Berlin. Luigi Mangione soll den Versicherungsboss aus nächster Nähe erschossen haben. Im Internet bekommt er viel Zuspruch. Was steckt dahinter?

Es war ein Mord aus nächster Nähe, mitten in Manhattan vor dem „Hilton“-Hotel. Luigi Mangione, ein 26 Jahre alter US-Amerikaner aus reichem Haus, soll Brian Thompson, den Chef der größten Krankenversicherung der Vereinigten Staaten, mit drei Schüssen in den Rücken erschossen haben. Wie kommt ein gut aussehender Absolvent einer Elite-Universität dazu, einen Top-Manager zu töten? Und warum sympathisieren so viele Menschen mit dem mutmaßlichen Täter – und verherrlichen einen Mord?

Brian Thompson war der CEO der UnitedHealthcare. 49 Millionen Menschen in den USA verlassen sich auf die Produkte der Krankenversicherung. Der Umsatz geht in die Hunderte Milliarden US-Dollar. Es heißt, Luigi Mangione habe den 50-jährigen Konzernchef und Vater von zwei Kindern aus Rache getötet. Rache an der US-Versicherungsindustrie.

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Für seine Tat soll der 26-Jährige eine 9-Millimeter-Pistole aus einem 3D-Drucker benutzt haben und Patronenhülsen, die mit den Worten „deny“ (verweigern), „defend“ (verteidigen) und „depose“ (entsorgen) beschriftet waren. Die Phrase ist einer gängigen Wendung entlehnt, den Kritiker der US-Versicherungen nutzen: „delay (verzögern), deny, defend“.

Nach tödlichen Schüssen auf US-Versicherungschef
Luigi Mangione soll den Krankenkassen-Chef Brian Thompson erschossen haben. Im Netz wird er teilweise gefeiert. © DPA Images | Benjamin B. Braun

US-Versicherungen in der Kritik

Gemeint sind Strategien von Versicherungen wie UnitedHealthcare, mit denen sie – nach Ansicht ihrer Kritiker – ihre Profite maximieren, und zwar auf Kosten der Versicherten. Dabei werden Zahlungen an Patienten verzögert und Ansprüche verweigert. Vor Gericht verteidigen die Konzerne dieses Vorgehen.

Mord an UnitedHealthcare CEO: Der Tatverdächtige Luigi Mangione - Archivbilder
Schüsse auf offener Straße: Fahndungsbild der New Yorker Polizei © action press | ZUMA Press Wire / Zuma Press

Ein Buch mit diesem Titel existiert ebenfalls, es legt die Praktiken der Versicherungen offen und gibt Tipps, wie sich Versicherte wehren können. Beim Online-Versandgiganten Amazon stieg nach dem Thompson-Mord kurzfristig stieg die Nachfrage nach der Publikation an.

Was im Fall von Kfz-Versicherungen den finanziellen Ruin bedeuten könne, führe im Gesundheitssektor unter Umständen zum Tod, so der Vorwurf. Behandlungen würden von den Versicherungen nicht freigegeben, immer wieder verzögert, bis es zu spät sei. Die Versicherungen rechtfertigen sich, sie wollten mit den Freigaben unnötige Behandlungen verhindern und Kosten einsparen. „Prior authorization“ ist das Schlagwort, das dahintersteckt. Wie die Ablehnungsraten solcher Leistungs-Freigaben gestiegen sind, beschreibt der US-Senat in einem Bericht. Er nennt explizit auch UnitedHealthcare.

Offenbar rechtfertigt Luigi Mangione seine Tat mit einem Manifest, dass die Behörden bei ihm gefunden haben. 262 Wörter kurz, handgeschrieben. „Die Parasiten haben es verdient“, steht darin und: „Es musste getan werden“. UnitedHealthcare werde in dem Manifest erwähnt, berichtet die „New York Times“, die für die Leserinnen und Leser die Frage thematisiert, ob ein Verdächtiger in einem Mordfall der Polizei ausgeliefert werden muss. „In einem Wort: nein“, schreibt die renommierte liberale Tageszeitung am Montag.

Nach tödlichen Schüssen auf US-Versicherungschef
Luigi Mangione nach seiner Festnahme in Pennsylvania. © DPA Images | ----

Bei X und Instagram wird der mutmaßliche Täter glorifiziert

Der Frust vieler Menschen über ihre Versicherungen entlädt sich bei X und Instagram, wo der Hohn über das Opfer nun einer verstörenden Glorifizierung des mutmaßlichen Schützen Platz macht.

Etliche User sehen in dem 26-Jährigen einen antikapitalistischen Märtyrer: „In unserem Haus ist Luigi Mangione. ein Held“, schreibt jemand, „Ende der Geschichte.“ Andere versuchen, Spenden für einen Prozess einzusammeln. Die Plattform GoFundMe nimmt solche Aufrufe allerdings schnell vom Netz, die Nutzungsbedingungen erlauben bei Gewaltverbrechen keine Spendensammlungen.

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Andere digitale Klingelbüchsen haben keine Skrupel, Geld für einen mutmaßlichen Mörder zu sammeln. Die Kampagne eines „December 4th Legal Team“ hat bis Dienstagabend Spenden in Höhe von knapp 10.000 US-Dollar eingenommen. Der vierte Dezember ist der Tag, an dem Brian Thompson starb.

Unter zahlreichen verherrlichenden Kommentaren gibt es jedoch im Netz auch jene, die die Tat und den Diskurs darüber als „krank“ und „verstörend“ bezeichnen. Josh Shapiro, Gouverneur von Pennsylvania, warnt nun davor, Thompson zu entmenschlichen, ihn zu einem Symbol zu machen für ein System, das vielen missfalle. In seinem Bundesstaat ist Luigi Mangione am Montag festgenommen worden, in einem McDonald‘s-Restaurant. „In Amerika töten wir niemanden kaltblütig, um unseren Standpunkt klarzumachen“, führt der Demokrat aus – und erklärt, wer der wahre Held in dem Mordfall sei: Der Restaurant-Angestellte, der die Polizei gerufen hat. Und auch die US-Polizei stellt klar: „Er ist kein Held. Er ist ein Mörder.“