Stelle. Start-up verspricht, die Terminprobleme bei Augenärzten zu lösen – auch im Landkreis Harburg. Mediziner bezweifeln, dass das funktioniert.

  • Mit mobilen Augenuntersuchungen will das Unternehmen Mirantus die medizinische Versorgung verbessern
  • In Stelle (Landkreis Harburg) finden Ende März erstmals Termine und Online-Beratung statt
  • Augenärzte kritisieren das Konzept – nicht nur, weil es Geld kostet

Das Problem ist bekannt: Wer im Landkreis Harburg einen Termin bei einem Facharzt – etwa bei einem Augenarzt – benötigt, muss sich mitunter auf lange Wartezeiten einstellen. Und das, obwohl es nach offiziellen Angaben eine Überversorgung mit diesen Spezialisten gibt.

Ein Missstand mit kompliziertem Hintergrund, dem das Unternehmen Mirantus aus Berlin mit seinem Konzept entgegenwirken will. Demnächst auch vor Ort im Kreis Harburg – mit mobilen, kostenpflichtigen Augenuntersuchungen in der Gemeinde Stelle. Aber was wird dabei genau gemacht? Und verbessert das Angebot wirklich die medizinische Versorgung?

Schneller Augen-Check statt Praxisbesuch? So funktionieren die Angebote von Mirantus

Dr. Gruber, selbst kein Augenarzt, wirbt für seine Aktion als „telemedizinisches Pilotprojekt“. Er habe das Modell bei einem Forschungsaufenthalt in England kennengelernt, wo er am renommierten Moorfields Eye Hospital in London gearbeitet habe. Gruber sieht seine Aktion als niedrigschwelliges Angebot, das denjenigen, die in Zeiten des Ärztemangels Probleme hätten, zeit- und ortsnah einen Augenarzttermin zu bekommen, wirksam helfen könne. Auch in Stelle will Gruber einen Ärztemangel festgestellt haben.

Am kommenden Sonnabend und Sonntag, 23. und 24. März, jeweils von 9 bis 19 Uhr, bietet Mirantus in den Räumlichkeiten des DRK-Ortsvereins Stelle seine Augenuntersuchungen an. Wie Firmengründer Gruber mitteilt, werden die Untersuchungen von speziell geschultem Personal durchgeführt. Wer teilnehmen möchte, zahlt eine Gebühr von 39,50 Euro, die nicht von den Krankenkassen übernommen wird. Die Messergebnisse werden den Teilnehmern wahlweise per Post oder E-Mail zugestellt. Anmeldungen erbeten unter Telefon (040) 524758720 oder im Internet www.marinantus.com/stelle.

Mobile augenärztliche Untersuchung: Die Mirantus Health GmbH bietet in einem Pilotprojekt eine mobile Untersuchung der Augen im Rathaus an.
Mobile augenärztliche Untersuchung: Die Mirantus Health GmbH bietet in einem Pilotprojekt eine mobile Untersuchung der Augen im Rathaus an. © Claus Gruber | Mirantus Health GmbH

Nach der Messung: Ärzte erklären Ergebnisse bei Bedarf in Online-Sprechstunden

Wer die Messergebnisse erklärt haben und eine ärztliche Diagnose erhalten möchte, kann direkt im Anschluss an die Untersuchung einen Online-Besprechungstermin bei einem niedergelassenen Augenarzt buchen. Allerdings nur bei solchen, die auch die Mirantus-Plattform nutzen. Das sind nach Angaben von Gruber „25 Augenärzte im Norden, unter anderem im Hamburger Zentrum und Hamburger Osten.“

Die Mirantus-Kunden benötigen dazu ein internetfähiges Handy. Wer keinen Online-Zugang besitzt, kann direkt in den Räumen des DRK in Stelle eine Videosprechstunde über die Mirantus-Plattform mit den dort gelisteten Ärzten besuchen. Dazu werden Laptops bereitgestellt. Online-Sprechstunden werden inzwischen von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt, wenn der Arzt eine Kassenzulassung hat.

Die Mirantus Health GmbH bietet in einem Pilotprojekt eine mobile Untersuchung der Augen im Rathaus an. Eine Idee, die Dr. Claus Gruber und Dominik Pederzani aus England importiert haben.
Die Mirantus Health GmbH bietet in einem Pilotprojekt eine mobile Untersuchung der Augen im Rathaus an. Eine Idee, die Dr. Claus Gruber und Dominik Pederzani aus England importiert haben. © Claus Gruber | Mirantus Health GmbH

Verbandschef der Augenärzte: „Das wird so nicht funktionieren“

Das Angebot klingt gut. Doch wie sehen es Augenärzte? „Das wird so nicht funktionieren“, meint Dr. Clemens Flamm, Vorsitzender des Berufsverbands der Augenärzte (BVA) in Hamburg. Was geboten werde, sei eine rein handwerkliche Dienstleistung, wie sie auch von Optikern zu bekommen sei. Bei der Befundung durch Ärzte über die Mirantus-Plattform stelle sich die Frage, ob das Prinzip der freien Arztwahl noch eingehalten werde.

Eine Vorsorgeuntersuchung der Augen, als die viele die Mirantus-Aktion auffassen könnten, werde von den Krankenkassen aus gutem Grund nicht angeboten. Denn die gemessenen Werte könnten bestenfalls Hinweise auf mögliche Störungen der Sehfunktion geben. Und außerdem: „Was kann der Arzt über den Bildschirm machen?“, fragt Flamm. Entweder sagen: „Sieht gut aus. Oder aber: oh, oh, da ist was, kommen sie mal in meine Praxis.“ Womit die Kunden wieder in der Warteschleife sind und möglicherweise weite Wege zum Mirantus-Arzt zurücklegen müssen.

Was wird in Stelle gemessen?

Sehstärke und Brille: Bei den meisten Optikern gibt es diese Leistung kostenlos.

Augeninnendruck: Ein erhöhter Augeninnendruck kann Hinweise auf die Entstehung des Grünen Stars und eine Schädigung des Sehnervs geben. Auch diese Messung führen viele Augenoptiker durch, dabei werden Preise ab 19 Euro aufgerufen.

Zur Früherkennung von Grünem Star (Glaukom) taugt die Messung nach Ansicht der Techniker Krankenkasse nicht. „Manche Menschen entwickeln Grünen Star, obwohl sie keinen erhöhten Augeninnendruck haben. Andere haben erhöhten Augeninnendruck, bekommen aber kein Glaukom“, schreibt die Kasse. Nur nach weiteren Untersuchungen und nach Erfragen der Krankheitsgeschichte und der Lebensumstände des Patienten könne der Arzt das Risiko einschätzen.

Aufnahme des vorderen Augenabschnitts: Zeigt den Zustand von Hornhaut und Linse, gibt Hinweise auf Linsentrübung (Grauer Star), Infektionen und Entzündungen.

Netzhautfotografie: Zeigt den Zustand der Makula, des zentralen Bereichs des Sehens, und zeigt Ablagerungen von Stoffwechselprodukten unter der Makula – die Altersbedingte Makula Degeneration (AMD). Ärzte können aus der Aufnahme auch Rückschlüsse auf die Gefäßgesundheit im gesamten Körper ziehen.

Kassenärztliche Vereinigung sieht Konzept als reines Geschäft

Wichtig zu wissen: Vermutet der Arzt, dass die Beschwerden des Patienten im Zusammenhang mit einer bestimmten Erkrankung stehen, werden die entsprechenden Untersuchungen von den Kassen finanziert. Aber wie kommt man an einen Augenarzttermin und gibt es im Landkreis Harburg tatsächlich einen Mangel an Augenärzten?

Laut Bedarfsplanung nicht, so Detlev Haffke, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. Doch könne es durchaus sein, dass diese Versorgung nicht den Bedürfnissen der Bevölkerung entspricht. Telemedizinischen Angeboten steht Haffke grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Doch sei das Mirantus-Projekt mit Vorsicht zu betrachten: „Ich kenne keinen einzigen Augenarzt in Niedersachsen, der sich dieser Plattform angeschlossen hat“, so Haffke.

Zuletzt in Lüneburg nahmen 70 Interessierte das Mirantus-Angebot wahr

Möglich sei, dass Mirantus gezielt Ärzte anwerbe. „Diese Ärzte könnten theoretisch auch in Indien sitzen.“ Ob sie den Qualitätsanforderungen der kassenärztlichen Versorgung entsprächen und eine entsprechende Zulassung hätten, sei dahingestellt.

Haffkes Fazit zur Mirantus-Messung, zu der, wie zuletzt in Lüneburg, mehr als 70 Interessierte erschienen: „Reine Diagnostik, kein therapeutischer Ansatz. Ein Angebot, das allein aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten gemacht wird.“

Hinweis: Bei Augenbeschwerden den Notdienst rufen

Der erste Vorsitzende des BVA-Bundesverbands, Daniel Pfleger, weist darauf hin, dass „viele augenärztliche Krankheitsbilder und die dazu erforderliche Diagnostik unmittelbar in einer Augenarztpraxis stattfinden sollten“. Denjenigen mit akuten Augenbeschwerden rät Daniel Pfleger, die 116 117 anzurufen. Dort gäbe es ohne Wartezeit Termine bei Kassenärzten.

Die nächstgelegene Augenarztpraxis liegt 7,3 Kilometer von Stelle entfernt und befindet sich in Winsen. Bei einem Testanruf wurde unserer Redaktion ein Untersuchungstermin Anfang Juni genannt.