müssen. Sollte Gabriel als Parteichef glänzen, wird Steinmeier kaum volle vier Jahre Fraktionschef bleiben können. Als unberechenbar gilt Neu-Parteivize Wowereit. Seinen Anspruch auf den Vorsitz könnte er in zwei Jahren mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 wiederholen.
Keine Angriffe auf Gabriel werden von Hannelore Kraft erwartet. Sie verfügt als Vorsitzende des größten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen zwar über eine Hausmacht. Ihr neues Parteiamt soll ihr aber Rückenwind geben für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im März, wenn sie gegen CDU-Regierungschef Jürgen Rüttgers antritt.