Parteichef Westerwelle bezeichnet den Vertrauensverlust vieler Wähler als “betrüblich“, einen Rücktritt schließt er jedoch aus.

Berlin. Der Sinkflug der FDP in den Meinungsumfragen sorgt bei den Liberalen für selbstkritische Töne und Forderungen nach einem Kurswechsel. „Ich will nichts beschönigen, der Zustand der FDP ist nicht gut, zufrieden kann ich nicht sein“, sagte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Magazin „Der Spiegel“. Auf die Frage, ob der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle den Parteivorsitz abgeben solle, antwortete die Ministerin: „Ich halte nichts von Personaldebatten. Ich glaube nicht, dass die FDP weiterkommt, wenn sie jetzt anfängt, sich personell zu zerlegen.“

Westerwelle bezeichnete den von Meinungsforschern konstatierten Vertrauensverlust vieler Wähler in die Bundesregierung und seine Partei als „betrüblich“. Es gebe aber in Europa im Moment keine einzige Regierung, die von großen Beifallsstürmen getragen werde, sagte der Vizekanzler der „Welt am Sonntag.“ Er verstehe „die Ungeduld unserer Anhänger beim Drängen auf einen Politikwechsel“. Rücktrittsgedanken verwarf Westerwelle. Er könne ein ganzes Archiv mit Artikeln bestücken, in denen sein baldiges politisches Ende prophezeit worden sei, sagte der Außenminister.

Nach Ansicht von Leutheusser-Schnarrenberger braucht die FDP „eine neue liberale Agenda“. Sie sagte: „Wir müssen die richtigen Prioritäten setzen und uns auch zu Dingen bekennen, die wir vor kurzem noch nicht auf dem Zettel hatten.“ Der ehemalige FDP- Bundesvorsitzende Wolfgang Gerhardt forderte: „Wir müssen unsere Strategie – also wie wir etwas erreichen und wann – flexibler ausrichten.“ An den Steuerplänen und der Einführung einer Gesundheitspauschale solle festgehalten werden, sagte er dem „Weser- Kurier“. Wichtig sei aber, das sich die FDP nicht nur auf diese Themen reduzieren lasse.

KOALITION SCHLIESST HÖHERE STEUERN NICHT MEHR AUS

Leutheusser-Schnarrenberger sagte zu der Frage, ob die FDP zu lange den Anschein erweckt habe, der Staat könne sich Steuersenkungen erlauben: „Wir hätten die Verschuldungskrise früher anders bewerten müssen.“ Um die Staatsfinanzen zu konsolidieren, müsse jetzt „gestalterisch gespart“ werden. „Wir müssen schonungslos in allen anderen Bereichen kürzen, vor allem radikal bei den Subventionen.“

Grundsätzlich hält die Ministerin Bündnisse der Liberalen mit allen demokratischen Parteien für möglich. „Die FDP ist nicht der geborene Partner der Union“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Zur schwierigen Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen und der Weigerung der NRW-FDP, mit Rot-Grün über eine Ampelkoalition auch nur zu sprechen, sagte sie: „Gespräche kategorisch auszuschließen, finde ich problematisch.“ Auch nach Ansicht des FDP-Vizevorsitzenden Rainer Brüderle sollte sich die FDP für andere Koalitionen als mit der Union öffnen. Stabile schwarz-gelbe Regierungen seien zwar auch in Zukunft möglich, sagte der Bundeswirtschaftsminister dem „Hamburger Abendblatt“ (Samstag). Das Fünfparteiensystem erfordere aber von allen „ein unverkrampfteres und offeneres Denken“. Eine Ampelkoalition in NRW halte er dennoch für ausgeschlossen: „Ich sehe nicht die Voraussetzung dafür. SPD und Grüne können nicht erwarten, dass nur die FDP neu denkt.