Scheeßel. Allgemeinmediziner aus Scheeßel setzt in seiner Praxis konsequent auf Digitalisierung – mit Videosprechstunde und Home-Office für Ärzte.

Hausärzte in Deutschland werden immer älter, viele gehen in den Ruhestand – und vor allem auf dem Land wollen zu wenige junge Mediziner als Hausarzt tätig sein. Gleichzeitig werden die Patienten älter, sodass immer weniger Hausärzte immer mehr kranke Menschen versorgen müssen. Besonders groß ist die Not bereits jetzt in ländlichen Gebieten.

Eine mögliche Lösung für das Dilemma hat ein Hausarzt aus dem Landkreis Rotenburg (Wümme) entwickelt. Jan Gerlach setzt in seiner Praxis in Scheeßel konsequent auf Digitalisierung. Avatarpraxis 1.0 heißt das Konzept, das der Mediziner mit seinen Mitstreitern in den vergangenen zwei Jahren entwickeln hat und das – so seine große Hoffnung – eine Lösung für die medizinische Versorgung auf dem Land sein könnte.

Hausarzt-Mangel: Digitale Avatarpraxis wird in Scheeßel erprobt

In der Landarztpraxis der Zukunft bieten Ärzte ihre Sprechstunde (auch) per Videocall an, die Medizinischen Fachangestellten übernehmen mehr Aufgaben in der Praxis und bei Haus- und Altenheimbesuchen.

Die Patienten buchen Termine per App und checken selbstständig in der Praxis ein. Anrufe werden von einer KI-gestützten Telefonanlage angenommen. Rezepte gibt es auch abends und am Wochenende an einem Automaten.

Aufgaben werden digitalisiert, damit der Hausarzt mehr Zeit für Wichtiges hat

Nicht alles davon ist in der Praxis von Jan Gerlach bereits umgesetzt, manchmal hakt auch die Technik noch ein bisschen. Doch er ist überzeugt: Werden die Aufgaben stärker digitalisiert und zudem besser auf mehrere Köpfe verteilt, bleibt am Ende mehr Zeit für die wichtigen Dinge.

In der Digitalisierung sieht Hausarzt Jan Gerlach große Chancen für die ärztliche Versorgung auf dem Land.
In der Digitalisierung sieht Hausarzt Jan Gerlach große Chancen für die ärztliche Versorgung auf dem Land. © Onlineagentur Pixelschieber | Onlineagentur Pixelschieber

„Wir müssen überlegen, wie wir die Ressource Arzt besser einsetzen können“, sagte der Hausarzt bei der Vorstellung des Projekts Anfang September.

Bundesregierung will ärztliche Versorgung auf dem Land per Digitalisierung verbessern

Auch die Bundesregierung sieht in der Telemedizin einen wichtigen Baustein, um die ärztliche Versorgung in ländlichen Gebieten zu sichern. In ihrem Koalitionsvertrag nennt sie Videosprechstunden als Beispiel, um die Versorgungsprobleme durch Digitalisierung zu lösen.

Die Scheeßeler Praxis hat für die Entwicklung ihrer digitalen Angebote, die natürlich alle notwendigen Datenschutzanforderungen erfüllen müssen, mit der Universität Oldenburg zusammengearbeitet.

Hausarzt aus Scheeßel betont: Technik soll Arzt nicht ersetzen

Die Technik soll den Arzt oder die Ärztin keinesfalls ersetzen, das ist dem Hausarzt wichtig. Auch in der Avatarpraxis, so wie er sie heute führt, ist mindestens ein Mediziner für Sprechstunden vor Ort. Zusätzlich aber können weitere Ärzte per Videocall Termine anbieten, dies ist vor allem dafür gedacht, um Befunde, Laborergebnisse oder MRT-Aufnahmen zu besprechen.

Der Telemedizin-Koffer kommt zum Beispiel bei Besuchen in Alten- und Pflegeheimen zum Einsatz.
Der Telemedizin-Koffer kommt zum Beispiel bei Besuchen in Alten- und Pflegeheimen zum Einsatz. © Onlineagentur Pixelschieber | Onlineagentur Pixelschieber

Zukünftig könnten Hausärzte, so das Konzept, auch neben ihrer Stammpraxis eine Avatarpraxis auf dem Land eröffnen. Diese wäre besetzt mit zwei medizinischen Fachangestellten, einem Rettungs- oder Notfallsanitäter sowie einer Empfangs- und Datenfachkraft. Der Arzt wäre stundenweise ebenfalls vor Ort und würde sich sonst für die Sprechstunden digital zuschalten.

Video-Sprechstunde: Weitere Experten können sich hinzuschalten

Auch beim Videogespräch sitzt der Patient nicht allein vor einem Bildschirm. In einem speziellen Sprechzimmer bereitet einer oder eine der medizinischen Fachangestellten den Termin vor und begleitet den Patienten im Gespräch. In der Videosprechstunde können bei Bedarf weitere Experten, wie Kinderärzte oder Internisten, hinzugezogen werden.

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Die Praxis nutzt die Telemedizin auch für die Versorgung der Bewohner in Alten- und Pflegeheimen. Anstelle von Jan Gerlach übernimmt nun manchmal ein Mitarbeiter den Besuch. Im Gepäck: ein telemedizinischer Koffer, ausgestattet mit einem Bildschirm und diversen Geräten, um beispielsweise Blutdruck, Temperatur oder Sauerstoffsättigung zu messen, ein EKG, eine Ohrenspiegelung oder einen Ultraschall zu machen oder Aufnahmen von Wunden oder auffälligen Hautveränderungen zu machen.

Wartezeit für Patienten verringert sich durch Digitalisierung

Per Video ist Jan Gerlach stets dabei. „Es ist natürlich nicht das Gleiche, wie wenn ein erfahrener Experte den Patienten untersucht“, betont er. „Aber für eine Basisuntersuchung funktioniert es sehr gut.“ Ebenso können Angehörige der Heimbewohner zu den Gesprächen hinzugeschaltet werden.

Self Check-In in der Avatarpraxis: Die Patienten lesen ihre Krankenkassenkarte selbstständig ein. Wer Hilfe benötigt, kann auch an den Empfangstresen gehen.
Self Check-In in der Avatarpraxis: Die Patienten lesen ihre Krankenkassenkarte selbstständig ein. Wer Hilfe benötigt, kann auch an den Empfangstresen gehen. © Onlineagentur Pixelschieber | Onlineagentur Pixelschieber

Die Digitalisierung habe sowohl Vorteile für die Ärzte als auch für die Patienten, meint Jan Gerlach. Die Sicherung und Verbesserung der Versorgung komme natürlich allen kranken Menschen zugute. Zudem verringere sich die Wartezeit, wenn viele Prozesse automatisch ablaufen und der Arzt mehr Zeit für die Sprechstunde hat. Auch um einen Termin zu vereinbaren, ist nur noch ein Anruf notwendig, der garantiert angenommen wird. Zweimal am Tag arbeiten die Mitarbeiterinnen die Liste ab und rufen alle Patienten zurück.

Home-Office: Mediziner können auch in der Elternzeit arbeiten

Für die Hausärzte bringe die Avatarpraxis enorme Entlastung im Arbeitsalltag, sagt Jan Gerlach. Darüber hinaus könnten vor allem durch Teilzeitmodelle und die Möglichkeit des Home-Office wieder mehr Mediziner für den Beruf gewonnen werden.

„Ältere Kollegen könnten stundenweise weiterbeschäftigt werden und Frauen in Mutterschutz oder Elternzeit könnten ebenfalls von zu Hause aus arbeiten.“ Bisher erhalten Schwangere im Gesundheitsbereich in der Regel ein Beschäftigungsverbot.

Akzeptanz der neuen Technik ist auch bei älteren Patienten gut

Auch für jüngere Kollegen, die mobil oder in Teilzeit arbeiten wollen, sei das Modell attraktiv. „Sie können sich ihr Arbeitszeitmodell aus verschiedenen Bausteinen zusammenbauen“, sagt Jan Gerlach. Er ist überzeugt: „Alles, was die Arbeit bei uns verbessert, macht auch die Versorgung der Patienten besser.“

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Als medizinische Fachangestellte hat Miriam Fedderke die Testphase mitgestaltet. Die Akzeptanz bei den Patienten sei gut, sagt sie. Auch viele Senioren seien offen für die digitalen Angebote. „Die ältere Generation wird mutiger. Viele sind stolz, wenn sie das erste Mal ein Rezept per App bestellt haben.“

Hausarzt auf dem Land: Digitale Avatarpraxis soll Versorgung verbessern

Die Entwickler der Avatarpraxis verweisen mit dem Begriff natürlich auf die Digitalisierung. Vor allem aber sollen entsprechend geschulte Mitarbeiter als Stellvertreter – „Avatar“ – Aufgaben übernehmen, die bisher beim Arzt liegen, und ihn damit entlasten. Im Konzept heißt es: „Wir brauchen eine vertrauenswürdige und kompetente Person, die als Vertretung des Arztes alles das tut, was nicht zwingend einen Arzt in körperlicher Anwesenheit erfordert.“

Wenn weitere Praxen in Niedersachsen und Deutschland ihrem Beispiel folgen, dann könnte dies eine Lösung für die künftige hausärztliche Versorgung auch in ländlichen Gebieten sein. Dieser Gedanke treibt Jan Gerlach und seine Mitstreiter an, die in Scheeßel ein Vorbild für ihre Kollegen andernorts sein wollen.