Maschen/Meckelfeld. Sanierung des wichtigen Bauwerks ist ein Mammut-Projekt für die Ingenieure. Jetzt ist abzusehen, wann Autofahrer sie wieder nutzen können.
Der Tag bedeutete einen massiven Einschnitt für Pendler und autofahrende Bürger im Landkreis Harburg, speziell in Meckelfeld, Hörsten und Maschen: Vor etwas mehr als acht Jahren, am 30. September 2016, wurde die viel befahrene und ebenso imposante Decatur-Brücke über den Rangierbahnhof Maschen für den Verkehr gesperrt. Es folgten Jahre des nach außen hin scheinbaren Stillstandes. Seit einigen Monaten wird nun intensiv gebaut. Das Abendblatt durfte sich auf der Brücke umsehen.
Hinter den Kulissen war von Beginn der Sperrung an auf verschiedenen Ebenen nach Lösungen gesucht worden. Es wurde verhandelt, gedacht, geplant und verworfen. Das Brückenbauwerk wurde beprobt und untersucht. Ein Ingenieurbüro fand schließlich eine Möglichkeit, den drohenden Abriss zu vermeiden und die Brücke nach einer statischen Ertüchtigung und Instandsetzung für mindestens weitere 20 Jahre in Betrieb zu belassen: Eine Schlankheitskur.
Nach Gesprächen auf höchsten politischen Ebenen gab das Land Niedersachsen die Zusage, sich finanziell zu beteiligen.
Mitte 2023 erhielt die Gemeinde Seevetal den offiziellen Zuwendungsbescheid. Nun endlich war es möglich, die Sanierung voranzutreiben, Ausschreibungen zu erarbeiten und ein europaweites Ausschreibungsverfahren für die Vergabe der eigentlichen Baumaßnahmen zu starten.
Seit acht Jahren fahren Anwohner aus Hörsten lange Umwege
Der 10. Oktober 2023 markiert einen weiteren Meilenstein in der langen Geschichte der Sanierung. Die Gemeinde beauftragte die Arbeitsgemeinschaft Decatur-Brücke. die die Sanierung umsetzt.
Seit nunmehr acht Jahren also fahren Anwohner aus Hörsten lange Umwege über Meckelfeld oder Stelle, um nach Maschen zu gelangen. Und umgekehrt. Der Gemeinderat, inzwischen war Emily Weede zur Bürgermeisterin gewählt worden, gab 2023 bei einer Abstimmung grünes Licht für die Ertüchtigung und Instandsetzung, die mit ca. 32,2 Millionen Euro vom Land gefördert wird.
Rund dreißig Prozent der Kosten muss die Gemeinde aus Eigenmitteln aufbringen. Hinzu kommen Kosten für die Sanierung der von Maschen und Hörsten auf die Decatur-Brücke führenden Rampen. Die Baukosten für alle Maßnahmen werden rund 50 Millionen betragen. Seit Mitte März 2024 laufen die Bauarbeiten am Brückenbauwerk auf Hochtouren.
Was aber geschieht genau auf der hochgelegenen Großbaustelle?
Was aber geschieht genau auf der hochgelegenen Großbaustelle? Ein Überblick für technisch Interessierte:
Die Knotenpunkte der Brücke erhalten eine Schubverstärkung. Die Brückenkappen werden auf ganzer Brückenlänge beidseitig erneuert. Die Abdichtung unter den Kappen und dem Fahrbahnbelag wird erneuert, ebenso der Fahrbahnbelag und die Leitplanken, die Beleuchtung, die Geländer und weite Teile der Beschilderung. Weiterhin wird der nicht mehr regelkonforme waagerechte Berührschutz (Schutz von Personen auf der Brücke gegen Inkontaktgeraten mit hochspannungsführenden, unterhalb der Brücke verlaufenden Oberleitungen der Bahn) entfernt und durch einen senkrechten Berührschutz ersetzt.
Die Widerlager an den Brückenenden werden erneuert. An den Pfeilern werden im Bereich der Lager neue Neopren-Staubschutzschürzen angebracht. Eventuell vorhandene Schadstellen an den von unten sichtbaren äußeren Flächen werden, wenn notwendig, zugänglich und instandgesetzt. Im inneren der Brücke wird die Entwässerung erneuert, ebenso die Beleuchtung und Notfallbeschilderung.
Eine Menge Arbeit ist also zu erledigen
Die Einstiegsöffnungen werden nach geltenden Vorschriften erneuert. Feste Zustiegsmöglichkeiten werden geschaffen, um die in den künftigen Lebensjahren der Brücke gesetzlich vorgeschriebenen Brückenprüfungen zu erleichtern. Der Hohlkasten im Inneren der Brücke wird an erforderlichen Stellen instandgesetzt.
Eine Menge Arbeit ist also zu erledigen. „Das ist bei einer Mitte der 1970iger Jahre eröffneten Brücke aber durchaus normal. Der Zustand der tragenden Teile der Brücke ist nach Aussagen der Brückenprüfer und des Prüfstatikers als altergerecht unkritisch zu bezeichnen“, sagt Andreas Hein, der in der Gemeinde Seevetal das Projekt betreut.
Bis die Arbeiten abgeschlossen sind, wird es noch dauern. Doch im Verhältnis zur Vorgeschichte befindet sich die Mega-Maßnahme auf der Zielgeraden. Denn der Beginn des Sperrungs-Dramas - und das ist es für viele Pendler - liegt bereits 13 Jahre zurück. Im Auftrag der Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr hatte der Landkreis Harburg mit Schreiben vom 08. August 2011 die Gemeinde aufgefordert, ihre Spannbetonbrücken einer Überprüfung zu unterziehen.
Decatur-Brücke war bezogen auf die Richtlinie massiv durchgefallen und abgängig
Die Maßnahme resultierte aus der Tatsache, dass eine enorme Zunahme des Güterverkehrs und die extrem gestiegene Anzahl der Schwerlasttransporte das vorhandene Straßennetz und somit auch die Brückenbauwerke einer erheblichen Mehrbelastung unterziehen. 2012 bis 2014 war diese Untersuchung mit dem Ergebnis erfolgt, dass die Brücke die Nachweise für die Aufnahme der Schub- und Torsionskräfte nicht erfüllt.
Ein vom Eisenbahnbundesamt zugelassener Prüfstatiker kam zu den gleichen Ergebnissen. Ad-hoc wurde eine einspurige Verkehrsführung auf der Brücke eingerichtet. Doch das reichte nicht, wie weitere Messungen zeigten. Beide Gutachter bescheinigen der Gemeinde, dass die Decatur-Brücke bezogen auf die Richtlinie massiv durchgefallen und „abgängig“ ist.
Nur die Bahn darf die Brücke aktuell noch nutzen
Der Rat der Gemeinde Seevetal beschloss daraufhin am 29. September 2016, die Brücke ab dem 1. Oktober 2016 für jeglichen Verkehr (Lkw, Pkw, Radfahrer, Fußgänger) zu sperren. Die Deutsche Bahn erwirkte einen höchstrichterlichen Beschluss, dass ein Teil der Brücke einspurig und ampelgeregelt unter der Auflage eines Rissmonitorings bis zur ersten bahneigenen Rampe von der Maschener Seite wieder geöffnet werden muss, um Gebäude, Werkstätten und Anlagen auf dem Rangierbahnhof weiter erreichen zu können.
Denn anders als über die Brücke sind die Anlagen kaum zu erreichen. Einzige weiter Zufahrt ist eine Notzufahrt von der Bahnhofstraße in Maschen. Eine zusätzliche Nachrechnung für diesen Teil der Brücke ließ die Teilöffnung der Brücke letztendlich für die Bahn zu. Diese Lösung wird bis heute entsprechend genutzt.
100 Kernbohrungen vorgenommen und schwere Verschraubungen eingesetzt
Durch die statischen Ertüchtigungsarbeiten an den tragenden Teilen der Brücke und den Widerlagern sei die Spannbetonbrücke in Zukunft stärker und könne so Torsionskräfte besser aufnehmen, sagt Lucas Wehrmann von der mit den Bauarbeiten betrauten Firma Echterhoff. Dafür wurden bereits beim ersten Knoten, also einer der Abzweigungen zum Rangierbahnhof auf der Brücke, rund 100 Kernbohrungen vorgenommen und schwere Verschraubungen eingesetzt. Im massivsten Teil der Brücke haben diese vorgespannten Stabstähle aus Spezialstahl einen Durchmesser von 50 Millimetern und sind 2,15 Meter lang.
Um die auf der Brücke wirkenden Kräfte deutlich zu reduzieren, wird künftig bei der Betonage der Kappen Leichtbeton verwendet. Aktuell nehme man daher 152 sogenannte massive Brückenkappen aus Beton an den Rändern der Brücke heraus und tausche diese gegen 752 leichtere Betonelemente aus, so Wehrmann. Die ursprünglichen Elemente der Brücke seien zwölf Meter lang und haben ein Gewicht von jeweils 5 bis 6 Tonnen, sie werden Stück für Stück zerteilt und mit einem großen Kran ausgehoben.
„Wir werden rund 30 Prozent am Gesamtgewicht reduzieren“
„Wir werden rund 30 Prozent am Gesamtgewicht reduzieren“, sagt Lucas Wehrmann. Das Brückenschild, das sozusagen das Gesicht der Brücke ist, werde der Brücke ein moderneres Erscheinungsbild verleihen. Auf den Brückenkappen bewegen sich dann die Fußgänger und Radfahrer. Wie vor der Sperrung der Decatur-Brücke werden sich auf der westlichen Kappe Fußgänger bewegen und auf der etwas breiteren östliche Kappe wird wieder ein kombinierter Geh- und Beidrichtungsradweg vorhanden sein.
Kaum Beeinträchtigungen für den Bahnverkehr erwartet
DerAustausch der Brückenkappe hat zunächst an den Teilen der Brücke begonnen, unter denen keine Bahnschienen verlaufen. Da die Arbeiten teilweise auch unter der Brücke ausgeführt werden, müsse in Abstimmung mit der Bahn der Schienenverkehr unter der Brücke zeitweise eingestellt werden. Den Personenverkehr zwischen Hamburg und Lüneburg werden die Arbeiten nur kurzzeitig behindern Häufig werden die Nachtstunden genutzt Diese Arbeiten werden 2025 umgesetzt.
Auch das noch: Asbest erschwert die Arbeiten
Durch Beprobungen des Betons der Brückenkappen wurden asbestbelastete sogenannte Bewehrungsabstandshalter entdeckt. Daher sind die Bauarbeiten an besondere Regeln gebunden. Der entnommene Beton muss auf eine zugelassene Deponie gebracht und dort endagelagert werden, erklärt Andreas Hein.
Licht am Ende des Bauwerks: Die Brücke soll 2026 wieder freigegeben werden
Die Bauarbeiten sollen Ende 2026 abgeschlossen sein und die Decatur-Brücke wieder für den Verkehr freigegeben werden. „Wir sind sehr zuversichtlich, die Brücke im vierten Quartal 2026 wieder freigeben zu können“, erklärt Emily Weede, Bürgermeisterin von Seevetal. Bis dahin sollen auch die beiden von Maschen und Hörsten zum Brückenbauwerk zuführenden Rampen saniert werden.
Die Rampe auf der Hörstener Seite wird aller Voraussicht nach bereits ab Frühjahr 2025 bearbeitet. In dieser Phase wird dann planmäßig von der Hörstener Seite über die Straße „Hinter der Bahn“ und die Rampe gefahren. Hierfür ist eine verkehrssichere Rampe auf der Hörstener Seite notwendig. Die Sanierung der Rampe auf der Maschener Seite wird zum Schluss der Baumaßnahme durchgeführt.“ so Weede.
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Bis dahin sei auch die kleine Brücke über die Seeve im Zuge der Hörstener Straße endgültig hergestellt, verspricht die Bürgermeisterin.. Aktuell befinde sich dort noch eine provisorische Brücke in Modulbauweise, diese sei ebenfalls in die Jahre gekommen. Weede: „Wir haben alle Brücken der Gemeinde Seevetal im Blick.“