Madrid. Eigentlich soll der Jakobsweg ein Ort des Friedens sein. Doch scheint das nicht für Frauen zu gelten. Welchen Horror einige erlebten.
Der berühmte Jakobsweg, der im spanischen Wallfahrtsort Santiago de Compostela in der Region Galicien endet, ist heute immer weniger ein Ort der Einsamkeit, des Friedens und der Ruhe. Allein schon wegen der Menschenmassen, die jedes Jahr über diesen Weg wandern. 2024 wurden nahezu 500.000 Pilger gezählt – ein Rekord. Aber dieser bringt nicht nur Freude: Denn wo sich immer mehr Menschen treffen, gibt es auch immer mehr Probleme.
So wird es vielen Einwohnern in der Pilgerhauptstadt Santiago langsam zu viel mit den Wallfahrern. Die Einheimischen protestieren gegen lärmende Pilgerkarawanen. Und gegen die zunehmende Umwandlung von städtischem Wohnraum in Airbnb-Pilgerunterkünfte. Aber in diesen Tagen macht noch ein weiteres Thema Schlagzeilen: die Klagen wandernder Frauen über sexuelle Belästigungen.
Sexuelle Gewalt auf Spaniens Jakobsweg: Polizei spricht von Einzelfällen
Neue Berichte über sexualisierte Gewalt gegenüber Pilgerinnen, die ohne Begleitung auf dem Jakobsweg unterwegs sind, schrecken die Öffentlichkeit auf. Auslöser ist ein Bericht der britischen Zeitung „The Guardian“. Das Blatt veröffentlichte schockierende Aussagen von neun Wallfahrerinnen, die in den vergangenen Jahren sexuelle Aggressionen erlebten.
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Männer, die vor Pilgerinnen die Hose herunterlassen, die Frauen unterwegs betatschen, ihnen obszöne Bemerkungen zurufen: Das ist nicht gerade das, was man auf dem Jakobsweg erwartet. Ein Pilgerweg der Frömmigkeit, der dem Apostel Jakob (auf Spanisch: Santiago) gewidmet ist. Die Wanderstrecke zieht Christen aus aller Welt an, um spirituelle Erfahrungen zu suchen. Die sterblichen Überreste Jakobs sollen in der Kathedrale in Santiago de Compostela ruhen.
Angesichts der Besorgnis in der weiblichen Pilgergemeinde beruhigen die spanischen Behörden und sprechen hinsichtlich der Übergriffe von Einzelfällen. So habe es in der Region Galicien, durch welche die letzten 200 Kilometer des Jakobswegs bis nach Santiago führen, in diesem Jahr nur acht Anzeigen wegen sexueller Aggressionen gegeben. Vor allem wegen Exhibitionismus, demütigender Äußerungen und anderer Formen sexueller Belästigung, bestätigt ein Polizeisprecher.
Gemessen an den nahezu 250.000 Frauen, die 2024 auf dem Jakobsweg gezählt wurden, sei die Zahl der angezeigten Fälle jedoch gering, heißt es weiter. Das sei auch im Vorjahr 2023 nicht anders gewesen. Damals seien in Galicien sieben Anzeigen von Pilgerinnen wegen sexualisierter Gewalt registriert worden. Allerdings gehen Experten davon aus, dass bei weitem nicht alle Übergriffe angezeigt werden. Und dass die breite Öffentlichkeit nur bei schweren Vorfällen davon erfahre.
Pilgerin: „Ich habe noch nie so viel Angst gehabt”
Einer dieser schweren Vorfälle war der Angriff auf eine 24 Jahre alte Deutsche, die vor einem Jahr im Dezember auf einem Teilstück des Jakobswegs in der nordspanischen Rotweinregion Rioja attackiert worden war. „Die junge Frau fand am Ende ihrer Wanderetappe keinen Übernachtungsplatz“, berichtete die Polizei. Daraufhin habe ihr ein Mann angeboten, in seinem Haus im Ort Nájera auszuruhen.
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„Die Frau akzeptierte, wurde aber dann in dem Haus sexuell angegriffen.“ Der Mann habe sie begrabscht. Als sich die Pilgerin wehrte, habe er sie festgehalten und versucht, sie in seinem Haus einzusperren. Schließlich sei es der Deutschen gelungen, sich zu befreien und die Polizei zu alarmieren. Der mutmaßliche Täter konnte festgenommen werden.
In einem weiteren Fall im Sommer 2023 wurde ebenfalls eine junge Deutsche Opfer: Die Pilgerin schlief in ihrem Hotelzimmer in der galicischen Stadt Vigo, als ein portugiesischer Tourist versuchte, sie zu vergewaltigen. Die Frau konnte aber aus dem Zimmer fliehen und mit Hilferufen andere Hotelgäste alarmieren. Auch dieser mutmaßliche Sextäter konnte festgenommen werden.
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Schlagzeilen machte gleichfalls das Erlebnis der spanischen Politikerin Gloria Santiago, die im August 2021 alleine auf dem Jakobsweg unterwegs war und plötzlich einen Exhibitionisten hinter sich entdeckte, der mit offener Hose masturbierte. „Ich habe noch nie so viel Angst gehabt“, berichtete sie. Sie sei um ihr Leben gerannt, um sich in Sicherheit zu bringen.
Wirklich Einzelfälle? Opfer melden sich auf sozialen Medien zu Wort
Wirklich nur Einzelfälle? Nachdem die 37 Jahre alte Gloria Santiago ihr Horrorerlebnis auf den sozialen Netzwerken veröffentlicht hatte, meldeten sich bei ihr weitere Opfer. Santiago: „Ich habe viele Nachrichten von Frauen erhalten, die auf dem Jakobsweg Aggressionen erlitten.“
Tatsache scheint jedenfalls, dass die Angst bei vielen allein pilgernden Frauen auf dem Jakobsweg mitläuft. Schon 2015 hatte die Ermordung einer amerikanischen Pilgerin die Öffentlichkeit geschockt. Die 41-Jährige war ebenfalls ohne Begleitung unterwegs, hatte sich verirrt und war bei der Suche nach dem richtigen Weg ihrem Mörder in die Arme gelaufen. Der Mann erschlug sie und raubte ihr Reisegeld. Der Täter wurde zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt.
Spaniens Polizei gibt Tipps für mehr Sicherheit
Vor allem dieser Mord markierte einen Wendepunkt und führte dazu, dass die Sicherheit auf dem Pilgerweg ausgebaut wurde. Die Polizei verstärkte ihre Präsenz, sogar mit deutschen Beamten, um die Kommunikation mit den vielen Wallfahrern aus dem deutschsprachigen Raum zu verbessern. Auch wurde das Personal der Pilgerherbergen geschult, um bei Anzeichen von Belästigungen und Gewalt eingreifen zu können.
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Zudem veröffentlichten die Behörden Sicherheitsratschläge. Dazu gehört, die Notruf-App „Alertcops“ herunterzuladen, die per Knopfdruck der Polizei den Standort der Hilfe suchenden Person übermittelt. Zudem heißt es: „Seien Sie vorsichtig bei Fremden, die sich mit irgendeiner Ausrede mehr als erwünscht nähern.“ Und: „Wandern Sie lieber in Begleitung – die Pilgererfahrung wird noch unvergesslicher, wenn sie mit anderen geteilt wird.“