Jesteburg. Weil eine Scheune voller Vintage-Schätze bei Hamburg geräumt werden muss, suchen 1000 Objekte ein neues Zuhause. Worum es im Detail geht.

Ein Blick in die bewegte Geschichte von Menschen oder Orten kann so schön sein, ist in vielen Fällen aber mit finanziellem Aufwand verbunden. Ein Beispiel dafür bietet die Gemeinde Jesteburg im Landkreis Harburg. Dort steht mitten im Ort ein Fachwerkensemble, wie es nur noch wenige gibt: den ehemaligen Meyerhof.

Teil dieses Ensembles ist eine große Scheune aus dem Jahre 1748. Im Jahr 1757 streifte sie sogar der Atem der Weltgeschichte, denn Herzog Ferdinand von Braunschweig führte ein Heer mit 30.000 Mann durch Jesteburg und stellte in der Scheune seine Pferde unter.

Museumsscheune in Jesteburg: Auch ein Leichenwagen erzählt Zeitgeschichte

Seit mehr als 25 Jahren ist das Gebäude nun Ausstellungsort des Jesteburger Arbeitskreises für Heimatpflege, eines eingetragenen Vereins, der das von der Gemeinde gemietete Gebäude nutzt, weil das Heimathaus in der Ortsmitte zunehmend von anderen Vereinen und Institutionen belegt wird. Im Inneren der historischen Scheune lagern rund 1000 Zeugen der belebten Geschichte des Ortes.

Museumsscheune Jesteburg
Die Museumsscheune im Herzen von Jesteburg soll geräumt und abgerissen werden. © HA | nanette franke

Darunter auch landwirtschaftliches Gerät, vom handgefertigten Strohschneider bis zum wuchtigen Dreschkasten, vom Kessel, der zum Wurst und Pflaumenmus kochen, aber auch zum Waschen verwendet wurde, bis zum Ofen, der noch mit Holz auf Temperatur gebracht werden musste.

An den Wänden Fotos und Ölgemälde aus Geschichte des Heidedorfs

Sogar ein Leichenwagen steht in der Halle. Alles liebevoll geordnet, beschriftet, gepflegt und bewahrt. An den Wänden Fotos und Ölgemälde aus der Vergangenheit des Heidedorfs: Frauen bei der Getreideernte, Männer bei der Feldarbeit. Draußen unter dem 2006 neu gebauten Vordach, dessen Errichtung durch die großzügige Spende eines wohlhabenden Jesteburgers ermöglicht wurde, lagern Leiterwagen, Pflüge und Kartoffelschleudern.

Museumsscheune Jesteburg
Dieser Dreschkasten wurde in Einzelteilen geliefert und vor Ort aufgebaut © HA | nanette franke

Doch jetzt ist kein Platz mehr für diese Exponate. Alles muss raus. Die Scheune soll abgerissen werden, weil die neue Besitzerin des Bauwerks, Nichte einer inzwischen verstorbenen Jesteburgerin, offenbar andere Pläne hat. Wie Wolfgang Meyer, Vorsitzender des Arbeitskreises für Heimatpflege, erfahren hat, sollen anstelle der Scheune Neubauten entstehen. Eine „intensive Wohnbebauung“ sei im Gespräch. „Das würde das Ortsbild erheblich verändern und das Fachwerkensemble des Meyerhofes zerschlagen“, fürchtet Meyer.

Alle Ausstellungsgegenstände in der Scheune wurden dem Verein gespendet

Alle in der Scheune gehüteten Ausstellungsgegenstände sind Spenden. Viele davon dokumentieren auf ihre Weise, warum Jesteburg einst als Zentrum der Handwerkskunst galt: Es gab drei Maurerbetriebe, fünf Tischlereien, eine Stellmacherei und zwei Schuster, dazu zwei Schlossereien und zwei Schmieden. Außerdem eine Ziegelei, eine Molkerei und sogar eine Kaffeerösterei. „Wenn die geröstet haben, duftete das ganze Dorf“, erinnert sich der gebürtige Jesteburger Meyer.

Museumsscheune Jesteburg
Ein alter Kinderwagen wurde aus Platzmangel auf den Dachboden verbannt. © HA | nanette franke

Die 160 Mitglieder des Arbeitskreises haben die Scheune in Eigenleistung großflächig renoviert. Und dabei auch in die eigene Tasche gegriffen, indem jeder mit einer Spende von damals 50 Mark symbolisch einen Anteil des erneuerten Dachstuhls erworben hat. Inzwischen lagern dort Ausstellungsplakate, aber auch die Weihnachtsbeleuchtung des Bürger- und Gewerbevereins.

„Wir hatten gehofft, diesen Raum anderen Vereinen als Versammlungsort zur Verfügung stellen zu können“, erinnert sich Meyer. Wohl deshalb wurde sogar ein eigener Fahrstuhl eingebaut – ebenfalls auf Vereinskosten.

160 Mitglieder des Arbeitskreises renovierten die Scheune in Eigenleistung

Doch nun sind Meyer und seine Mitstreiter mit ihrem Latein am Ende. „Das Ding ist wohl gelaufen“, sagt Meyer, der dem Arbeitskreis seit 2021 vorsitzt und gelernter Maschinenbauingenieur ist. Er hat die Gemeinde Jesteburg um Hilfe gebeten, doch bisher keine erhalten. Ein anderes Ausstellungsgelände anzumieten und zu betreiben, könne der Verein „personell und wirtschaftlich nicht wuppen“.

Museumsscheune Jesteburg
Möchte Zeugnisse der Vergangenheit bewahren: Wolfgang Meyer, Vorsitzender des Jesteburger Arbeitskreises für Heimatpflege, vor einem alten Küchenherd. © HA | nanette franke

Gleichwohl träumt Meyer davon, in der Nähe der Kunststätte Bossard in Lüllau, die vom Landkreis Harburg großzügig finanziell abgesichert wird, eine Gelegenheit zu bekommen, die Sammlung zu präsentieren. „Wir wollen unser kulturelles Erbe bewahren und so ein Gefühl der Identität mit Jesteburg und seiner Umgebung schaffen“, sagt er.

Museumsscheune Jesteburg
Bei Wegners wurde Kaffee geröstet und verkauft. © HA | nanette franke

Gegenwärtig läuft eine große Rückholaktion: Die Spender der Exponate sollen ihre guten Gaben wieder abholen. Was übrig bleibt, soll möglicherweise an andere Museen abgegeben werden. „Bloß nicht in den Müll“, hofft Meyer auch deshalb, weil er als Fachmann erkennt, wie klug und handwerklich geschickt es frühere Generationen bewerkstelligt haben, dem einstmals harten Leben in der Heide standzuhalten und etwas Komfort abzuringen.

Gemeinde Jesteburg sieht keine Möglichkeit, die alte Scheune zu retten

Udo Heitmann, Bürgermeister der Gemeinde Jesteburg, sieht keine Möglichkeit, die Scheune zu retten. „Wir haben uns seit fast zehn Jahren immer wieder bemüht, den Pachtvertrag zu verlängern, und das sehr intensiv“, sagt er. Dabei seien auch verschiedene Varianten mit dem bisherigen Eigner durchgespielt worden.

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Doch es bleibe dabei: Die Gemeinde habe nicht genug Geld, um die Scheune für den Verein zu kaufen, zumal der „Sanierungsdruck“ auf das Gebäude sehr hoch sei. Die Haushaltssicherung gehe „vor der Sicherung der Schönheit des Ortes“, stellt Heitmann klar.

Museumsscheune Jesteburg: Ist sie nur das erste Opfer eines großen Kahlschlags?

Dem Gerücht, dass dem Kahlschlag auf dem Meyerhof weitere folgen könnten, nämlich mit dem Abriss von Frommanns Schmiede und einem nebenstehenden Gebäude an der Jesteburger Hauptstraße, weiß Heitmann nichts entgegenzusetzen. „Die Bebauungspläne stehen“, sagt der Bürgermeister. Er sei froh, zumindest ein Stück des Bürgersteiges für die Gemeinde gesichert zu haben.

Museumsscheune Jesteburg
Vielfach brachten Bauern die Milch mit dem Fahrrad zur Molkerei © HA | nanette franke

Spender von Ausstellungsgegenständen werden gebeten, sich unter der Mailadresse wolfgang-meyer-reindorf@web.de oder telefonisch unter (04181) 38548 zu melden, um zu entscheiden, wie mit den Spenden verfahren werden soll.