Stade. Bauch aufgerissen, Gedärme auf der Weide verteilt: Junghengst war übel zugerichtet. Wolf auch Ursache für tödlichen Taxi-Unfall auf B73?

Der Schock sitzt noch tief bei Klaus Steffens. An dieser Stelle unweit seines Hofes hat der erfahrene Pferdezüchter den Hengst gefunden – tot, gerissen von einem Wolf. „Es sah grauenvoll aus“, sagt der Bürgermeister von Stinstedt, eine kleinen Gemeinde nordwestlich von Stade. Steffens steht auf der weitläufigen Koppel und streckt die Hand aus. Die Tiere kommen vertrauensvoll auf ihn zu. Doch jetzt ist eingetreten, was er und seine Kollegen seit Jahren befürchten.

Vom Wolf gerissener Hengst mit 18 anderen Pferden auf Weide nahe Stade

Mittlerweile steht fest, dass es tatsächlich ein Wolf war, der am 12. September den jungen Hengst auf Steffens Weide gerissen hat. Das junge Pferd stand nur rund 150 Meter entfernt vom Hof der Familie – zusammen mit 18 weiteren Hengsten, die separat von Stuten und Fohlen gehalten werden. Dass Wölfe ausgerechnet bei den temperamentvollen und wehrhaften männlichen Pferden zuschlagen – das erschüttert Pferdebesitzer in ganz Niedersachsen.

„Supergau“: Pferde auf Flucht vor Wolf als Unfallverursacher

Steffens ist aber auch noch aus einem anderen Grund sehr beunruhigt, denn es ist der Abend nach dem tödlichen Unfall auf der B73 in Stade, bei dem ein 48-jähriger Taxifahrer bei einer Kollision seines Fahrzeugs mit zwei Pferden ums Leben kam und auch die Tiere starben. „Was wäre gewesen, wenn meine Tiere auf der Flucht vor den Wölfen auf die Kreisstraße gelaufen wären und es wäre so ein schlimmer Unfall passiert?“, fragt sich der Bürgermeister. Und beantwortet sich die Frage gleich selbst: „Es wäre der Supergau.“

Polizei nahm Koppel südlich der B73 unter Augenschein

Die Polizei in Stade kann noch keine genaueren Informationen zum Grund für die Flucht der beiden Pferde nennen, in deren Folge der tödliche Unfall auf der B73 in der Nacht zu Montag passierte. „Es gibt keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass ein Wolf die Pferde in Panik versetzt hat“, sagte Polizeisprecher Matthias Bekermann auf Abendblatt-Nachfrage. Seine Kollegen hätten die umzäunte Koppel südlich der B73, auf der die beiden Pferde standen, in Augenschein genommen und klare Hinweise dafür festgestellt, dass die Pferde in Panik geraten und geflohen seien.

„Auch bei den Pferden ist die Zahl der Risse in den vergangenen zwei Jahren hochgegangen“

 Dr. Hinni Lührs-Behnke
Präsident des Hannoveraner Verbandes

„Was aber genau die Panik ausgelöst hat, können wir nicht sagen. Das kann ein Mensch, ein Hund oder sonst etwas gewesen sein. Wir arbeiten nicht mit Spekulationen“, so Bekermann. Ausschließen lasse sich ein Wolf aber ebenso wenig. Und man könne sich schon fragen, warum die Pferde in Richtung Bundesstraße gelaufen sind und nicht in Richtung Wald und Wiese, so der Polizeisprecher.

Wolfssichtungen in der Nähe von Pferden nehmen zu

Der Verdacht, dass Wölfe die Tiere in Panik versetzt haben könnten, liegt für viele Weidetierhalter in der Region nah. Auch Klaus Steffens findet ihn nicht unbegründet. Er und andere Züchter sind in großer Sorge, dass so etwas im Zuge der zunehmenden Wolfspopulation wieder passieren könnte. Denn kurz nach der Attacke auf der Hengstweide der Familie Steffens wurde ganz in der Nähe ein Rind von einem Wolf gerissen und Steffens konnte zwei Wölfe von seiner Koppel verscheuchen. „Aber eigentlich sind wir hilflos. Es sind einfach zu viele“, sagt er.

Risse bei Pferden in den vergangenen Jahren hochgegangen

In der Gegend sind bestätigte Nutztierrisse durch Wölfe längst keine Seltenheit mehr. „Auch bei den Pferden ist die TZahl der Risse in den vergangenen zwei Jahren hochgegangen“, sagte Dr. Hinni Lührs-Behnke, Präsident des Hannoveraner Verbandes, bei einer Veranstaltung zum Thema Pferd und Wolf im vergangenen April der Reithalle Wingst-Dobrock.

Viele Pferdehalter ließen ihre Tiere aus Angst vor Wölfen nachts nicht mehr draußen, so der Präsident. „Das ist eigentlich ein unerträglicher Zustand.“ Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) hatte bei der gleichen Veranstaltung betont: „Wo ein Pferd angegriffen wird, muss sofort ein Schnellabschussverfahren eingeleitet werden.“

Taxi-Fahrer und Pferde sterben nach Unfall
Nach dem Unfall auf der B73, bei dem ein Taxi ist mit zwei entlaufenden Pferden kollidierte und der Fahrer und die Tiere tödlich verletzt wurden, fragen sich Pferdehalter, ob ein Wolf die Tiere in Panik versetzt haben könnte. © DPA Images | Stefan Braun

EU-Mehrheit will Abschüsse von Wölfen erleichtern

Klaus Steffens kann solche Aussagen vonseiten der Politik nicht mehr hören. Er glaubt auch nicht daran, dass sich nach dem mehrheitlichen Beschluss der EU-Mitgliedsländer, demnächst den Abschuss von Wölfen zu erleichtern, etwas ändern wird. „Selbst wenn so etwas kommt – bis das in Deutschland umgesetzt wird, vergehen Jahren. Dagegen wird mit Sicherheit wieder geklagt“, meint der Pferdezüchter.

Pferdezüchter quälen die schrecklichen Bilder vom toten Hengst

Er wird das Bild nicht los von dem Junghengst, der nur so kurz leben durfte. Der aufgerissene Bauch, die Gedärme überall auf der Weide verteilt – das Erlebnis geht dem Pferdeliebhaber nicht mehr aus dem Kopf. „Schrecklich“, sagt er. „Ich habe ja nichts gegen Wölfe. Sie stillen nur ihren Hunger. Aber wenn die Jungtiere von den Alttieren jetzt lernen, dass dies bei Nutztieren eventuell viel einfacher geht als beim Wild – dann haben wir ein massives Problem.“

„Wo ein Pferd angegriffen wird, muss sofort ein Schnellabschussverfahren eingeleitet werden“, fordert Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne).
„Wo ein Pferd angegriffen wird, muss sofort ein Schnellabschussverfahren eingeleitet werden“, fordert Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne). © Sabine Lepél

Mit Zäunen könne dies nicht gelöst werden: „Einen wolfssicheren Herdenschutzzaun würde ich bei Pferden niemals bauen. Das ist für die Tiere lebensgefährlich. Wir haben in der Nachbarschaft bereits erlebt, dass sich ein Tier schwer daran verletzt hat.“ Die Pferde jeden Abend in den Stall zu holen, sei nicht artgerecht und praktisch kaum umsetzbar – besonders bei den Hengsten.

Auch Olympiareiter Dibowski in Sorge um seine Pferde

Olympia-Reiter und Pferdezüchter Andreas Dibowski aus der Lüneburger Heide treibt ebenfalls die Sorge um seine Spitzenpferde um. In der Nähe seines Irenenhofs in Döhle gab es bereits viele Wolfssichtungen und einen folgenschweren Wolfsangriff auf eine Schafherde mit vielen Opfern, weiß „Dibo“. „Wir lassen die Pferde mit einem mulmigen Gefühl auf die Weide – vor allem, nach den jüngsten Vorfällen“, sagt der Berufsreiter.

„Wir haben den Wolf hier schon oft gesehen, es ist ein großes Thema bei den Pferdehaltern.“ Im Sommer hat eines seiner Spitzenpferde ein Fohlen geboren, eigentlich ein Grund zur Freude. „Wir haben uns aber nicht getraut, es nach draußen zu lassen“, sagt der mehrfache Olympiateilnehmer.

Wolf ist großes Thema bei Züchtern und Pferdehaltern

„Für unsere Züchter und Pferdehalter ist der Wolf ein großes Thema“, bestätigt auch Jessica Christoph vom Pferdezucht- und Reitverein Luhmühlen. Die Wildkameras in der Gegend hätten schon sehr viele Bilder von Wölfen aufgezeichnet. Nachrichten, wie die von den aktuellen Vorfällen bei den Kollegen aus der Nähe von Stade oder die von einem 600 Kilogramm schweren Trakehner-Pferd, das im vergangenen Jahr im Heidekreis von einem Wolf angegriffen und schwer verletzt wurde, beunruhigten auch die Pferdehalter im Landkreis Harburg.

Mehr zum Thema

„Unsere Mitglieder berichten über Begegnungen und Sichtungen - selbst direkt vor unseren Offenställen“, sagt Jessica Christoph. Ihre eigenen Pferde muss sie Tag und Nacht draußen lassen. „Anders geht es nicht. Wir hoffen einfach, dass es gut geht“, sagt sie.