Berlin. Rebecca Reusch aus Berlin wird seit fünf Jahren vermisst. Im Interview beleuchtet Profiler Axel Petermann die Hintergründe des Falls.
Immer wieder verschwinden Menschen spurlos, viele Fälle sind bis heute ungeklärt. Ein mysteriöser Vermisstenfall, der den Ermittlern Rätsel aufgibt, bewegt noch heute ganz Deutschland: Von der damals 15-jährigen Schülerin Rebecca Reusch aus Berlin-Neukölln fehlt seit dem 18. Februar 2019 jede Spur. Nach Darstellung der Familie und auch der Polizei hatte das Mädchen im Haus ihrer Schwester und ihres Schwagers im Stadtteil Britz übernachtet und wurde danach nie wieder gesehen. Noch heute gibt der Fall der Berliner Polizei Rätsel auf. Es fehlen handfeste Beweise.
Aufklärung des Vermisstenfalls Rebecca – Profiler gibt Einschätzung ab
Was passierte wirklich an diesem Tag? Könnte das Mädchen noch leben? Vor welchen Herausforderungen stehen die Ermittler? Und gibt es Hoffnung, dass der Fall nach dieser langen Zeit noch aufgeklärt wird?
Deutschlands bekanntester Profiler Axel Petermann hat lange die Mordkommission sowie die Dienststelle „Operative Fallanalyse“ in Bremen geleitet – und mehr als 1000 Fälle in seiner Karriere bearbeitet. Seine Erfahrung hat ihn gelehrt: „In den letzten Jahren konnten immer wieder lange zurückliegende Verbrechen aufgeklärt werden, die als ‚unlösbar‘ galten. Ein von mir bearbeitetes Tötungsdelikt wurde beispielsweise erst nach 19 Jahren geklärt, ein anderes erst nach über 30 Jahren. Und deshalb bin ich immer zuversichtlich, dass jede Tat geklärt werden kann.“
Zwei Szenarien: Kann so der Fall Rebecca gelöst werden?
Vor allem Hinweise aus dem sozialen Umfeld könnten im Fall der vermissten Rebecca noch eine Schlüsselrolle spielen. „Am Ende geht es immer um Menschen, die mit ihren Beobachtungen und Hinweisen die Aufklärung einer Tat bestimmen und für neue Impulse bei den Recherchen sorgen können. Sei es, dass sie mit einer Schuld nicht mehr leben können, Beziehungen enden und sie Jahre später ihre Aussagen korrigieren und Täter belasten, statt sie weiterhin zu schützen. Oder tatrelevante Spuren können mit neuen Methoden ausgewertet und bestimmten Personen zugeordnet werden. Ähnliches kennen wir ja von der Entwicklung der DNA-Analyse, dem automatisierten Lesen von Fingerabdrücken oder ähnlichen revolutionierenden Methoden in der Kriminalistik. Eines dieser Szenarien könnte ich mir auch im Fall von Rebecca vorstellen“, sagt Axel Petermann im Gespräch mit dieser Redaktion.
Rebecca: Profiler erklärt, vor welchen Schwierigkeiten die Polizei steht
Die besondere Herausforderung in dem nun bereits fünf Jahre zurückliegenden Vermisstenfall: „Die Ermittler haben hier mit der Schwierigkeit umzugehen, dass sich die vermutete Tat im Haus ihrer Schwester zugetragen haben soll und Rebecca zuzuordnende Spuren auch bei anderen Situationen entstanden sein können“, erklärt Petermann.
Polizei und Staatsanwaltschaft nehmen an, dass die Schülerin getötet wurde. Gibt es demnach keine Hoffnung mehr, das Mädchen nach all den Jahren lebend zu finden? „Auch hier gilt, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Schließlich, wenn auch selten, verlassen immer wieder Menschen ohne Angabe von Gründen ihr gewohntes Umfeld, um ein neues Leben zu führen. Und natürlich gibt es auch immer wieder Fälle, bei denen Menschen entführt und über Jahre gefangen gehalten werden“, analysiert der Profiler die Situation. Aber trifft das auch im Fall von Rebecca zu? Wie wahrscheinlich ist das?
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Axel Petermann: „Warum hat der Schwager diese Suche verschwiegen?“
Bislang gebe es keine Hinweise, die die Annahme begründen, Rebecca könnte das Haus verlassen haben. „Rebecca erschien nicht an der nahe gelegenen Bushaltestelle und in ihrer Schule, wurde aber auch anderswo nicht gesehen. Und so fiel recht schnell der Verdacht auf Rebeccas Schwager, der nach einer nächtlichen Feier mit Kollegen wohl alkoholisiert nach Hause kam. Trotzdem fährt er in der Frühe nach Polen, was er ebenfalls verschwieg. Da frage ich mich, welchen Sinn hatte diese Fahrt? Schaffte er Rebeccas Leiche aus dem Haus?“, so der Kriminalist. Fragen, die bislang unbeantwortet bleiben. „Dort (Anmerkung d. Red.: im Haus der Schwester und des Schwagers) scheint es keine Spuren eines blutigen Tatgeschehens zu geben. Das muss auch nicht sein, denn es gibt bei Verbrechen der Nähe immer wieder Tatabläufe, die mit den Händen erfolgen, somit unblutig verlaufen und nur an der Leiche nachzuweisen wären. Aber auch die gibt es nicht.“
Das Verhalten von Schwager Florian R. wirft jedoch bei dem erfahrenen Fallanalytiker Fragen auf: „Da verschwindet eine 15-Jährige spurlos aus einem geschützten Raum bei ihrer Schwester. Sie soll morgens zur Schule gehen, zuvor ist sie alleine mit ihrem Schwager, da die Schwester die Wohnung bereits verlassen hat. Der Schwager erzählt später, dass er geschlafen habe, doch die Auswertung seiner Google-Daten zeigt, dass er nach Atemkontrolle und Strangulationspraktiken beim Geschlechtsverkehr gegoogelt haben dürfte. Weshalb hat er diese Suchen verschwiegen?“
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Rebeccas Schwager unter Verdacht: Warum hält die Familie zu ihm?
Obwohl Rebeccas Schwager seit Beginn der Ermittlungen unter Verdacht steht, hat die Familie stets öffentlich zu ihm gehalten. Warum? „Meine Erklärungsversuche sind natürlich spekulativ. Eine Begründung könnte darin zu sehen sein, dass trotz der zahlreichen Ungereimtheiten im Verhalten des Schwagers, die Familie ihm so sehr vertraut und seine Täterschaft kategorisch ausschließt. Vielleicht hofft sie auch weiterhin, dass Rebecca noch leben könnte. In dieses Bild der Hoffnung passt kein Tötungsdelikt“, wagt Petermann eine Einschätzung. „Andererseits ist nicht auszuschließen, dass die Familie die Wahrheit kennt, den Schwager oder eine andere Person jedoch vor Bestrafung schützen möchte.“
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Der Fall Rebecca – Das Wichtigste in Kürze
- Rebecca Reusch (15) aus dem Berliner Ortsteil Neukölln-Britz verschwindet am 18. Februar morgens aus dem Haus ihrer Schwester und ihres Schwagers. In ihrer Schule kommt sie nie an. Auch eine Decke ist weg.
- Eine groß angelegte Suchaktion der Berliner Polizei gab es am 29. März 2019 und am 3. September 2019, wo erneut ein Waldgebiet bei Kummersdorf in Brandenburg durchsucht wurde.
- Rebeccas Schwager Florian R. gilt als dringend tatverdächtig. Telefondaten Rebeccas und Router-Daten im Haus ergeben, dass er zur mutmaßlichen Tatzeit allein mit ihr im Haus war.
- Kurz nach ihrem Verschwinden wurde Florian R. vorläufig festgenommen, aber zunächst wieder wegen mangelnder Beweise freigelassen. Nach neuen belastenden Hinweisen wurde er erneut festgenommen und saß mehrere Wochen in Untersuchungshaft. Am 22. März 2019 wurde der Haftbefehl gegen ihn jedoch aufgehoben.
- Der himbeerrote Twingo des Schwagers und von Rebeccas Schwester wird am 18. Februar und am 19. Februar 2019 auf der Autobahn 12 zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) von einem Kennzeichenerfassungssystem registriert. Nur der Schwager hatte in dieser Zeit Zugriff auf das Auto.
- Die Mordkommission veröffentlicht Fotos des Autos und des Schwagers, obwohl Florian R. bereits in Untersuchungshaft sitzt. Nach der Freilassung von Florian R. zieht die Berliner Polizei diese Fahndungsfotos zurück.
- Im Kofferraum des Autos, das von der Schwester und dem Schwager benutzt wird, fand die Polizei Haare und Fasern einer verschwundenen Decke. Nach einem DNA-Test stellte sich heraus, dass das Haar nicht von Rebecca stammt.
- Die Mordkommission geht davon aus, dass Rebecca getötet wurde. Nach Ansicht der Ermittler hat sie das Haus ihres Schwagers nicht lebend verlassen.
- Rebeccas Schwager Florian R. schweigt zu den Vorwürfen. Rebeccas Eltern und ihre Schwestern halten nach wie vor zu ihm und halten ihn für unschuldig.