Politische Wende an der Themse: Der Konservative David Cameron ist neuer britscher Premierminister. Für ihn gilt es nun, harte Entscheidungen zu fällen.
Eine Ära endet, eine neue bricht an. Tagelang hatten die Parteien um die Macht gefeilscht, am Dienstagabend ging es dann plötzlich blitzschnell: Nach einer beispiellosen Zitterpartie hatte Großbritannien in etwas mehr als einer Stunde einen neuen Premierminister und eine neue Regierung. David Cameron holte für die Konservativen Tories nach 13 Jahren die Macht zurück.
Doch die Tories sind nicht alleine: Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es im Königreich wieder eine Koalition. Die Liberaldemokraten dürfen nach Jahren als Mauerblümchen in der Opposition nun mitregieren. Parteichef Nick Cleg g ist vom absoluten Außenseiter zum Vize-Premier aufgestiegen und kann seinen Traum vom Wandel in der britischen Politik wahr machen.
Cameron hatte auf diesen Moment seit fünf Jahren gewartet, seitdem er 2005 nach einer steilen Karriere auf den Chefsessel der Tories gelangt war. Am Dienstagabend stand er bestimmt und mit ernster Miene neben seiner schwangeren Frau Samantha vor der Downing Street Nummer 10. Die Rede war von „schweren Zeiten“ und von „großen Herausforderungen“, Siegerposen gab es nicht. Denn die Briten starren in ein riesiges Haushaltsloch, der Schuldenberg summiert sich auf 163 Milliarden Pfund. Dennoch dankte Cameron erst einmal der Labour-Regierung von Ex-Premier Gordon Brown und dessen Vorgänger Tony Blair.
Brown hatte sich nicht mehr an der Macht halten können, obwohl er es noch fünf Tage nach der Wahl versucht hatte. Ein beispielloser Wahlkrimi ging zu Ende, der sich zeitweise zu einem chaotischen Durcheinander entwickelt hatte: Wollten die Liberalen erst mit den Tories zusammengehen, weil die bei der Wahl am Donnerstag stärkste Partei geworden waren, sattelten sie zeitweise auf Labour um, nachdem Brown seinen Rückzug als Parteichef angekündigt hatte.
Für deutsche Beobachter, die Koalitionsverhandlungen gewöhnt sind, hatte das Durcheinander durchaus amüsante Züge. Limousinen fuhren verfolgt von Fotografen im Minutentakt im Londoner Regierungsviertel hin und her. TV-Hubschrauber schweben seit fünf Tagen über der Stadt. Dann kam der entscheidende Moment, Brown trat zum Rücktritt an:„Ich habe den Job geliebt“, sagte er. Für den Schotten ist der Abgang nach nur drei Jahren besonders bitter. Hatte er doch zehn Jahre als Finanzminister im Schatten des „Sonnenkönigs“ Blair auf das Amt gewartet. Er führte das Land durch eine seiner schwersten Wirtschaftskrisen, doch das Volk liebte ihn nie. Am Ende sah der 59- Jährige müde und abgeschlagen aus. „Nachdem ich den zweitwichtigsten Job, den ich jemals gehabt habe, aufgebe, halte ich den wichtigsten umso mehr in Ehren – den als Ehemann und Vater“, sagte er und verschwand mit seiner Frau Sarah und seine beiden Söhnen aus der Downing Street.
„New Labour “hatte das Land seit 1997 zwar offener gemacht und tiefe Gräben zwischen Arm und Reich geschlossen. Doch der Irak-Krieg, die Wirtschaftskrise und mehrere Pannen der Regierung Brown bescherten Labour nun eine der schlimmsten Wahlniederlagen in der Nachkriegsgeschichte.
Am Abend formte sich schon schnell das neue Kabinett. Außenminister soll William Hague werden – ein Europakritiker erster Klasse. Die „Lib Dems“ ergatterten vier Ministerposten. Clegg kündigte eine „neue, vielfältige Politik“ und eine „neue Art der Regierung“ an.
Doch es stehen harte politische Entscheidungen an. „Ich wünsche dem neuen Premierminister alles Gute“, sagte Brown. Und das braucht er. Denn die Zeiten für Cameron, der den Briten den Wandel versprochen hat, werden schwierig, das weiß er auch selbst:„Das wird eine harte und schwierige Arbeit“, sagte Cameron, der mit seinen 43 Jahren der jüngste Premier seit knapp 200 Jahren ist.
Außenpolitisch dürfte die Politik äußerst interessant – und für die europäischen Partner auch anstrengend – werden. Großbritannien hat die Einführung des Euro verweigert, gehört nicht zum Schengen-Raum und die Konservativen sind nicht mehr Teil der Europäischen Volkspartei – die ablehnende Haltung Londons Brüssel gegenüber dürfte sich kaum ändern. Spannend ist, inwieweit die Liberalen ihren Einfluss geltend machen können. Sind sie doch verglichen mit den Tories genau auf der anderen Seite: Vor allem Clegg ist als ehemaliger Europaabgeordneter extrem europafreundlich.
Auch in Verteidigungsfragen könnte es Schwierigkeiten geben. Die Liberalen hatten etwa gegen den Irak-Krieg gestimmt und sehen auch das Engagement in Afghanistan skeptischer als die Tories. Wirtschaftlich sind sich die beiden Parteien wenigstens in groben Zügen einig: Oberste Priorität hat das Stopfen des Schuldenlochs. Die Briten stehen vor einem Haushaltsdefizit von rund 12 Prozent – vier Mal so hoch wie von der EU erlaubt. Bei Labour ist nun das Rennen um die Nachfolge von Brown in vollem Gange. Und auch da deutet sich wieder ein Politthriller an. So könnten die Brüder Miliband, David, der Außenminister, und Ed, der Umweltminister, gegeneinander antreten.